Das weiche Fell, die Ringellocken zwischen den kleinen Fingern, die Wärme der Körper. Es entsteht eine Nähe, eine Verbindung, ein Vertrauen. 

Nele Strahl

Das weiche Fell, die Ringellocken zwischen den kleinen Fingern, die Wärme der Körper. Es entsteht eine Nähe, eine Verbindung, ein Vertrauen. 

Nele Strahl

Therapeutin, Hund und Patient. Zusammen bekämpfen sie Ängste und überwinden sowohl motorische als auch emotionale Herausforderungen. 

Nele Strahl

Therapeutin, Hund und Patient. Zusammen bekämpfen sie Ängste und überwinden sowohl motorische als auch emotionale Herausforderungen. 

Nele Strahl

Hindernisparcour statt Therapiecouch?

Hindernisparcour statt Therapiecouch?

Tinka und Lucy, zwei Kolleginnen, sitzen stillschweigend nebeneinander. In ein paar Minuten ist es so weit: Sie dürfen ihre therapeutischen Kenntnisse erneut unter Beweis stellen. Da hören Tinka und Lucy die Patientin durch den Hof laufen und die Treppe hocheilen. Eine schwarze Tür versperrt ihnen die Sicht. Gedämpft dringen die Worte der Patientin zu ihnen durch. Sie erzählt von ihrem Tag. Von ihrem Stress. Endlich wird die Tür aufgemacht und die beiden erblicken das Mädchen. Sie ist 14 Jahre alt. Tinka und Lucy kennen sie schon ein paar Monate. Die beiden setzen sich vor das Mädchen und warten ihre Reaktion ab. 

Tinka und Lucy sind Therapiehunde. 

Die Patientin heißt Sarah*. Sie leidet unter einer Essstörung und war 2024 für mehrere Monate in einer Klinik. Zurück in ihrem Alltag besucht sie schon seit Februar die tiergestützte Ergotherapie von Strahl. Die beiden Hündinnen Lucy und Tinka sind ihr ans Herz gewachsen. Doch so süß die Namen auch sind: Haushunde sind Nachfahren der Wölfe. Früher wurden sie als Wach- und Jagdhunde genutzt, heute als Therapiehunde. Ein Trend, eine Gefahr oder eher eine Innovation? 

Ein Rückzugsort für Mensch und Tier

Strahl sitzt kniend auf dem Boden und bereitet sich auf die Therapiestunde mit ihrer Patientin Sarah vor. Sie ist gelernte Ergotherapeutin und bietet nun seit neun Jahren tiergestützte Ergotherapie in Pfinztal an. Ihre Räumlichkeit befindet sich oberhalb einer Scheune auf dem Grundstück der Familie Strahl. Ein großer Vorhof mit vielen Sträuchern, kleinen Bäumchen und rosa-pinkfarbenen Hortensien zieren den Eingang. Rote Rosen erklimmen an der gelben Fassade den Weg zur Sonne und begleiten die Patient*innen die Treppe hinauf in den Praxisraum.

Strahl geht innerlich noch einmal den Plan für die Stunde durch. Sie richtet sich ihre Materialien her und sucht in einer großen alten Holzschublade nach den richtigen Spielen. Vor der großen Backsteinmauer, die das Licht der Sonne in einen warmen Ton verwandelt, steht eine schwarze Hundebox, circa einen auf einen Meter.

Das ist der Rückzugsort für die drei Hündinnen und bei jedem Einsatz dabei. Eine goldene Regel: die Box ist stets verschlossen, wenn die Patient*innen die Räumlichkeit betreten und wird nur gemeinsam geöffnet. 

Nele Strahl

Das ist der Rückzugsort für die drei Hündinnen und bei jedem Einsatz dabei. Eine goldene Regel: die Box ist stets verschlossen, wenn die Patient*innen die Räumlichkeit betreten und wird nur gemeinsam geöffnet. 

