„Der Traummann wird nicht an deiner Haustür klopfen und sagen so, hier bin ich.”
Liebe auf den ersten Slide
Drinnen klatschen die Leute, während draußen der starke Augustregen auf die Straßen prasselt. Die Drag Queen Vicky Voyage bahnt sich ihren Weg nach vorne, entlang der roten Samtvorhänge, Bistrotische und Menschen, die sich eben noch laut miteinander unterhalten haben. Aber jetzt im dunklen Licht des Senatore in München, schauen sie mit einem Ausdruck zur Bühne, der sagen könnte: Vielleicht werde ich heute mal von jemandem angesprochen, der mir auch gefällt. Der Duft von Steinofenpizza und zu starkem Parfum könnte diese Hoffnung verstärken.
Nikki greift nach einem Blatt Papier, das aussieht, als hätte es schon mal bessere Tage gesehen. Darauf steht in schwer leserlicher Schrift „Chiara – Lebensfreude pur”. Ihr Blick wandert von ihren Notizen zum gut gefüllten Raum: „Es sind viel mehr Frauen als Männer da”, sagt sie.
Es verklingen die letzten Töne des Discohits „Hot Stuff", als Vicky Voyage das Publikum von der Bühne aus begrüßt. Auf dem großen Bildschirm hinter ihr steht in weiß-pinker Schrift „Love at first Slide” geschrieben. Und während die Drag Queen so vor dem Mikrofonständer steht - sie trägt einen schwarzen Glitzereinteiler, hohe Schuhe und einen etwas zu großen Zylinder - bekommt man fast den Eindruck, man befinde sich in einer edlen Karaokebar. Als Vicky Voyage dann aber den Ablauf des Abends erklärt, weiß man wieder wo man ist. Auf einem Power Point Dating Event, auf dem dich dein*e beste*r Freund*in dem Publikum vorstellt.
Im Falle von Nikki und Chiara ist es allerdings nicht ganz, wie bei den anderen. Bei ihnen lief das Kennenlernen und die Teilnahme etwas ungewöhnlicher ab, wie sie später erzählen werden.
Orangefarbene Herzen
An der Bar stehen zwei Frauen, die sich gerade überlegen, wo sie das farbige Herz aufkleben sollen. Das farbige Herz, das ausdrücken soll wonach man sucht – beziehungsweise wonach man nicht sucht. Anfangs wurde es von den Mitarbeitenden ausgeteilt. „Soll ich es auf dein Kleid kleben, falls du die Jacke ausziehst?” Jede Farbe hat eine andere Bedeutung. In diesem Fall trägt die Frau ein oranges. Das steht für: Auf der Suche nach einer Beziehung. Die selbe Farbe tragen auch Nikki und Chiara.
Nach der Begrüßung starten die ersten drei Präsentationen. Es werden drei Frauen vorgestellt, die auf der Suche nach der Liebe sind. Dann folgt eine 30-minütige Pause. Anschließend nochmal zwei Präsentationen – eine davon ist Nikkis über Chiara. Dann bleiben die Türen des Senatore noch den Abend über für die Singles geöffnet.
Keine Lust mehr auf Online-Dating
„Warum seid ihr heute Abend hier?”, ist eine häufig gestellte Frage. „Weil wir einfach einen schönen Abend erleben wollen”, ist eine der klassischen Antworten, die auch Nikki und Chiara geben. Zwei Männer, Ende 20, sagen das Gleiche, wie die Freundinnen. Sie sagen aber auch: „Einfach keine Lust mehr auf Online-Dating”. Der Eine ist erst seit 3 Monaten Single und nutzt den Abend um eine gute Zeit zu haben. Sein Kumpel, ebenfalls Single, begleitet ihn. Dass die Leute immer weniger Lust auf Online-Dating haben, ist ein verbreitetes Phänomen. Die Kaufmännische Krankenkasse spricht sogar von einem „Online-Dating-Burnout”. Immerhin fühlen sich laut der Forsa-Umfrage 59 Prozent der befragten Nutzer aufgrund der Apps emotional erschöpft oder frustriert. Das wären mehr als jede zweite Person in diesem Raum.
Nikki und Chiara sind Freundinnen, die sich am Abend des Events das erste Mal begegnen.
Nikki wohnt in einem großen Haus bei ihrer Familie, begeistert sich für Astronomie und sammelt gerne Kruscht aus aller Welt. Während sie davon erzählt, weiten sich ihre Augen unter der Brille und sie blickt nach oben, als wolle sie in diesem Raum etwas finden, das sie mitnehmen könnte. Sie hat drei Jobs alle mit Schwerpunkt auf interkultureller Kommunikation – und möchte damit die Welt zu einem besseren Ort machen.
Chiara wohnt in einer WG in Niederbayern, hat einen stinknormalen Kater, der von ihrer Mitbewohnerin „Milchmann” genannt wird und sagt, dass sie mit ihren 28 Jahren nicht mehr so im Feiergame ist. Sie war mal für kurze Zeit bei der Polizei angestellt, und trägt ein „make love not war” Tattoo am Oberarm. Auf die Frage, warum sie heute Abend hier ist, erwidert sie: „Der Traummann wird nicht an deiner Haustür klopfen und sagen so, hier bin ich”. Beide lachen.
