Und das finde ich toll, dass man heute wirklich zeigen kann, was man alles drauf hat.
Braune Brühe Abwasser
Es surrt und rauscht und klirrt. Müffeln tut es hier überraschenderweise eigentlich nicht. Naja, im Stinkraum vielleicht ein bisschen. Überall stehen sonderbare Maschinen, die verwirrend verkabelt sind und unübersichtlich viele Schläuche haben. Es stehen Fläschchen, Reagenzgläser, Bechergläser, Messzylinder und Trichter herum. Hunderte Chemikalien sind sorgfältig beschriftet und sortiert. Die Schreibtische beherbergen Computer mit Auswertungsprogrammen, Listen, Tabellen und Graphiken. Hier wird unsere Welt ein kleines Stückchen besser gemacht. Im Labor der Stadtentwässerung Stuttgart, kurz „SES“, wird aktiv Umweltschutz betrieben.
Wenn du glaubst, dass die wahren Chemieexperten nur in Sicherheitslaboren sitzen und geheime Stoffe und Medikamente erforschen, liegst du falsch. Sie sitzen auch in Mühlhausen und beschäftigen sich mit unserer Drecksbrühe. Alles, worüber wir froh sind, im Ausguss oder der Klospülung lassen zu können, kommt bei ihnen an. Naja, eigentlich im Klärwerk, wo es getrennt, gefiltert und gereinigt wird. Aber Menschen wie Frau Kasmai, Frau Zabo und Herr Schilling schauen noch mal ganz genau hin. Sie testen das Stuttgarter Abwasser, was das Zeug hält. Und warum? Weil es eben doch nicht so einfach ist mit dem Herunterspülen und wir Verantwortung tragen müssen für unser Abwasser. Da wir das in unserem Alltag oft vergessen, schauen auch wir jetzt mal ganz genau hin.
Peter Schilling ist ein sympathischer, sorgfältiger Mann und staatlich geprüfter Lebensmittelchemiker. Er leitet das Zentrallabor der SES seit 2021. Studiert hat er an der Uni Stuttgart. Als er beim SES angefangen hat, gab es noch den Bereich der Lebensmittelüberwachung. Hier hat er begonnen. Als der Bereich an das Land Baden-Württemberg übergeben wurde, blieb er bei der Stadt. Er wechselte zunächst in den Wasserbereich und final zum Umweltschutz. Er erklärt gerne, worauf es bei der Arbeit im Labor ankommt und wie ein Klärwerk funktioniert.
So funktioniert ein Klärwerk
Ob großes oder kleines Geschäft: Wer in Stuttgart wohnt und die Klospülung drückt, schickt alles hierher: In das Hauptklärwerk Mühlhausen. Oder auch in die Außenklärwerke Möhringen, Plieningen oder Ditzingen. Da kommt so einiges zusammen. Laut dem statistischen Bundesamt verbrauchen wir pro Person durchschnittlich 128 Liter Wasser pro Tag. Nach einer maximal vierstündigen Reise durch das insgesamt knapp 1.700 Kilometer umfassende Kanalnetzwerk geht das große Abenteuer für unser Schmutzwasser los. Das Klärwerk erstreckt sich auf einer knapp 25 Hektar großen und 1,5 Kilometer langen Fläche entlang dem Neckar. „Wer hier arbeitet, ist entweder mit dem Fahrrad oder einem kleinen Elektrofahrzeug unterwegs“, so Schilling.
Eine Kläranlage besitzt in der Regel drei Reinigungsstufen. In Mühlhausen gibt es noch eine vierte. In der ersten Reinigungsstufe, der mechanischen Abwasserreinigung, trennt sich das Feste vom Flüssigen. Mit einem großen Rechen werden alle festen Grobstoffe wie Papier, Holz, Steine, Abfallstoffe und Essensreste entfernt. Im nächsten Becken lagern sich Sand am Boden und Fette an der Wasseroberfläche ab. Dann geht es im Vorklärbecken weiter, wo feine Schwebstoffe herausgefiltert werden.
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In der zweiten Reinigungsstufe, der biologischen Abwasserreinigung, futtern sich Mikroorganismen durch das Wasser, bauen organische Stoffe ab, nehmen Nährstoffe auf und wandeln sie um. Die Becken hierfür fassen eine Wassermenge, die ungefähr 75 Freibädern entspricht. Übrigens: Bis hierhin ist das eine ganz schön stinkende Angelegenheit. Deshalb sind die Becken alle in geschlossenen Räumen untergebracht. „Weil es den Bakterien in der Biologie so gut geht, vermehren die sich natürlich auch wie blöd. Deshalb entsteht dann sogenannter Überschussschlamm und dieser Schlamm muss dann in die Nachklärbecken. Da haben wir insgesamt zwölf Stück“, erklärt Schilling.
Hier startet dann die dritte Reinigungsstufe. Bei der „weitergehenden Abwasserreinigung“ werden dem Wasser Fällmittel, also Aluminium oder Eisensalze, beigefügt, um Phosphat herauszufiltern. In einigen Klärwerken, besonders in kleineren, wäre hier schon Schluss. In Mühlhausen durchläuft das Wasser aber noch eine vierte Reinigungsstufe. Hier werden mit Aktivkohle Spurenstoffe wie Arzneimittel herausgefiltert. Zum Schluss geht es noch durch die Sandfilteranlage. Und dann ist das Abenteuer Kläranlage nach 24 Stunden auch schon beendet. Das Schmutzwasser wurde gereinigt und darf in den Neckar.
