Europas Rechtswende: Demokratie und autoritäre Tendenzen im Widerstreit
Die Europäische Union steht vor einer ihrer größten Herausforderung
In verschiedenen Mitgliedstaaten Europas lässt sich seit einigen Jahren ein alarmierender Trend beobachten: ein Rechtsruck, der die politische Landschaft nachhaltig verändert. Diese Entwicklung wirft nicht nur Fragen zur Zukunft der EU auf, sondern hat auch weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Politik und die internationalen Beziehungen. Die Liste der Forderungen ist lang, doch welche Probleme gibt es in den Ländern, in denen rechtspopulistische Parteien an der Regierung beteiligt sind und welche Forderungen haben die Rechtspopulisten überhaupt?
In vielen europäischen Länder gewinnen rechtspopulistische Parteien an Zustimmung, die sich für eine Begrenzung der Zuwanderung starkmachen, eine Stärkung der Nationalstaaten fördern und die europäischen Institutionen schwächen möchten. Diese Parteien scheinen das Vertrauen der Bürger*innen zu gewinnen, da sie ihnen oft die einzige Lösung für die Herausforderungen in der Zukunft sehen.
Jede Aktion hat eine Reaktion, also wieso fordern diese Parteien solche Sachen? Was hat die Fraktionen dazu gebracht, so zu denken?
Die Ursachen für den Rechtsruck sind vielseitig und komplex. Aktuelle Probleme, wie die unsichere Wirtschaftslage, soziale Ungleichheit, Ängste vor Einwanderung und kultureller Wandel, spielen eine entscheidende Rolle bei der Mobilisierung rechtspopulistischer Bewegungen. Der Vertrauensverlust in etablierte politische Eliten und Institutionen verstärkt diesen Trend zusätzlich.
Die wirtschaftliche Unsicherheit ist eine der Hauptursachen für den Rechtsruck. Seit der Finanzkrise 2008 haben sich sozioökonomischen Ungleichheiten weiter verschärft. Die Hans-Böckler-Stiftung hat in umfangreichen Forschungsarbeiten untersucht, wie sich die wirtschaftliche Ungleichheit und Armut auf das Vertrauen in politische Systeme auswirken und diese untergraben können. Ihre Studien belegen, dass Menschen in wirtschaftlich prekären Verhältnissen dazu neigen, antidemokratische Einstellungen zu entwickeln, insbesondere wenn sie sich gesellschaftlich und politisch marginalisiert fühlen. Diese Tendenzen können durch mehrere Faktoren verstärkt werden: Die Stiftung betont, dass Armut nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein gesellschaftliches Problem darstellt, da sie die gesellschaftliche Teilhabe einschränkt. Menschen in Armut haben oft weniger Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und anderen sozialen Ressourcen, was zu einem Gefühl der Isolation und des Ausgeschlossenseins führt. Dieses Misstrauen wird häufig durch die Wahrnehmung verstärkt, dass politische Entscheidungstragende die Interessen der ökonomisch Benachteiligten nicht angemessen vertreten.
Der zunehmende Vertrauensverlust in etablierte politische Institutionen und Eliten in Europa verstärkt den Rechtsruck zusätzlich. Die Bürger*innen haben das Gefühl, nicht gehört zu werden, und suchen daher nach alternativen politischen Lösungen. Rechtspopulistische Parteien wie das Rassemblement National (Frankreich) und die Fratelli d'Italia (Italien) versprechen einfache Antworten auf komplexe Probleme und vermitteln ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit. Diese zwei Parteien sind Teil der rechtspopulistische Fraktionen EKR (Europäische Konservative und Reformer) und ID (Identität und Demokratie) im Europa-Parlament und haben eine Gesamtanzahl von 162 Sitzen, die auch dasselbe versprechen. Ob deren Vorsatz, mehrere Sitze zu gewinnen, erfolgreich sein wird, lässt sich noch bestreiten.
Obwohl diese zwei Fraktionen ähnliche Ideen haben, bilden sie keine gemeinsame Fraktion. Wieso aber?
Die mangelnde Kooperation zwischen den beiden Fraktionen ist vornehmlich auf ideologische Unterscheide und strategische Inkompatibilitäten zurückzuführen. Die EKR ist eher gemäßigt euroskeptisch, pro-NATO und wirtschaftsliberal, während die ID stärker nationalistisch, anti-globalistisch und oft pro-russisch orientiert ist. Diese Unterschiede erschweren die Zusammenarbeit in wichtigen politischen Fragen. Des Weiteren ist die ID-Fraktion stark dezentralisiert organisiert, was die Abstimmung mit der eher zentralisierten EKR erschwert. Schließlich ist die EKR bestrebt, ein modernes Image zu bewahren und vermeidet daher eine engere Kooperation mit der ID, um nicht mit extremen Positionen in Verbindung gebracht zu werden.