Das Kennenlernen
Angefangen hat alles über Instagram. Unter einem Post schreiben sie in den Kommentaren:
„Würde so gerne jemanden pitchen aber alle meine Freundinnen sind vergeben”
„Du kannst mich pitchen”
„Sehr gerne”
Kurze Zeit später treffen sich die beiden in einem Zoom Call. „Ich hatte anfangs nicht gedacht, dass daraus wirklich was wird”, erzählt Chiara. Letztendlich sprechen sie dann aber fast drei Stunden miteinander über das Leben und die Liebe. Jetzt sitzt Chiara im Senatore und trinkt einen Cocktail, von dem sie den Namen vergessen hat, der aber sehr stark nach Orange und Minze schmeckt. Nikki trinkt eine Cola. Sie fragt:
„Bist du nervös?”
„Nicht direkt nervös, aber es ist mir bisschen unangenehm.”
Vicky Voyage kommt zu der Sitznische der beiden. „Sicher, dass du nicht vorkommen möchtest?”, fragt sie Chiara. Unter dem Gelächter und der Musik im Raum ist Chiara schwer zu verstehen: „Eigentlich möchte ich nicht nach vorne kommen.” Vicky Voyage lehnt sich zu ihr nach unten und sagt: „Es geht wirklich nur darum, dass dich die Leute sehen. Wenn Nikki dich präsentiert, will man ja wissen, wie du aussiehst.”
„Ja okay”, antwortet Chiara.
Die Präsentation
Dann ist es soweit. Vicky Voyage kündigt die zwei an: „Nun machen wir weiter mit Nikki über Chiara”. Das Publikum klatscht und pfeift. Nikki läuft mit einem Lächeln auf den Lippen und schnellen Schritten nach vorne und stellt sich als Chiaras „persönliche Wingwoman” vor, was mit einem Lachen aus dem Publikum belohnt wird. Es geht los mit einer Aufzählung von positiven Eigenschaften von Chiara, geschmückt von bunten Power Point Folien. Chiara ist sportlich, naturverbunden, kreativ, ambitioniert, liebenswürdig. Dann folgt eine Liste mit Green Flags, die der Partner mitbringen sollte: Er solle für etwas brennen im Leben und zwar nicht nur für die Exfreundin. Erneutes Gelächter seitens des Publikums. Die Präsentation erweckt den Eindruck einer perfekten Person, die eine perfekte Person sucht. Als die Präsentation vorbei ist, läuft Chiara nach vorn. Sie hat sich die Jacke um die Hüfte gebunden und ihre Haare, die zuvor offen waren, trägt sie nun in einem Zopf. Während Vicky Voyage nochmal um einen Applaus bittet, schaut Nikki mit großen Augen in die Menge und Chiara schaut zu Nikki.
Menschen wieder im realen Leben kennenlernen? Das soll das Love at first Slide Event ermöglichen. „Vor allem in Großstädten sind die Menschen abgefuckt vom Online-Dating. Voll die frustrierende Erfahrung, und das ist ja auch mit Anstrengung verbunden”, erklärt die Projektleiterin Fine. „Auch wenn man niemanden kennenlernt, hat man einen schönen Abend.” Am morgigen Abend findet erstmals die Queer-Edition statt, die die Eventreihe nochmal diverser machen soll. Die Erfolgsquote der Veranstaltung ist jedoch bisher noch unbekannt und ein Ticket für Zuschauer liegt bei 19,50 Euro. Wenn man selbst teilnehmen möchte, kostet es 10 Euro. Das Event sei aber für jeden etwas, der einfach eine nette Zeit verbringen will, betont Fine.
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Nachdem alle Präsentationen vorbei sind, ist die Stimmung alkoholisiert und euphorisch. Es scheint so, als würde jeder mit jedem sprechen. Das anfängliche vorsichtige Umschauen ist nun ein offenes Einfach-drauf-los-Plaudern. Manche gehen die Treppen runter vor die Bar, um eine Zigarette zu rauchen, oder den gefühlten 40 Grad im Innenraum zu entkommen, andere bleiben oben und holen sich noch ein Getränk. Bei manchen ist ein Sticker auf dem Shirt zu erkennen. „Sushi” steht auf einem. Das ist Teil eines Kennenlern-Spiels. Ziel ist es, das passende Land zum Gericht zu finden. Sushi sucht also Japan und Japan sucht Sushi. Auf Chiaras Sticker steht „Paella” geschrieben. Sie und Nikki begeben sich also auf die Suche nach dem passenden Land. „Hey, hast du das Land Spanien?” „Nein, aber ich würde gerne mal wieder nach Spanien reisen.” Chiara und der Mann, der keinen Spanien-Sticker hat, lächeln sich an. „Wohin würdest du gerne als nächstes verreisen?”, fragt er Chiara.