Nele Strahl

So auch als Sarah an der Tür klingelt. Strahl öffnet über den elektrischen Türöffner das Tor. Sarah eilt über den Innenhof und fängt schon unten an, über ihr Leichtathletik-Training zu erzählen. Das schlanke Mädchen trägt ihre braunen Haare in einem lockeren Zopf, ein großes, schlichtes T-Shirt und eine helle Jeans. In der Wohnung angekommen, schlüpft sie gekonnt aus ihren Schuhen, eilt in die zweite Etage und plumpst auf den Teppich. Strahl setzt sich ihr gegenüber und erklärt Sarah, dass eine der Hündinnen namens Fine momentan krank ist und daher nicht an der Therapiestunde teilnehmen kann. Fine ist Strahls dritter Hund, ein Foxred Labrador, gerade 4 Jahre alt geworden und eine wahre Bereicherung für die Ergotherapeutin. 

Fine ist fast doppelt so groß wie die beiden Cockapoos Tinka und Lucy und daher eine Herausforderung für viele Patient*innen. „In Fine steckt eine ganz andere Kraft und wenn die Kinder sie durch den Parcour führen, dann gibt das einen richtigen Selbstbewusstseinskick,“ erzählt Strahl. Sarah durchläuft die verschiedenen Parcours mittlerweile mit Bravour, so übt sie zum Beispiel Slaloms mit gegenläufigen Bewegungen, komplexe Aportierarbeiten und eine Vielzahl an Tricks. Diese kontrollierten Herausforderungen bestärken und festigen Sarahs Selbstwert. Ziel ist es, dass sie die Therapiestunde mit einem stolzen Gefühl verlässt. 

3 Behandlungsfelder in der tiergestützten Ergotherapie: 

 

1. Der sozioemotionale Bereich stärkt
  • die Kommunikation
  • das Selbstbewusstsein
  • die Frustrationstoleranz
  • die Impulskontrolle
2. Im kognitiven Bereich werden geübt
  • die Konzentration
  • die Handlungsplanung
  • das Gedächtnis
  • die Orientierung
3. Der sensomotorische Bereich thematisiert
  • die Sensibilität
  • die Grob- und Feinmotorik
  • die Koordination
  • das Gleichgewicht

Eine tierische Lektion

Während Sarah und Strahl auf dem Boden sitzen, geben Tinka und Lucy keinen Ton von sich. „Wollen wir die beiden rausholen?“, fragt Strahl. Sarah nickt. Strahl öffnet den Reißverschluss und zu sehen sind zwei kleine Hündinnen, die eine mit schwarzem, die andere mit weißem Fell. Sie sitzen mit wedelndem Schwanz da und warten. Erst als Sarah die beiden ruft, eilen sie zu ihr. Vorsichtig begrüßen die Cockapoos ihre Patientin. Sarah lächelt und streichelt die Hündinnen. Sobald die Kuscheleinheit beendet ist, richtet Sarah ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Therapeutin. „Wir hatten es ja letzte Stunde kurz über das Perfektsein und damit würden wir uns heute nochmal beschäftigen“, sagt Strahl. 

Essstörungen hängen oft mit dem Streben nach Fehlerlosigkeit und Perfektionismus zusammen. Doch was und wer ist perfekt? Diese Frage möchte Strahl an diesem Nachmittag thematisieren. Das beste Beispiel: Ihre Hunde. Ein großer Teil der tiergestützten Therapie ist nicht nur die Arbeit mit ihnen, sondern auch das Gespräch über die Hunde. Sarah kennt die Tiere mittlerweile sehr gut. Sie hat Vertrauen zu ihnen gefasst und schon einige Erfahrungen mit den Hunden gemacht. Heute geht es Strahl um das Reflektieren der Verhaltensweisen und Charakterzüge. Damit baut sie eine Brücke zu menschlichen Persönlichkeiten, mit all ihren positiven und vermeintlich negativen Eigenschaften. 

