Mülldelikte 8 Minuten

Auf Streife mit den Mülldetektiven

„Waste Watcher“ Daniel Behr sucht im Abfall nach Hinweisen auf die verursachende Person einer illegalen Müllablagerung.
Daniel Behr ist einer von vier „Waste Watchern“, die in Pforzheim illegalen Müllablagerungen nachgehen. | Quelle: Frederike Lange
10. Dez. 2025

Vermüllt, geprüft, gefasst – Mülldelikte schaden Natur und Tierwelt. Daniel Behr ist „Waste Watcher“ aus Pforzheim und zeigt, wie Müllsünder anhand von Wandfarbe überführt werden und was Abfall mit Bandenkriminalität zu tun hat.

Draußen ist es noch dunkel und der Frost funkelt auf den Autodächern. 07.15 Uhr, Dienstbeginn für „Waste Watcher“ Daniel Behr. Seine Uniform: Beamten-Blau. An seiner Schulter das Stadtlogo, Pforzheim. Im Büro, Bau B der Technischen Dienste, steht die Teambesprechung an. Spekulatius steht auf dem Tisch, schließlich ist bald Weihnachten, und der Kaffee dampft aus den Tassen. Behr und Kollege Martin Grobs planen einen Hausbesuch. Es geht um nichts Geringeres als ein Delikt der Extreme: Schließlich wurde mitten im Wald ein Transporter voller Bauschutt abgeladen. In dem Müll wurden Hinweise auf eine Tatperson entdeckt, welche die beiden Ermittler am Mittag zur Rede stellen möchten. 10.000 Tickets flattern jährlich per Mail, über Telefon oder über die städtische Abfall-App bei den „Waste Watchern“ in Pforzheim ein. Ein Ticket ist eine gemeldete Müllablagerung. Am Vormittag stehen für Behr zwei solcher Tickets auf dem Plan. Vorerst alleine macht er sich auf den Weg und navigiert durch den Stadtverkehr.

Anfahrt durch Problemstraßen

„Da liegt schon wieder was“, sagt Behr, während er durch „Problemstraßen“ fährt, wie er sie nennt. Auf dem Weg zum ersten Ticket kommt er an Waschmaschinen, Schränken und Säcken voll Unrat vorbei, die auf den Gehwegen liegen. Immer wieder hält er unplanmäßig an, stülpt sich schwarze Gummihandschuhe über und lädt die Säcke in den Kofferraum. 

Umweltbewusst, sagt Behr, war er schon immer. So wurde er erzogen. Sein Vater ist jemand, der das Papier von der Wurstpackung trennt, und dann kommt das eine in den gelben Eimer und das andere in den Papiermüll. Der 36-Jährige ist seit über zwei Jahren bei den „Waste Watchern“. 2020 wurde diese Stelle im Rahmen eines Sicherheits- und Sauberkeitskonzepts der Stadt eingeführt. Das oberste Ziel: ein sauberes Stadtbild, indem Personen, die ihren Müll ordnungswidrig entsorgen, aufgespürt und sanktioniert werden. 

Der erste Fall

Behr ist am ersten Ticket angekommen. Eine Person hat eine Meldung über die Abfall-App eingereicht. Koordinaten übermitteln, Foto schießen und das Ticket landet direkt im Büro der „Waste Watcher“. Der Tatort: ein Blumenkasten um einen Baum, verziert mit Plastiktüten, Farbeimer und pinken Gummistiefeln. Er zieht sich Handschuhe an und fotografiert die Ablagerung, bevor er den inspizierten Fund in den bereits vollen Kofferraum einlädt. 

Verständnis für Mülldelikte hat Behr nicht. Oft ist es die Unwissenheit der Leute darüber, wie man mit Abfall umgeht. Gerade von Älteren oder von Personen, die einen geringeren Bildungsstand haben, erzählt er. Infozettel zur Mülltrennung sollen aufklären und werden dann an die Tonnen geklebt. Auch Hinweiszettel für „Verschenken-Boxen“ gibt es, denn diese gelten abseits von Privatgelände als illegale Ablagerung. Manche Menschen seien jedoch unbelehrbar, sagt er. Oder wollen erst dann lernen, wenn es an den Geldbeutel geht, ergänzt Kollegin Tanja Leicht, Sachgebietsleiterin im Innendienst, in einem Interview.

