Der Mainstream

Danke, lieber Busfahrer

In dieser Alltagssituation findet sich jede*r einmal: Das Aussteigen aus dem Linienbus.
02. Febr. 2022
Habt ihr euch schonmal beim Aussteigen aus dem Bus beim Fahrer bedankt? In Neuseeland ist das gang und gäbe. Der Still-bleibe-Mainstream in Deutschland wäre für die Kiwis unvorstellbar. Eine Kolumne.

„STOOOP!“ ertönt es aus dem hinteren Teil des Busses. Eine ältere Dame fuchtelt mit ihrem Regenschirm in der Luft herum und signalisiert sichtbar unzufrieden, dass sie doch an dieser Haltestelle aussteigen musste. Der Busfahrer hatte wohl übersehen, dass sie die STOP-Taste gedrückt hatte. Ganze zehn Meter hinter dem Pfosten, der die Haltestelle markiert, kommt der Bus mit quietschenden Reifen zum Stehen. Kopfschüttelnd und unzufrieden vor sich hin murmelnd steigt die Frau aus dem Bus aus. Die Türen schließen sich.

„Thank you, thanks, thank you, thanks, thank you, thanks“ – an einer Bushaltestelle in Neuseeland steigen ebenfalls gerade Fahrgäste aus. Alle blicken, kurz bevor sie den Bus verlassen, für einen Moment nach vorne zum Fahrer und bedanken sich. Die Türen schließen sich.

Bei den Kiwis ist es gang und gäbe sich beim Aussteigen aus dem Bus beim Fahrer zu bedanken. Als ich während meines Au-Pairs 2019 in Neuseeland das erste Mal mit dem Bus fuhr, erlitt ich einen handfesten Kulturschock. War ich es doch als typisch Deutscher gewohnt, einfach auszusteigen und meines Weges zu gehen, befand ich mich hier plötzlich in einer prekären Lage. Ich war verwirrt. Wieso bedanken sich hier alle? Und da war es schon zu spät. Ich war ausgestiegen, ohne ein Wort zu sagen. Die abschätzigen Blicke der Locals, die ich danach erntete, machten mir deutlich: Irgendetwas hatte ich falsch gemacht.

„Aber ich habe doch für mein Monatsticket bezahlt, das ist sein Job, wieso soll ich mich da bedanken?“ – diese Antwort bekam ich von den meisten Menschen, mit denen ich darüber sprach.

Meine Antwort: Bedankst du dich beim Friseur für die frisch geschnittene Frisur? Ja. Bedankst du dich bei der Bedienung im Restaurant, nachdem dein Abendessen auf dem Tisch steht? Ja. Bedankst du dich beim Taxifahrer, der dich eben nach Hause gefahren hat? Ja. Bedankst du dich beim Busfahrer, der dich eben nach Hause gefahren hat? Nein. Und hast du für alles viel Geld bezahlt? Ja.

Was ist das für eine Grenze? Wieso bedanken wir uns beim Friseur, der Bedienung oder dem Taxifahrer? Und wieso nicht beim Busfahrer?

Was unterscheidet die eine Dienstleitung von der anderen Dienstleistung?

Vielleicht ist es der persönliche Bezug, der uns zum „Danke sagen“ bringt? Unseren Friseur kennen wir wahrscheinlich schon länger. Auch steht unser Name im Terminkalender des Salons. Genauso beim Restaurantbesuch ist der Tisch auf unseren Namen reserviert. Und beim Taxifahrer sind wir meist allein im Auto. Der nette Smalltalk mündet zwangsläufig in einem „Danke“.

Im Bus dagegen sind wir anonym unterwegs. Niemand kennt uns – meistens. Hier nimmt unser Image keinen Schaden, wenn wir still bleiben. Warum sollten wir uns beim Busfahrer bedanken? Es ist doch viel einfacher, mit dem Still-bleibe-Mainstream zu schwimmen.

Das Jahr 2020: Seit dieser Woche bin ich wieder zurück aus Neuseeland. Das erste Mal sitze ich wieder im Bus. Nachdem ich mich das letzte halbe Jahr dem Danke-Mainstream in Neuseeland angeschlossen hatte, stehe ich zurück in Deutschland erneut vor einer Herausforderung. An der nächsten Haltestelle muss ich aussteigen. Vor mir stehen schon ein Kind und seine Mutter. Hinter mir drei weitere Fahrgäste. Die Türen öffnen sich. „Thank you“ … denke ich …. und steige aus. Die Türen schließen sich.

Ich ärgere mich über mich selbst und gehe meines Weges. Der deutsche Mainstream fühlt sich irgendwie schlechter an.

Eine weitere Folge der Kolumne "Der Mainstream" findest du hier.