Tatortreinigung

"Das sind Gerüche, die man sich nicht vorstellen kann."

Thomas Kundt reinigt nicht nur Tatorte, sondern räumt auch Messie-Wohnungen aus.
01. Sep 2020

Maden, Blut und Leichenflüssigkeit - damit wird Thomas Kundt bei seiner Arbeit als Tatortreiniger konfrontiert. Als Kind wollte der 41-Jährige eigentlich Schäfer werden. Heute ist Thomas staatlich geprüfter Desinfektor und säubert Wohnungen nach einem Mord oder wenn eine Leiche länger unentdeckt geblieben ist. Ein Gespräch über extreme Gerüche, einen drastischen Berufswechsel und die Freude daran, anderen zu helfen.

Thomas, hast du es jemals bereut, Tatortreiniger geworden zu sein?


Wenn man manchmal einen schlimmen Fall hat, dann gibt es mal Momente, in denen man sagt: „Du hattest so 'nen tollen Job im Büro, dir ging's doch gut.“ Aber das ist meine Berufung, das macht mir Spaß. Ich möchte nichts anderes machen.

Was begeistert dich denn so sehr an diesem Beruf, der für viele Menschen nicht in Frage kommt?


Zum einen, Leute in Situationen zu unterstützen, die ausweglos scheinen. Zusätzlich zur Tatortreinigung helfe ich beispielsweise auch Messies, die Wohnung auszuräumen. Zum anderen, dass man immer wieder mit neuen Herausforderungen umgehen und 'ne Lösung finden muss. Und dass man am Ende des Tages ein Ergebnis hat und sagen kann: „Das haben wir auch hingekriegt, die Wohnung ist jetzt blitzblank.“ Das ist ein wunderbares Gefühl.

Wenn du dich in deine Kindheit zurückversetzt: Was war damals dein Traumberuf?


Ganz am Anfang war mein Traumberuf Schäfer. Ich bin als Kind immer zu einem Schäfer in unserem Nachbarort gegangen. Ich fand das toll, in der Natur und mit den Tieren, das hat mich fasziniert. Das war nach Indianer mein zweiter Traumberuf. Als ich dann in der Schule war, zeigte sich, dass ich gut reden kann und alle haben gesagt: „Du wirst mal der perfekte Verkäufer.“ Da war dann der Traum, Verkäufer zu werden. Tatortreiniger war nicht mein Traumberuf, nie im Leben.

Wie ist es dann dazu gekommen, dass du jetzt seit fünf Jahren Tatortreiniger bist?


Durch einen Grillabend. Ich sammel gerne alte Sachen und hab mit einem Freund ab und zu ein bisschen Wohnungen geräumt. An dem besagten Abend war dann jemand von der Mordkommission da. Und der meinte so nach dem Motto: „Wenn ihr Tatortreinigung macht, dann gibt es richtig interessante Objekte, die ihr im Nachgang vielleicht räumen könnt.“ Da war der Gedanke das erste Mal da, Tatortreiniger zu werden. In dem Augenblick dachte ich: „Okay, das recherchierst du mal.“ Ich hab dann gesehen, dass es keine professionelle Ausbildung gibt. Also hab ich Visitenkarten gedruckt und gesagt, ich mach jetzt Tatortreinigung. Aber eigentlich erst nach dem ersten richtigen Tatort ist mir bewusst geworden, das musst du professionell machen oder gar nicht.

Oh Gott, das machst du nie wieder.

Thomas Kundt nach seinem ersten Fall

Was hast du bei deinem ersten Fall erlebt?


Das war ein Suizid, da hat sich jemand im Waschhaus erschossen. Überall waren eine Menge Blut und andere Körperflüssigkeiten. Das war ein Schockmoment für mich, vor allem, dass da so viel Blut war. Das zu verarbeiten hat dann nochmal vier, fünf Tage gedauert, weil ich gedacht hab: „Oh Gott, das machst du nie wieder.“ Dann hab ich beschlossen, ich mach's richtig. Heute bin ich staatlich geprüfter Desinfektor und leite zusammen mit meinem Geschäftspartner das Unternehmen Desinfekt3. Wie der Name schon sagt, ist Desinfektion der Kern unserer Arbeit. Sprich, wir desinfizieren zum Beispiel Krankenhäuser oder Sportstudios. Zusätzlich haben wir uns darauf spezialisiert, Tatorte und Leichenfundorte zu desinfizieren und zu reinigen. Außerdem räumen wir Messie-Wohnungen.

Was hast du vorher beruflich gemacht?


Ich war im Vertrieb tätig, im Finanz- und Immobilienbereich.

Ein krasser Berufswechsel. Warum hast du dich dazu entschieden?


Ja, das war ein ganz harter Schnitt. Mir hat mein alter Beruf eigentlich gut gefallen. Aber mit meinem professionelleren Auftreten nach meinem ersten Fall kamen dann viele Aufträge. Und die Arbeit macht mir mega viel Spaß, es ist jeden Tag eine neue Herausforderung und ein neues Erlebnis. Dadurch hat es sich so herauskristallisiert, dass das Unternehmen jetzt im Vordergrund meines Handelns steht.

Wie genau desinfizierst du einen Tatort oder Leichenfundort?