Ein Müllsack und Wandfarbe wurden in einem Blumenkasten um einen Baum herum abgeladen.
Die meisten Müllablagerungen werden im Radius von 200 bis 300 Metern vom Herkunftsort abgelegt. | Quelle: Frederike Lange
Ein Kofferraum ist gefüllt mit Müllsäcken.
In diesen Säcken findet Behr eine Plastikflasche ohne Pfand, obwohl die Pfandpflicht in Deutschland diese Flaschen verbietet. | Quelle: Frederike Lange
Daniel Behr durchsucht Müll nach Hinweisen auf eine Tatperson.
Jährlich leiten die „Waste Watcher“ rund 400 Ordnungswidrigkeitsverfahren ein. | Quelle: Frederike Lange

Die Nadel im Müllhaufen

Nach der ersten Tour fährt Behr auf ein Salzlager mit Müllabladeplatz. Hier werden die Funde aus dem Kofferraum gesichtet. Der Hauptgewinn: ein „Adressfund“, wie ein Name oder eine Wohnadresse, und damit ein Hinweis auf die Tatperson. Er reißt eine Tüte nach der anderen auf und durchwühlt die Funde: Nudeln, die platschend in roter Soße schwimmen, Schuhe im Leoprint und ein Meer aus Plastik. Behr ekelt sich schon lange nicht mehr, nur noch bei Fäkalien oder wenn es krabbelt. Er muss aufpassen, dass er sich nicht an Glas oder Spritzen verletzt. Kein Jahr ist es her, dass er Müll in den Kofferraum drücken wollte und plötzlich einen Schmerz spürte. Dann Handschuhe aus. Plötzlich Blut. Behr hatte sich, so vermutet er, an einer Dose geschnitten. Jetzt ist die Spitze an seinem rechten Zeigefinger taub. 

Die Gefahren enden hier aber nicht. 300.000 Tonnen wilder Müll landen pro Jahr in Deutschlands Natur, so das Umweltbundesamt. Damit sind Ablagerungen von Abfällen außerhalb von regulären Entsorgungseinrichtungen gemeint. Batterien, Zigaretten oder Elektrogeräte enthalten Giftstoffe wie Kühlmittel, Blei oder Öle. Bei Regen gelangen die Schadstoffe ins Grundwasser und belasten Mensch, Tier und Umwelt. Tiere schneiden sich an scharfkantigen Abfall oder bleiben in Müll hängen, schreibt die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Die Suchaktion am Salzlager bleibt erfolglos. Über einen erfolgreichen Großfund auf einem Parkplatz erzählt Behr im nachfolgenden Gespräch:

Daniel Behr erzählt von einem spektakulären Fund auf einem Parkplatz und davon, was „ebay Kleinanzeigen“ mit dem Fall zu tun hat. | Quelle: Frederike Lange

Wer sucht, der findet

12.00 Uhr, Mittagspause. Gegessen wird im Team, in der Kantine neben dem Bürogebäude. Es gibt Rouladen und Klöße mit Pilzrahmsoße. Etwas trocken, aber es schmeckt. Zurück am Salzlager wühlt Behr durch den Fund von einem zweiten Ticket, eine Ablagerung aus einer Hecke. Und dann – zwischen Waffelröllchen und Chipspackungen – ein Volltreffer. Er findet einen Adressaufkleber auf einem Pappumschlag. Oft reicht ein einzelner Name aus und die weitere Spurensuche kann einen Verdacht verhärten. Das kann eine Personenbeschreibung sein oder die Farbspritzer am abgelagerten Sofa, die sich mit der Farbe aus dem Hausflur der Verdachtsperson decken. Über das Einwohnermeldeamt kann anschließend eine Person ausfindig gemacht werden. In der Befragung muss daraufhin herausgefunden werden, ob die Person den Müll auch selbst abgelegt hat. Immer öfter werden deshalb Adressdaten aus Verpackungen geschnitten, denn die Arbeit der Ermittler spricht sich herum.

