Fanliteratur 5 Minuten

Fanfiction: Was uns an #Dramione und Co. fasziniert

Man sieht eine Person am Schreibtisch, die auf einem Laptop eine Datei mit dem Titel Fanfiction liest.
Was fasziniert uns an Fanfiction? | Quelle: Anne Seelmann
17. Mai 2024

Eine Suchanfrage, mehr als 400.000 Ergebnisse auf einer Plattform. Fanfictions boomen. Besonders das Harry Potter Fandom und Geschichten rund um Hermione Granger und Draco Malfoy, kurz #Dramione, sind gefragt. Aber was fasziniert uns an Fanfiction?

Um den Boom von Fanfictions beurteilen zu können, lohnt sich ein Blick auf die Nutzer*innen- und Uploadzahlen. Das vorrangige Portal in Deutschland, FanFiktion.de, verzeichnet mehr als 250.000 registrierte Nutzer*innen. Obwohl es die Plattform bereits seit 2004 gibt, werden pro Woche mehr als 6.000 Geschichten aktualisiert. Das sind mehr Uploads als eingeschriebene Studierende an der Hochschule der Medien. 

Was sind eigentlich Fanfictions?

Fanfictions sind Geschichten, die von Amateur-Autor*innen verfasst werden und auf bereits bestehenden Werken basieren. Darunter fallen unter anderem Bücher, Filme und TV-Serien. Beim Schreiben wird dabei auf bestehende Welten und Charaktere zurückgegriffen, die Handlung jedoch maßgeblich verändert. Oft werden auch eigene Charaktere entwickelt, die Seite an Seite mit den bekannten Figuren die Geschichte durchleben. Die verfassten Fanfictions werden auf besonderen Plattformen, wie FanFiktion.de, Fanfiction.net oder Wattpad.com, veröffentlicht.

Quelle: Urban Dictionary

Betrachtet man die Anzahl der verfügbaren Geschichten, lässt sich für Literatur-Fanfictions ein klarer Gewinner erkennen: Das Fandom rund um Harry Potter erzielt auf den Plattformen AO3, Fanfiction.net und FanFiktion.de die meisten Geschichten. Aber auch zu weniger bekannten Werken oder Serien lässt sich Fanliteratur finden, beispielsweise zu Cosmo & Wanda. Kurzum: Zu nahezu jedem Buch, jeder Serie und jedem Film aktueller Popkultur gibt es Fanfictions.

Dass aus diesen Fangeschichten auch eigenständige Werke – mit wiederum weiterführenden Fanfictions – werden können, zeigt das Beispiel von Fifty Shades of Grey. Diese ehemalige Twilight-Fanfiction erzählt eine alternative Geschichte, in der Edward und Bella als menschliche Charaktere aufeinandertreffen. Die Veröffentlichung durch einen Independent-Verlag und den Knopf Verlag in den USA brachte den großen Durchbruch. Jedoch ist diese Erfolgsgeschichte kein Einzelfall: Auch die After-Reihe startete ursprünglich als Fanfiction über die Boygroup One Direction. 

„Aber das Wichtigste ist, dass man es versucht! [...] Perfektion entsteht nie, ohne dass man auch scheitert.“

queenieVM, Fanfiction-Autorin

Selbst wenn es nicht zum großen Durchbruch kommt, ist es den Verfasser*innen dennoch möglich, ihre Arbeit zu vermarkten. Die Plattform Wattpad bietet aktuell in einer Testphase sogenannte Autoren-Abonnements an, die der Leserschaft nach Zahlung den Zugang zu exklusiven Titeln oder Kapiteln ermöglicht. 

Was bewegt Menschen dazu, Fanfictions zu schreiben?