„Hunde bilden eine Brücke zwischen Therapeut und Kind. Sie eröffnen einen positiven Zugang zueinander.“

Nele Strahl, tiergestützte Ergotherapeutin

Ungefährlich dank Ausbildung

Strahl zaubert drei unausgefüllte Steckbriefe mit den Bildern von Fine, Tinka und Lucy hinter ihrem Rücken hervor. „Doch wir beschreiben heute natürlich nicht, wie die drei aussehen. Das wäre langweilig, oder?“, fragt Strahl. Sarah gluckst.

Zusammen gehen die Ergotherapeutin und die Patientin die Eigenschaften der Hunde durch, auch die, die nicht perfekt und manchmal anstrengend sein können.

Nele Strahl

Zusammen gehen die Ergotherapeutin und die Patientin die Eigenschaften der Hunde durch, auch die, die nicht perfekt und manchmal anstrengend sein können.

Nele Strahl

Lucy, die Älteste der Dreien, ist manchmal ein wenig hektisch, immer unter Strom und sorgt oft für ein Lachen. 

Nele Strahl

Lucy, die Älteste der Dreien, ist manchmal ein wenig hektisch, immer unter Strom und sorgt oft für ein Lachen. 

Nele Strahl

Tinka hingegen ist manchmal ein wenig unkonzentriert, dafür aber sehr verschmust und ruhig. 

Nele Strahl

Tinka hingegen ist manchmal ein wenig unkonzentriert, dafür aber sehr verschmust und ruhig. 

Nele Strahl

Die jüngste Hündin, Fine, ist oft aufgeregt, doch meistert die schwierigsten Aufgaben mit der höchsten Konzentration.

Nele Strahl

Die jüngste Hündin, Fine, ist oft aufgeregt, doch meistert die schwierigsten Aufgaben mit der höchsten Konzentration.

Nele Strahl

Während die beiden die Steckbriefe ausfüllen, liegt Tinka neben Sarah und lässt sich kraulen. Lucy hingegen eilt kurz die Treppe hinunter und rennt kurz darauf schwanzwedelnd wieder hoch. In dem Raum entsteht keine Stille. Strahl und Sarah unterhalten sich, beide im Schneidersitz auf dem Boden, mit stetigem Blickkontakt. Die Aufmerksamkeit der Therapeutin ist dennoch zweigeteilt, schließlich muss sie ihre Hunde immer im Blick behalten. Eine Herausforderung in der tiergestützten Therapie, die man in einer Ausbildung lernt und übt. Strahl bildete alle drei Hunde bei einer Ausbildungsstätte für Therapiebegleithundeteams in Karlsruhe aus. Diese Ausbildung dauert jeweils ein Dreivierteljahr und beinhaltet acht Wochenenden, in denen man seinen Hund einschätzen, lesen und lenken lernt. Rechtlich wird jedoch keine Ausbildung verlangt. So kann jede*r eine tiergestützte Therapie anbieten, ohne einen theoretischen oder praktischen Test durchlaufen und ein anschließendes Zertifikat erlangt zu haben. Zwar braucht man für entgeltliche Arbeiten mit seinem Hund einen Sachkundenachweis vom Veterinäramt, doch die Richtlinien dafür unterscheiden sich stark zwischen Bundesländern sowie Stadt- und Landkreisen. Strahl sieht darin eine große Gefahr, schließlich müsse man seinen Hund kontrollieren und einschätzen können. Unausgebildete Menschen würden zu wenig Fachkenntnisse haben und daher ein großes Risiko für die Patient*innen darstellen. 