Der Hausbesuch

Beweisbilder, Check. Adresse, Check. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde Bauschutt im Wald entsorgt. Spaziergänger haben die Ablagerung gemeldet. Jetzt sind Behr und Kollege Grobs unterwegs, im weißen Twingo. Im Wohngebiet herrscht Mittagsruhe. Sie steuern ein silbernes Gartentürchen an, den Wohnort der Zielperson. Dort angekommen, öffnet eine alte Dame die Tür. Der Verdächtige ist nicht da, doch die Ermittler erhalten einen Hinweis, wo sie ihn antreffen können. Daraufhin geht es in ein Kaufhaus in der Innenstadt. Sie ziehen einen jungen Mann aus einem Laden heraus und werden dabei von neugierigen Passanten beobachtet. Grobs verhört den jungen Mann und zeigt ihm die Bilder vom Tatort. Der Verdächtige scheint unwissend und Behr dokumentiert die Stellungnahme. Immer wieder laden auch organisierte Müllbanden Bauschutt in Pforzheims Wäldern ab, sagt Leicht, Sachgebietsleiterin. Die Entsorgenden nehmen Geld für einen Auftrag an und versprechen, den Abfall ordnungsgemäß zu entsorgen. Stattdessen landet der Müll im Wald und die Spurensuche beginnt. Wo gibt es eine Baustelle? Welche Mitarbeitenden haben den Bauschutt entsorgt? 

Eine Alternative zu den „Waste Watchern“ bietet die „Aktion Saubere Stadt“ der Stadtreinigung. Um den April herum beginnt für Motivierte eine Woche lang das Um-die-Wette-sammeln von Abfall. 2025 wurden so 55,5 Kubikmeter Müll gesammelt. Viele Stoffe bleiben lange nach dem Wegwurf in der Natur liegen. Besonders erschreckend findet Behr, wenn er auf Abfall von vor seiner Zeit stößt. Getränkedosen zum Beispiel, denn diese brauchen 500 Jahre, bis sie sich zersetzen.

Die Infografik zeigt die durchschnittliche Zerfallszeit von Stoffen in der Natur.
Die Infografik zeigt die durchschnittliche Zerfallszeit von Stoffen in der Natur.
Quelle: SaarForst Landesbetrieb. Aufbereitet durch Frederike Lange.

Spuren, die bleiben

Manche Funde wie Hundeschädel oder Schulranzen mit Höschen bleiben im Kopf. Da kreisen die Gedanken. „Im Müll anderer kann man lesen, was für eine Art Mensch jemand ist“, so Grobs. Manche Zielpersonen sind auch unauffindbar. Wie damals. Junges Mädel, Ende 20, Drogen- und Rotlichtmilieu. „In dem Fall hängt ein Schicksal dahinter.“ Allerlei persönliche Unterlagen von ihr wurden auf einem Parkplatz gefunden und sie war verschwunden. Der Fall wurde dann an die Polizei übergeben.

„Im Müll anderer kann man lesen, was für eine Art Mensch jemand ist.“

Martin Grobs, Waste Watcher

Das Arbeitsfeld der „Waste Watcher“ ist vielfältig: Müll-Hotspots kontrollieren, Ratten-Probleme bekämpfen und ermitteln. Bei Infoveranstaltungen setzt man auf Aufklärung. Ebenso werden Umweltpuppentheater und Mülltrennspiele für die Kleinsten angeboten. Die Kinder geben das Gelernte dann an ihre Eltern weiter. Seit der Einführung der „Waste Watcher“ sei Pforzheim, was die Müllbehälter und den Sperrmüll angehe, sauberer geworden, sagt Leicht. Auf die Frage, ob durch die „Waste Watcher“ weniger Müll vorhanden ist, antwortet ein Bürger so: „Weniger nicht, aber dafür ist der Müll schneller weg.“ Er meint, es wird mehr ausgenutzt, irgendwo Säcke abzustellen, weil man weiß, dass da jemand kommt und es abholt. 

14.54 Uhr, die Patrouille endet im Büro. Die Mittagssonne hat den Frost von den Autodächern geschmolzen. Behr wünscht sich, dass Bürger*innen keine Scheu haben, Delikte zu melden. Niemand muss Sorge haben, deswegen angefeindet zu werden. Immerhin geht es um unsere Umwelt.