Wusstest du, dass das Klärwerk eigenen Strom produziert? Der ganze Klärschlamm, der bei der Reinigung anfällt, wandert in einen Fäulungsbehälter und es entsteht Gas. Das Gas wird zur Verbrennung des entwässerten Klärschlamms und zur Strom- und Wärmeproduktion verwendet. Die Hälfte des Energiebedarfs der Kläranlage kann damit gedeckt werden.
Und warum gibt es da ein Labor?
Wegen der schnellen Brillen und coolen Kittel natürlich nicht. Im Labor wird überprüft, ob auch alles richtig läuft. Jeden Tag werden an unterschiedlichen Stellen Tagesmischproben entnommen und getestet. Solche Proben sind meistens gar nicht so eklig wie man zuerst denkt. Zumindest die reinen Wasserproben. Bei Festproben, zum Beispiel dem Klärschlamm, kann das auch mal anders sein. Im Stinkraum werden die ganz hartnäckigen Proben getestet. Einzelne Produkte, wie Weichspüler oder Rohrreiniger, kann man übrigens nicht testen. Die Mittel werden schon in der Kanalisation so stark verdünnt, dass man maximal einzelne Stoffe testen kann. Arzneimittel können teilweise ganz genau getestet werden. Diclofenac ist ein Wirkstoff in Schmerzsalben und die Stuttgarter kommen auf rund 120 Kilogramm reinen Wirkstoff im Jahr. Bei Ibuprofen sind es sogar ungefähr eine Tonne! Auch Rauschgift kann im Abwasser nachgewiesen werden. Beim Cannabis-Konsum kam zum Beispiel heraus, dass dieser seit der Legalisierung um rund 13 Prozent gestiegen ist. Laut Schilling sei das Konsummuster an allen Wochentagen auch nach der Legalisierung gleich geblieben. Und während der Corona-Krise konnte die Virenbelastung zweieinhalb Jahre in Stuttgart gemessen werden.
Wusstest du, dass die EU für alle Klärwerke eine vierte Reinigungsstufe fordert? Die EU-Kommunalabwasserrichtlinie schreibt seit dem 01. Januar 2025 verpflichtend eine vierte Reinigungsstufe vor. Zumindest für große Kläranlagen (>150.000 Einwohner). Bis 2040 sollen auch kleinere Anlagen um eine vierte Stufe erweitert werden.
Auf die Frage, was im Labor denn am meisten Spaß macht, müssen alle erst kurz lachen. Für die Labortechniker*innen ist es besonders die abwechslungsreiche Arbeit. Abwasser und Schlamm machen hier nämlich nur zwei Drittel der Testungen aus. Da gehöre auch Schwimmbadwasser dazu, Grundwasser, die Mineralquellen in Stuttgart, Deponien und Feststoffanalytik, also Bodenabfall, Bodenluft, Straßenbeläge. Zu den Kunden der SES gehört jedes Amt in Stuttgart, das „analytisch irgendwas auf dem Herzen hat“. Auch Privatpersonen können hier ihr Trinkwasser testen lassen. Das Labor ist nach Schilling auf dem neuesten Stand der Technik. Besonders stolz ist er auf ein Messgerät zur Spurenstoffanalytik. Ohne so ein Gerät käme ein modernes Umweltlabor nicht mehr aus. „Da muss ich meinen Vorgänger ja wirklich loben. Er hat das Messgerät zur Spurenstoffanalyse damals angeschafft, auch wenn es sehr teuer war. Früher hätte ich gesagt, das gäbe ein nettes Einfamilienhaus, aber durch die gestiegenen Baupreise heute vielleicht noch ein halbes. Oder ein Reihenmittelhaus."
Wir tragen Verantwortung für unser Abwasser!
„Die Toilette ist kein Mülleimer. Das ist das A und O, was man jedem sagen kann“, so Schilling. In die Toilette gehört nur Toilettenpapier. Feuchttücher sind der Albtraum jedes Stadtwasser-Mitarbeitenden und verursachen Schäden in Millionenhöhe. Genauso wenig gehören Arzneimittel in den Abfluss. Und wer Rémy und seine Freunde nur im Film „Ratatouille“ niedlich findet, sollte auch keine Essensreste in den Ausguss kippen.
Eine gute Nachricht: In den letzten Jahren ist unsere Abwassermenge um circa 25 Prozent zurückgegangen. Wir und unsere Haushaltsgeräte und Maschinen sparen immer mehr Wasser ein.
Schilling freut das steigende Interesse an der Arbeit im Labor. Es hätte in der Politik Bestrebungen gegeben, das SES abzuschaffen. Die Frage lautete wohl: „Brauchen wir die eigentlich noch?“ Er sagt: „Mittlerweile, und das ist auch ein Erfolgserlebnis, darf man im Gemeinderat seine Ergebnisse vortragen und die Leute sind auch interessiert. Der Technische Ausschuss war im April zu einer Führung hier, mit allem Drum und Dran und die waren hin und weg. Und das finde ich toll, dass man heute wirklich zeigen kann, was man alles drauf hat.“
Nach einem arbeitsreichen Vormittag geht es in die Frühstückspause. Ein guter Kaffee sorgt auch im Labor für einen reibungslosen Arbeitsalltag. Wie das chemisch zu belegen ist, klärt sich vielleicht beim nächsten Besuch.