Filmanalyse 6 Minuten

Kino im Kopf – Die psychologische Wirkung der Bilder

Eine Frau sitzt mit überkreuzten Beinen auf einem roten Kinosessel und schaut gespannt auf die Leinwand. Sie hält eine Popcorntüte in der Hand.
In Filmen versetzt man sich als Publikum in Figuren hinein, was für ein intensives Filmerlebnis sorgt. (Symbolbild) | Quelle: Jona Leibing
10. Dez. 2025

Eine Explosion, ein Trümmerfeld und ein unversehrter Held. Filme ziehen ihr Publikum in den Bann und hinterlassen bei Klein und Groß eine bleibende Wirkung. Aber warum werden Menschen durch Filme gefesselt? Das Geheimnis liegt dabei tief im Verborgenen.

Filme werden äußerlich durch Aspekte wie die Filmmusik oder die Belichtung gestaltet. Ihre Anfänge funktionieren dabei als Übergänge in eine andere Welt. Der wirksame Kern findet sich aber nicht im Visuellen, sondern im Unterbewusstsein der Zuschauenden. „Und das ist genau das, was einen dann fasziniert oder innerlich packt. Vor allem wenn man vielleicht selbst etwas mit dem Konflikt zu tun hat, der im Film dargestellt wird“, erklärt die Psychoanalytikerin Barbara Heinzmann. Filme sind dann erfolgreich, wenn das Publikum selbst unterbewusst mitspielt. 

In einem Regal mit der Überschrift "DVDs" sind einige bekannte Filme im DVD-Format eingeordnet.
Während des Films verarbeitet man Erlebnisse und probiert Lösungen für Situationen zu finden, die im eigenen Leben unklar erscheinen.
Quelle: Leonie Bosbach

In der Romanze „The Idea of You“ verliebt sich die 40-jährige Solène in den 24-jährigen Boyband-Sänger Hayes Campbell. Durch Hayes Berühmtheit und den Altersunterschied der beiden wird die Beziehung auf die Probe gestellt. Je größer die Überwindung der Hindernisse scheint, umso anziehender wirkt die Geschichte auf das Publikum. Obwohl alles auf eine Trennung der beiden hindeutet, ist ihre Verbindung stärker als die Widerstände. Die Zuschauenden denken dabei an Ereignisse, in denen sie selbst nicht stark genug waren, an etwas Bedeutendem festzuhalten. Kinobetreiber Nenad Tomasinjak bestätigt: „Einen guten Film zu machen, funktioniert meistens, indem du einen Charakter hast, mit dem du relaten kannst.“ Die Empathie ist dabei entscheidend. Eine Forschung aus den USA macht deutlich, dass die Fähigkeit, mit anderen mitzufühlen, und persönliche Alltagssituationen wichtige Bestandteile des Filmgeschehens sind. Das emotionale Verständnis für den Film baut auf Empathie auf. 

„Einen guten Film zu machen, funktioniert meistens, indem du einen Charakter hast, mit dem du relaten kannst.“

Nenad Tomasinjak, Kinobetreiber

Menschliche Grundkomplexe sind nach Dirk Blothner, Psychoanalytiker und Professor für Psychologie, für die Filmwirkung verantwortlich. Sie verbinden Realität mit Fiktion und treiben Menschen im Alltag voran. Im Filmerlebnis testen Zuschauende die Grenzen dieser aus, da sie nicht persönlich mit den Konsequenzen konfrontiert werden. Eines dieser Grundkomplexe umfasst das Zerstören und Erhalten. In den „James Bond“-Filmen schaut man zu, wie Gebäude explodieren und ein Trümmerfeld hinterlassen. Wie die Hauptfigur immer wieder nur knapp dem Tod entkommt. Und das, während sich das Publikum in einem geschützten Raum befindet. Es fasziniert, dass Zerstörung betrachtet wird und man dabei selbst unversehrt bleibt. In dem Moment ist man gefesselt. 

Die menschliche Psyche probiert, Triebe, Erwartungen und soziale Normen ins Gleichgewicht zu bringen. Negative Gefühle und (Ur-)Ängste werden dabei ins Unterbewusstsein verdrängt. Unbewusste Emotionen und Erfahrungen steuern Handlungen, ohne dass die Menschen es merken. Das Publikum kann diese daher in das Filmerlebnis einbinden. Zuschauende erfahren so verborgene Gefühle oder durchleben Erinnerungen. Sie lernen über sich selbst. Das kann emotional so mitreißend sein, als hätten sie das Erlebnis auf der Leinwand selbst durchlebt. 