Ausbildung als Therapiebegleithundeteam

 

Was lernt man in einer Ausbildung
  • das Kommunikations- und Lernverhalten des Hundes
  • Trainingsgrundsätze und nonverbale Führung
  • Stressanzeichen beim Hund und der Umgang mit Bedrängungssituationen
  • sicheres Verhalten unter Ablenkung
  • rechtliche Voraussetzungen und Vorbereitung auf den Einsatz
  • Hygiene, Dokumentation, Versicherungen und Formalitäten
  • Besonderheiten verschiedener Behinderungsformen und Krankheitsbilder
  • Anwendungs- und Einsatzmöglichkeiten 
  • Planung und Dokumentation von Einsätzen
  • die Gesundheit des Hundes und vieles mehr 

Reflektion statt Aktion

Sarah notiert ein paar Stichpunkte, die sie immer wieder von Strahl absegnen lässt. Sie lachen viel. Als hätte die schwarze Hündin zugehört, kommt sie zu Sarah und dreht ihr den Rücken zu. Eine Aufforderung zum Streicheln. Nachdem die Steckbriefe ausgefüllt wurden, bittet Strahl Sarah, nächstes Mal ein Bild von sich mitzubringen, auf dem sie sich wohlfühlt. Das wird bei der nächsten Therapiestunde auf den Steckbrief von Sarah geklebt und ausgefüllt. „Was ich toll fände, wenn du aus der Stunde mitnimmst, dass wir über alle, über Hunde, deine Freunde, deine Eltern oder mich, einen Steckbrief schreiben könnten und wir bei allen Eigenschaften finden, die auf manche positiv und auf andere negativ wirken.“ 

Anders als oft vermutet, spielt die theoretische Auseinandersetzung über die Erziehung, die Charaktere und das Verhalten der Hunde eine große Rolle in der tiergestützten Ergotherapie. So spielt Sarah nur zum Schluss für ein paar Minuten das Spiel namens Yenga mit den Hunden. Dabei drehen die Hunde mit ihren Pfoten einen farbigen Würfel und das jeweilige bunte Hölzchen muss Sarah aus dem Turm ziehen.

Im Laufe des Spiels dreht Lucy immer mehr auf. Sie möchte kaum mehr zurück in die Box, will immer wieder zum Würfel. Schnell drehen. Schnell ein Leckerli. Plötzlich wirft sie fast mit ihrem wedelnden Schwanz den ganzen Turm um. Strahl schreitet ein und schickt sie für eine Pause in die Box. „Seinen eigenen Hund zu kennen, ist ein absolutes Muss in der tiergestützten Therapie. Nur so kann man rechtzeitig eingreifen“, erklärt Strahl. Sie ist sich sicher, dass es eine der schlimmsten Erfahrungen sowohl für Hund als auch Patient*in wäre, wenn sich jemand verletzt oder eine Partei Angst bekommen würde. Das Wissen und die Erfahrung mit den Hunden benötigt jedoch eine professionelle Ausbildung sowie regelmäßiges Hundetraining. Eine Arbeit, die Strahl gerne macht und die eine hohe Priorität für sie hat. 

Als die 45 Minuten zu Ende gehen, werden Lucy und Tinka zurück in die Box geschickt. Sarah verabschiedet sich von Strahl. Die Patient*innen verlassen eine tiergestützte Therapie nachgewiesenermaßen mit einem gesenkten Blutdruck und Cortisolspiegel sowie einer vermehrten Ausschüttung von Oxytocin, was zu Entspannung, Stressregulation und einer vertrauensvollen Bindung beiträgt.

 

*Der Name der Protagonistin wurde geändert, ist der Redaktion jedoch bekannt.

Kurz davor darf Lucy auf Sarahs Wunsch noch einmal den Turm umwerfen.  

Kurz davor darf Lucy auf Sarahs Wunsch noch einmal den Turm umwerfen.  

Ein Tag geht zu Ende, in dem Strahl mit ihren Hunden wichtige Impulse setzen konnte, mithilfe einer professionellen Ausbildung und einer Menge Einfühlungsvermögen.

Ein Tag geht zu Ende, in dem Strahl mit ihren Hunden wichtige Impulse setzen konnte, mithilfe einer professionellen Ausbildung und einer Menge Einfühlungsvermögen.