QueenieVM, Autorin der Harry Potter Fanfiction „When Hermione Fights“, erzählt: „Irgendwann gab es keine guten Harry Potter Fanfictions mehr und dann denkt man sich, man kann es besser. Harry Potter kann als Kinderbuch wortlos so stehenbleiben. Ich finde aber, dass zu wenig Lehren daraus gezogen werden, die in der Geschichte an sich jedoch gut angelegt sind. Es wäre schön gewesen, wenn der Krieg einen Effekt gehabt hätte, sodass sich schon in der Generation von Harry, Hermione und Ron etwas ändert. Das fand ich ein bisschen zu kurz gedacht.“

Sind Fanfiction-Fans also unzufrieden mit dem Original?

Eine pauschale Antwort auf diese Frage lässt sich nicht finden. Zumindest teilweise scheint diese Vermutung zuzutreffen. Hannah E. (24), Sozialpädagogin in der offenen Jugendarbeit und inaktive Fanfiction-Leserin, antwortet auf diese Frage: „Manchmal sicherlich. Die größte ‚Unzufriedenheit‘ mit dem Original ist für mich wahrscheinlich, wenn es endet. An der Stelle können Fanfictions ganz gut ansetzen.“ Mia B. (24) hingegen liest nach ihrer Arbeit als MTA aktiv Fanfictions und mag es, dadurch mehr über Nebencharaktere zu erfahren, die im Original zu kurz kommen. Sie meint: „Das heißt nicht, dass ich mit dem Ablauf der ursprünglichen Fassung per se nicht zufrieden bin, denn würde ich die Welt, den Grundriss des Plots und die Charaktere nicht mögen, würde ich in diesem Fandom keine Fanfiction lesen.“ 

Für Autorin queenieVM macht auch das Unerwartete den Reiz von Fanfictions aus. „Die Fantasie der Leser ist grenzenlos und ich wurde immer wieder mit absolut verrückten, aber interessanten und völlig neuen Ideen konfrontiert. Das bringt einen manchmal an seine Grenzen und nicht immer gefällt einem, wohin die Geschichte geht, aber es erweitert definitiv den Horizont.“ 

HdM-Studentin Sophia T. (25) hat bisher noch keine Fanfiction gefunden, die sie wirklich überzeugt hat. „Immer gleiche Storylines über Protagonisten, die sich nur durch ihre überzeichnete Individualität charakterisieren, sind in meiner Wahrnehmung exemplarisch für Fanfictions. Da sind mir die Charaktere, ihre Entwicklung, falls es überhaupt eine gibt, und die Storyline einfach zu dünn.“ Dennoch übt diese Welt auch auf sie eine gewisse Anziehungskraft aus: „Trotzdem reizt mich das Phänomen Fanfiction. Dieses Reinfühlen in eine Serien- oder Film-Welt, das Weiterspinnen von Büchern und bekannten Charakteren hat ein Potenzial, das ich unglaublich spannend finde.“

Welche Rolle kann Fanfiction im Leben junger Menschen zukommen?

Für queenieVM geht das Thema Fanfiction weit über das Lesen hinaus. Schließlich können durch die Vernetzung über dieses Hobby nicht nur Communities, sondern auch Freundschaften entstehen. Sie findet es wichtig, durch das Schreiben die eigene Kreativität zu fördern. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass hinter den Original-Werken nicht nur die Verfassenden, sondern auch ein großes Team steht, das die Geschichte optimiert. „Aber das Wichtigste ist, dass man es versucht! Heutzutage wird alles so schnell niedergemacht und es wird immer erwartet, dass jeder perfekt ist. Aber Perfektion entsteht nie, ohne dass man auch scheitert.“

Fanfictions sind nur ein paar Klicks entfernt, täglich kommen neue Geschichten und Kapitel hinzu. Offenbar ist der Trend gekommen, um zu bleiben. Wenn es eine Geschichte schafft, die Person auf der anderen Seite des Buchs – oder des Screens – emotional zu packen, sie mitfiebern und bangen lässt, ist es dann noch wichtig, ob die Autor*innen das Schreiben als Beruf oder Berufung ansehen?

Mehr über die Autorin queenieVM und ihre persönlichen Erfahrungen mit Fanfictions erfahrt ihr im Audioschnipsel.

Transparenzhinweis: Mia B., Hannah E. und Sophia T. stammen aus dem Freundeskreis der Autorin.