Das kommt immer auf die Situation an. Ich werd von Angehörigen, der Kripo oder vom Ordnungsamt gerufen und fahr dann mit mindestens einem unserer acht Mitarbeiter da hin. Wenn wir eine Wohnung reinigen, in der jemand durch ein Verbrechen oder Suizid gestorben ist, dann muss man meistens sehr viel Blut wegmachen. Bei 50 bis 60 Prozent unserer Aufträge desinfizieren wir aber Leichenfundorte. Das sind Fälle, bei denen jemand mindestens einen Monat in der Wohnung lag. Da muss man dann Maden, Leichengeruch und Leichenflüssigkeit entfernen. Als erstes vernebeln wir den Raum. Damit senken wir die Gefahr, dass wir uns mit irgendwas infizieren. Dann reinigen wir den Ort, an dem der Verstorbene lag und weil der Leichengeruch überall anhaftet, müssen wir meistens das Zimmer komplett leer räumen. Dann führen wir eine desinfizierende Grundreinigung durch. Zum Schluss neutralisieren wir den Geruch.

Bei seinen Einsätzen trägt Thomas immer eine Atemschutzmaske.
Spezielle Schutzanzüge und Handschuhe sind Teil der Ausrüstung für Thomas Arbeit.
In Messie-Wohnungen muss sich der Tatortreiniger erst einmal einen Weg durch den Müll bahnen.
Bei seinen Einsätzen findet Thomas immer wieder kuriose und eklige Dinge.

Gab es einen Fall, der dir in Erinnerung geblieben ist?


Ich hatte mal einen Fall, da lag der Verstorbene auf dem Bett unter einer Heizdecke. Die war die ganze Zeit an und dadurch ist ganz viel Leichenflüssigkeit ausgetreten, das ging bis in den Hausflur. Als der Bestatter kam und seine Arbeit machen wollte, ist der darin ausgerutscht und hat sich den Ellenbogen gebrochen. In dem Augenblick ist man betroffen, aber man muss auch schmunzeln. Der Geruch von Leichenflüssigkeit, der Leichengeruch, ist so extrem. Wenn da jemand drin lag, tut der mir leid.

Ich kann mittlerweile schon am Geruch an der Haustür erkennen, wie lang jemand im dritten Stock liegt.

Thomas Kundt

Wie riecht denn „Leichengeruch“?


Das ist ein sehr süßlicher Geruch, den man auch so ein bisschen schmeckt. Der ist so extrem, dass man ihn noch ein paar Tage später in der Nase hat. Für mich ist das aber nicht mehr so schlimm, weil ich das regelmäßig rieche. Ich sag immer, ich kann mittlerweile schon am Geruch an der Haustür erkennen, wie lang jemand im dritten Stock liegt.

Du wirst bei deiner Arbeit ständig mit solchen extremen Gerüchen, aber auch mit Blut oder Maden konfrontiert. Wie hältst du das aus?


Entweder man kann's oder man kann's nicht. Ich hatte auch schon zwei, drei Mal einen Würgereiz, bei Tatortreinigungen aber nicht so oft. Messie-Wohnungen sind schlimmer, wo einfach Lebensmittel in der Wohnung rumliegen, die schon lang verfallen sind. Das sind Gerüche, die man sich nicht vorstellen kann. Als Tatortreiniger braucht man auf jeden Fall einen festen Magen.

Was geht in dir vor, wenn du einen Tatort oder Leichenfundort desinfizierst?


Ich versuch, professionell meine Arbeit durchzuführen und da so wenige Emotionen wie möglich ranzulassen. Ich habe gehört, dass es einen Tatortreiniger gibt, der immer Musik hört. Das könnt ich jetzt nicht. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und würde jeden Tatort mit irgendeinem Lied verbinden.

Als Tatortreiniger braucht man also immer eine gewisse emotionale Distanz. Gibt es auch Fälle, die dir trotzdem nahe gehen?


Bei mir sind das Situationen mit Kindern. Ich bin Papa von 'nem fünfjährigen Sohn. Wenn ein Fall etwas mit Kindern zu tun hat oder wenn ich in einer Wohnung Kinderspielzeug seh, dann trifft mich das natürlich.

Wie gehst du damit um?


Ich versuche, in manchen Fällen zu helfen. Ich spreche zum Beispiel mit dem Jugendamt, wenn ich eine Wohnung räume und seh, dass da Kinder in schlechten Zuständen leben. Wir arbeiten auch eng mit der Organisation „Weißer Ring“ zusammen. Ich helfe bei Fällen von häuslicher Gewalt, indem ich Möbel besorge und den Umzug für die betroffene Person organisiere. Wenn ich in einem Fall nicht helfen kann, versuch ich das auszugleichen, indem ich sozial tätig bin. Ich bin zum Beispiel jedes Jahr an Heiligabend in 'ner Rehaklinik und mach da den Weihnachtsmann.

Was machst du nach einer Tatortreinigung, um das Erlebte zu verarbeiten?


Ich hab so ein kleines Geheimrezept, das mir hilft. Wenn ich mit einem Tatort fertig bin, verabschiede ich mich. Wenn da jemand zum Beispiel durch Suizid gestorben ist, sag ich: „Warum immer Sie das gemacht haben, das war Ihre Entscheidung. Ich hab jetzt hier sauber gemacht, ich hab Feierabend. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“ Und dann geh ich und hab das aus dem Kopf raus. Zu Hause nehm ich als erstes 'ne ordentliche Dusche. Danach sieht die Welt wieder ganz anders aus.

Auf Instagram ist Thomas unter dem Namen "einechtertatortreiniger" aktiv. Außerdem tourt er mit seinem Live-Programm "Ein echter Tatortreiniger – Hinter verschlossenen Türen" durch Deutschland.