Die Auswirkungen des Rechtstrends
Der Rechtstrend in Europa hat weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft in verschiedenen Ländern und führt zu verstärkter Polarisierung und Spaltung. Diese Dynamik wird durch Debatten über Themen wie Migration und nationale Identität weiter angefacht. Empirische Studien belegen, dass rechtspopulistische Parteien eine gefühlsmäßige Polarisierung zwischen den Anhängern rechtspopulistischer Parteien und denen der Mainstream-Parteien gegenzeichnet ist. Die Polarisierung wird durch die nationalistischen und populistischen Ideologien der rechtspopulistischen Parteien verstärkt, insbesondere, wenn diese Parteien an der Regierung beteiligt sind. Dies führt zu einer Verstärkung politischer Gegensätze und erschwert Kompromisse, was schwerwiegende Folgen für die Funktionsfähigkeit liberaler Demokratien haben kann.
Es besteht die Möglichkeit, dass der Einfluss der rechtspopulistischen Parteien weiterhin zu einer Zunahme der politischen und sozialen Polarisierung führen wird. Dies könnte die Spannungen innerhalb der europäischen Gesellschaften weiterhin verschärfen, besonders im Hinblick auf die bevorstehenden Europawahlen. Diese Entwicklungen werfen die Frage auf, wie man ein tiefgreifendes Verständnis der zugrundeliegenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren gewinnen kann. Nur so lässt sich die Grundlage für Ansätze zur Stärkung der sozialen Kohäsion schaffen und können die Herausforderungen, die durch den Rechtstrend und die zunehmende Polarisierung entstehen, wirksam bewältigt werden.
Die Zukunft ist nicht rosig, aber können wir es verbessern?
Die Prognosen für die Wahlen 2024 lassen erkennen, dass die rechtspopulistischen Fraktionen im Europäischen Parlament, einschließlich der ID und EKR, möglicherweise bis zu 25 Prozent der Sitze gewinnen können. Dies stellt ein beachtlicher Anstieg dar und könnte die politische Landschaft im Parlament merklich nach rechts verschieben. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass die etablierten europäischen Kräfte wie die EPP und S&D und Renew Europe weiterhin eine Mehrheit halten können.
Aktuelle Entwicklungen weisen darauf hin, dass es wichtig ist, die Ursachen und Auswirkungen des Rechtsrucks zu untersuchen und konstruktive Lösungen zu finden. Dazu zählen Bemühungen, die politische Beteiligung zu steigern, Bildungsprogramme zu fördern und gezielte Strategien zur Bekämpfung von Desinformation und Hassreden zu entwickeln. Europäische Maßnahmen zielen darauf ab, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken und politische wie wirtschaftliche Herausforderungen auf EU-Ebene integrativ zu bewältigen. Diese Ansätze sollen gezielt auf die politischen und sozialen Unzufriedenheiten reagieren, die von Populist*innen instrumentalisiert werden.
Der Weg zu einer inklusiven Zukunft für Europa führt nur über ein gemeinsames Engagement auf verschiedenen Ebenen. Zunächst müssen politische Institutionen und Führungspersönlichkeiten aktiv daran arbeiten, das Vertrauen der Bürger*innen wiederherzustellen.
Dr. Natalie Tocci sagt, dass darüber hinaus eine breite gesellschaftliche Diskussion notwendig sei, um Vorurteile abzubauen und eine Kultur der Toleranz und des Respekts zu fördern. Bildung sei hierbei der Schlüssel, weil sie die Menschen in die Lage versetze, komplexe gesellschaftliche Herausforderungen zu verstehen und zu hinterfragen. Medienkompetenz fördere zudem Bürger*innen in der Differenzierung von Fakten und Fiktion und wirke so der Verarbeitung von Desinformationen entgegen.
Auf europäische Ebene sind verstärkte Zusammenarbeit und Solidarität unerlässlich, um den Herausforderungen des Rechtsrucks wirksam entgegenzutreten. Dafür müssen die europäischen Institutionen gestärkt werden. Zudem müssen Mitgliedstaaten in Bereichen wie Migration, Sicherheit und Wirtschaft stärker integriert werden. Nur wenn die Mitgliedstaaten gemeinsam Lösungen entwickeln, können sie den gemeinsamen europäischen Werten und Interessen gerecht werden.