Bundesliga

Wie Geisterspiele den Fußball verändert haben

Pappfiguren als optimaler Fanersatz? Der Borussia Park bietet seinen Anhängern eine kreative Lösung.
06. Aug. 2020

Leere Ränge und Fankurven statt lautem Jubel und Euphorie: Auch die Fußball-Bundesliga blieb von den Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht verschont. Die letzten neun Spieltage musste der Ball ohne Fans weiterrollen. Wie hat sich das auf Heimvorteil, Risikobereitschaft, Tore und Co. ausgewirkt?

Nach langwierigen Diskussionen hat die Bundesregierung Anfang Mai grünes Licht für die Wiederaufnahme der ersten Fußball-Bundesliga gegeben. Maximal 300 Personen wie Vereinsfunktionär*innen, Ordnungsdienste und Journalist*innen durften nach 65 Tagen Corona-Pause zurück ins Stadion — nur keine Fans. Haben diese Geisterspiele die Spielweise der Teams beeinflusst? Spielstatistiken des Instituts für Spielanalyse in Potsdam, der kicker-App und von transfermarkt.de zeigen Veränderungen, beispielsweise bei den Toren und Siegquoten von Heim und Auswärts: Wie vermutet verdeutlicht die Abbildung, dass der Heimvorteil abgebrannt ist und die Auswärtsmannschaften an Stärke gewonnen haben.

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Kein Heimvorteil mehr durch die Geisterspiele. | Quelle: Nico Ditter, Eva-Maria Schauer

Auch im Vergleich zur Vorsaison haben Heimsiege stark abgenommen. In der Vorsaison 2018/19 wurden in den letzten neun Spieltagen 39 Heimsiege gezählt, während es in dieser Saison nur 26 waren. Ein langfristiger Trend scheint das jedoch nicht zu sein, weil sich die Zahlen innerhalb der letzten drei Spieltage wieder normalisiert haben. „Ich denke, dass wir nächste Saison wieder Normalwerte zwischen 45 und 50 Prozent an Heimsiegen haben werden, weil sich die Teams jetzt an die Umstände gewöhnt haben“, schätzt Hannes Kulok, Sportanalyst am Institut für Spielanalyse in Potsdam. Außerdem seien die Fans hierbei nur ein Aspekt. „Beim Heimvorteil geht es auch immer um dieses heimische Gefühl: Die eigene Kabine, die Anreise, die man als Heimmannschaft natürlich nicht hat, und die Übernachtung davor. Diese Punkte sind geblieben.“

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Umgekehrte Welt: Mehr Auswärtstore während der Geisterspieltage. | Quelle: Nico Ditter, Eva-Maria Schauer

Aggressivität und Risikobereitschaft

Interessant wird es, wenn man die Anzahl an Fouls und gezeigten Karten betrachtet. Insgesamt sind Fouls um zehn pro Spieltag gestiegen, was daran liegt, dass die Mannschaften häufiger taktische Fouls gezogen haben. Deren Ziel ist es, das Spiel zu unterbrechen, wobei ein nachfolgender Ballbesitz des Gegners in Kauf genommen wird. Diese Fouls werden regeltechnisch mit einer gelben Karte geahndet: Im Vergleich zu den letzten neun Spieltagen der Vorsaison haben sich die gelben Karten nach der Corona-Pause um zehn pro Spieltag erhöht, die Platzverweise dagegen nur von 13 auf 15. Vor Corona wurden im Schnitt 34,36 Spieler verwarnt, nach der Pause 36,33. Ein Grund: „Trainer durften nun statt drei bis zu fünf Spieler wechseln. So konnten die Fußballer auf dem Feld aggressiver auftreten, weil sie wussten, dass sie nicht das gesamte Spiel durchhalten müssen“, erklärt Kulok die Aggressivitätszunahme. Vor der Pause vollzog ein Team pro Spieltag 2,93 Wechsel, während der Geisterspiele 4,33. 

