Chancen(un)gleichheit

Wer hat, dem wird gegeben.

In Deutschland entsteht eine wachsende Lücke zwischen Arm und Reich. (Symbolbild)
25. Jan. 2020

Deutschland – eine der reichsten Nationen der Welt. Doch davon profitieren nicht alle: Die Reichen werden reicher und die Armen immer ärmer. Wie steht es dabei mit der Chancengleichheit in Deutschland? Ist ein sozialer Aufstieg für die sozial Schwächeren überhaupt möglich? 

Laut des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) besaß 2017 das reichste Zehntel der Bevölkerung 56 Prozent des Gesamtvermögens, während im Gegensatz dazu die unteren 50 Prozent der deutschen Bevölkerung nur 1,3 Prozent aller deutschen Vermögenswerte verfügten. Mit einem GINI-Koeffizienten der Vermögen in Deutschland von 74 Prozentpunkten weist hier die Bundesrepublik eine starke Ungleichheit auf. Der GINI-Index ist ein Maß zur Feststellung von sozialer Ungleichheit. Ein weiteres Beispiel für eine starke Ungleichhiet ist die USA. Die Staaten hatten 2016 einen Wert von 86 Prozent. Eine ausgeglichenere Vermögensverteilung hat die Slowakei mit einem Koeffizienten von 48 Prozent.
Ein Grund dafür, ist, dass Vermögende oftmals nicht abhängig von einem Gehalt sind, sondern durch ihr hohes Kapitalvermögen Einkommen generieren. Dadurch erzielen sie, bedingt durch die aktuelle Wirtschaftslage, hohe Renditen. 

Kapital = sämtliche Vermögensgegenstände einer natürlichen oder juristischen Person, wie Geldmittel, Sachgegenstände, Ressourcen, Immobilien, unternehmerische Beteiligungen
Renditen = Entgelt für Bereitstellung von Kapital für unternehmerische Zwecke. Dies können Zinsen, Dividenden oder Gewinnbeteiligungen sein.
GINI-Index = Der Koeffizient gibt je nach Kategorie die Vermögensverteilung oder die Einkommensverteilung an. Ein Wert von 0 bedeutet, dass alle Menschen das gleiche Vermögen besitzen. Bei einem Wert von 100 hat eine Person das komplette Vermögen in dem Land und die restlichen Personen besitzen gar keines. Der GINI-Index wird von der Organisation for Economic Co-Operation and Development berechnet.

Das Ungleichland

Durch die starke Vermögenskonzentration steigt die soziale Ungleichheit und die Chancengleichheit für die sozial schwächere Bevölkerung sinkt. Menschen mit einem formal höheren Bildungsabschluss haben statistisch höhere Einkommen. Sind die Eltern unternehmerisch tätig, erbt die nachfolgende Generation nicht nur das Finanzvermögen, sondern auch Kapitalanlagen, wie Unternehmensbeteiligungen oder Immobilien. Dadurch sinken die persönlichen Chancen für Menschen aus einem sozial schwachen Milieu mit zunehmender Vermögenungleichheit und verstärken diese.

Fakten über das Haushaltseinkommen:

  • 64 Prozent der deutschen Haushalte beziehen ihr Einkommen aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis
  • 22 Prozent erhalten eine Rente als Einkommen
  • Ein geringer Teil der deutschen Bevölkerung bezieht das Einkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit
  • Zusätzliche Einnahmequellen sind Mieten und Kapitalanlagen

Fakten über Armut und Reichtum:

  • Reichtum beginnt nach einem Regierungsbericht ab einem monatlichen Nettoeinkommen bei Singles von etwa 3100 Euro und bei Paaren mindestens von 4600. Das Institut der deutschen Wirtschaftsforschung setzt für Reichtum ein Nettoeinkommen bei Singles von 4091 Euro und bei Paaren von 6145 Euro voraus.
  • Die Armutsgrenze beginnt bei  einem Nettoeinkommen von 892 Euro als Single-Haushalt und bei einer Familie mit zwei Kindern bei 1872 Euro.

Quelle: Dr. Franz Josef Liesenfeld: Die Fakten beziehen sich größtenteils auf das Jahr 2017.