In einem Schaubild wird die Psyche nach Sigmund Freud erklärt. Das Modell wurde durch das Unterbewusstsein von Wiebke Schwelgengräber ergänzt. Es spiegelt die Filmwirkung auf die Zuschauenden wieder.
Sigmund Freud nach Wiebke Schwelgengräber.
Quelle: Designed mit Canva

Bei der ersten Filmvorführung der Gebrüder Lumière 1895 in Paris, erlebten die Zuschauenden angeblich einen Schreckmoment. Sie dachten, der einfahrende Zug auf der Leinwand käme wirklich auf sie zu. Mit der Erfindung des Kinematographen beginnt die Bedeutung des Films. Durch ihn wurden Fotografien zu Bewegbildern. Neue Techniken brachten eine andere Wirklichkeit auf die Leinwand. 

Der Film als Raum der Verwandlung

Der Film löst beim Publikum einen gestalterisch-psychologischen Prozess aus. Die morphologische Psychologie bezeichnet das als Filmwirkung. Der Grund, warum Menschen dem Filmgeschehen aufmerksam folgen, ist laut Blothners Buch „Erlebniswelt Kino“ der Wunsch nach Verwandlung. In „Harry Potter und der Stein der Weisen“ erleben die Zuschauenden eine Heldenreise mit, durch die sie an den Film gefesselt werden. Harry lebt bei seinen Verwandten, den Dursleys, in einem kleinen Schrank unter der Treppe. Diese lassen ihn immer wieder spüren, dass er nicht willkommen ist. Man empfindet Empathie für den Protagonisten. Im Laufe des Films knüpft er als Zauberer neue Freundschaften und wächst an Herausforderungen. Dieser Mut wird am Ende mit dem Hauspokal belohnt. Für Harry ist die magische Welt sein neues Zuhause. Durch den Wechsel in die Zauberwelt wird deutlich, dass man oft nur einen kleinen Schritt von einem völlig anderen Leben entfernt ist. Man wünscht sich Veränderung, welche der Film einem bietet. Die Grundstrukturen eines Films stammen hierbei aus dem echten Leben. Selbst, wenn die Story an sich ausgedacht ist. Man sieht einen Film, um eine Ablenkung vom Alltag zu bekommen. Jedoch ist die Filmwirkung ohne Erfahrungen aus dem alltäglichen Leben nicht dieselbe.

Morphologische Filmanalysen haben mehr die unbewusste Konstruktion und weniger die visuelle Seite des Films im Blick. Die morphologische Psychologie wurde von Wilhelm Salber auf Basis von Goethes Verwandlungstheorie entwickelt. Sie umfasst Bereiche wie Kunst, um durch detaillierte Beschreibungen unbewusste Wirkungszusammenhänge zu erschließen. Seelische Vorgänge werden dabei in Verbindung mit Alltäglichem und im Kontext von Kunst und Kultur gesehen. 

Quelle: Wilhelm Salber Gesellschaft – Gesellschaft für psychologische Morphologie e.V. 

Filme zeigen auf, was Menschen Tag für Tag bewegt. Dabei nehmen Situationen im Alltag oft ein anderes Ende als ursprünglich gedacht. Man sehnt sich nach jemandem, der einem in solchen Momenten ein gutes Gefühl vermittelt. In „It ends with us“ sucht die Protagonistin Lily Sicherheit, nachdem sie in ihrer Kindheit Gewalt erlebt hat. Sie trifft auf den Neurochirurg Ryle, mit welchem sie in eine Beziehung kommt. Doch dann lernt sie sein wahres Gesicht kennen. Lily hat auch in diesem Lebensabschnitt mit häuslicher Gewalt zu kämpfen, ausgeübt von der Person, die ihr Halt gewähren sollte. Die Protagonistin soll aus ihrer Lage befreit werden. Die Zuschauenden wünschen sich für Lily Geborgenheit und eine Stütze. Diese erhält sie durch ihren ehemaligen Freund Atlas. 

Die Wirkung, die bleibt

Vieles, was den Film bedeutend macht, liegt in uns selbst und wird durch unser Umfeld beeinflusst. Dabei muss man allerdings auch im Filmerlebnis lernen, mit Veränderungen der heutigen Zeit umzugehen. Filme werden heutzutage in einer anderen Geschwindigkeit abgespielt als früher. Lange Einstellungen sind die Menschen aufgrund der herrschenden Schnelllebigkeit nicht mehr gewohnt, beschreibt die Psychoanalytikerin Barbara Heinzmann. Sie müssen sich während eines Films konzentrieren, nicht in eine schnelle Taktung zu kommen, sondern sich auf diesen einzulassen. „Das ist nicht einfach, da die Seele trotzdem ziemlich langsam ist“, berichtet sie. Es wird jedoch weiterhin das Bedürfnis geben, sich im Film selbst zu erfahren und Lösungen für das eigene Leben an die Hand zu bekommen, so Heinzmann. Der Film bleibt auch heute in seiner Wirkung für uns Menschen relevant.