Des Weiteren hat die Risikobereitschaft der Spieler ohne Zuschauer*innen abgenommen. Pro Spieltag haben sich die Pässe nach der Pause im Schnitt um 168 erhöht, die Passquoten stiegen von 77,5 Prozent auf 79 Prozent an. „Die Teams haben an den ersten Spieltagen nach dem Neustart mehr Sicherheitspässe gespielt, viel quer und kurz gepasst. Zum Ende hin hat sich das wieder etwas reguliert“, erläutert Kulok. Außerdem verringerten sich die Abseitsstellungen von 37,6 auf 33,7 Prozent und Torschüsse von rund 241 auf 227 pro Spieltag. Eine Vermutung dafür ist ihm zufolge, dass viele Teams nach der Pause nicht mehr ganz zu ihrem Spielstil zurückgefunden, sondern sich an die Situation angepasst und beim Training einen anderen Fokus gesetzt haben. Das wird vor allem anhand der Tordaten deutlich:

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Tordaten der Fußball Bundesliga während der Saison 19/20. | Quelle: Nico Ditter, Eva-Maria Schauer

Also weniger Risiko und mehr Sicherheit? Hierbei müsse man die verschiedenen Aspekte betrachten, da ein Fan zwar positive, aber auch negative Effekte auf Mannschaften haben kann, so Kulok. Spieler könnten sich einerseits von ihnen motivieren lassen, wodurch manchmal noch in der Schlussphase eines Spiels spektakuläre Tore fallen. „Andererseits kann ein volles Stadion dafür sorgen, dass ein Druck entsteht, sich Spieler gehemmt fühlen und sich nicht trauen, jetzt eine bestimmte Bewegung zu machen oder ein Dribbling einzugehen.“ Allein auf die Zahlen zur gestiegenen Sicherheit im Spiel könne man deshalb nicht immer vertrauen.

We are the Champions! Oder?

Ob Teams vom Corona-Effekt profitiert haben, ist schwer zu sagen, da man nicht weiß, wie die Spiele unter Normalbedingungen verlaufen wären. Trotzdem gibt es Mannschaften, die unterschiedlich aus der Pause gekommen sind: Ein „Gewinner“ nach der Wiederaufnahme ist der SV Werder Bremen: „Vier der letzten neun Spiele konnte er für sich gewinnen. Zuvor hatte Werder gerade mal vier Siege in 25 Spielen“, stellt Kulok fest. Auch die Effektivität des Teams hat sich gesteigert: Vor der Pause brauchten sie zwölf, danach nur noch sieben Torschüsse, um ein Tor zu erzielen. So konnte sich Werder in die Relegation retten, da sie ohne diese Siege abgerutscht wären. Auch die Bayern haben sich von den Geisterspielen nicht aus dem Konzept bringen lassen: „Sie haben ihren Job gemacht. Da wurde nochmal diese spielerische Qualität deutlich, die sie schon vorher hatten.“

Auf dem absteigenden Ast befand sich dagegen der FC Schalke 04, der in der Hinrunde auf dem fünften und in der Rückrundentabelle auf dem 17. Platz lag. Vor der Corona-Pause benötigten die „Königsblauen“ 8,6 Torschüsse für ein Tor, in den letzten neun Spielen 18,2. Laut Kulok tragen die Geisterspiele für diesen Negativtrend keine Verantwortung: „Es war eine Mischung aus schlechter Performance und Pech, weil der Mannschaftskader nicht so breit zusammengestellt war.“ 

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Gewinner und Verlierer nach Bundesliga-Tabellenplatz. | Quelle: Nico Ditter, Eva-Maria Schauer

Man sieht also, dass die Einführung von Geisterspielen nicht spurlos an den Fußballspielern vorbeigegangen ist. Vor allem wurde direkt nach der Pause deutlich, wie Fans Spielverläufe beeinflussen können. „Am Anfang ist es komisch, wenn auf dem Platz keine Emotionen mehr da sind und man als Spieler plötzlich alles hört“, beschreibt Kulok. Andererseits sei dies eine Gewöhnungssache, da sich die Werte zum Saisonende weitgehend normalisiert haben. „Meine These ist, dass wir diesen Effekt in der nächsten Saison nicht mehr haben werden“, vermutet er. Für die neue Bundesliga-Saison ab dem 18. September hat sich die Deutsche Fußball Liga (DFL) auf ein Konzept zur möglichen Rückkehr von Fans geeinigt. „Für die Spieler wäre es schön, wenn wieder Fans im Stadion wären. Man sagt ja auch: Ihr Brot ist der Applaus der Zuschauer.“