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Die Reichen werden durch steigende Einkommen immer reicher. Ärmere Haushalte haben es wesentlich schwerer beim Vermögensaufbau. | Quelle: Jonas Hermann

Davids Schicksal

David ist ein 21 Jahre alter Tourismuskaufmann. Einen großen Teil seines Lebens ist er bei seiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Um den beiden ein Leben zu ermöglichen, musste sie oftmals mehrere Jobs gleichzeitig machen. Davids Schulleistung hat darunter zum Teil gelitten und somit seine späteren Karrierechancen. Da seine Mutter für den Lebensunterhalt sorgen musste, konnte sie ihm bei Schulaufgaben nicht helfen und ihn unterstützen. Erschwerend kam dazu, dass er anfangs seiner Schullaufbahn unter einer Lese- und Rechtschreibschwäche litt, welche erst durch individuelle Betreuung behoben werden konnte, erzählt er. David erzählt weiter, dass er durch die Abwesenheit seiner Mutter auch kaum alleine für die Schule lernte. Selbst, wenn ihn seine Mutter per Telefonanruf zum Lernen aufforderte, konnte sie ihn dabei schlecht kontrollieren. David meinte, dass er dann doch lieber vor dem Fernseher saß, als Hausaufgaben zu machen. Es fehle einfach die Struktur, die Motivation durch die Eltern und einen Ansprechpartner, erklärt David dazu. Nach seinem Realschulabschluss machte er eine Ausbildung zum Tourismuskaufmann. Seine Entscheidung, kein Abitur oder Berufskolleg zu machen, begründet er dadurch, dass er seine getrennt lebenden Eltern finanziell entlasten wollte. Dennoch weiß er, dass er sich beruflich weiterbilden muss, da nach seiner Aussage sein Einkommen von ca. 1.400 Euro netto zum Leben langfristig nicht ausreicht. An einen Vermögensaufbau über Anlagemöglichkeiten denkt er persönlich auch noch nicht – zu gering sei sein Gehalt, sagt er.

Eine Chance durch Bildung?

Da Eltern in sozial schwachen Famllien oftmals weniger Zeit für ihre Kinder haben, kann deren Bildung und die Erziehung darunter leiden, erklärt der Realschullehrer Valentin. Durch die Abwesenheit der Eltern bekommen Kinder wichtige Kompetenzen wie Ordnung, Struktur, sozialer Umgang oder Lernmotivation nicht vermittelt.
Eine Überprüfung eines Hausaufgabenheftes oder ein ordentlich gepackter Schulranzen fehlt bei diesen Schülern oftmals. Auch das Lernen mit den eigenen Kindern aufgrund eigener Kompetenzschwächen oder Berufstätigkeit kann die schulischen Leistungen mindern. Dies kann die Karrierechancen der Schüler langfristig beeinträchtigen. Als Beispiele nennt Valentin, dass Eltern aus sozialschwachen Schichten oft mehr als einen Job ausüben, sich aufgrund eigenem Fehlverhaltens in Haft sind oder Suchmittel konsumieren – die letzten zwei Punkte sind exemplarische Extremfälle. Auf der anderen Seite gibt es genug staatliche Fördermittel in der Bildung, welche Kindern aus diesem Milieu helfen können, sagt Valentin. Bafög oder Stipendien können den Betroffenen helfen, sich fachlich weiterzubilden und bessere Karrierechancen zu erlangen. Um diesen Karriereweg einzuschlagen muss der betroffene Schüler eine große Eigenmotivation aufbringen, damit er sich selbst weiterbildet und den Teufelskreis durchbricht. 

Deutschland bietet Möglichkeiten

Schlussendlich steht es fest, dass es in Deutschland möglich ist, einen sozialen Aufstieg zu schaffen und zwar vor allem über die Bildung. Der Staat gibt hier den betroffenen Familien Fördermöglichkeiten, die sie auf jeden Fall wahrnehmen sollten. Dennoch haben es reiche Haushalte einfacher. Deren nachfolgenden Generationen sind sozial abgesichert und können von den Erfahrungen der Eltern profitieren – und so geht wahrscheinlich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf.