Sätzesammler 3 Minuten

Ich habe mal gehört, dass wir keine Kunst und Literatur brauchen

Ein Regal voller alter Bücher, die man einfach mitnehmen kann
Unnötig und unordentlich, aber auch unendlich wichtig. | Quelle: (Symbolbild) Jana Sajin
02. Okt. 2025

Manchmal lernt man aus einem Gespräch, dass man gar nicht geführt hat. Ich habe mal richtig hingehört: Im Zug, im Café, im Supermarkt treffen Menschen oft zutiefst philosophische Aussagen. In dieser Kolumne sammle ich Sätze, die ich zufällig gehört habe. Sätze, die mir in Erinnerung geblieben sind. 

Ich finde es so unnötig wenn Leute so viel Zeit mit Kunst und Literatur verbringen. Ich würde lieber etwas machen, dass der Gesellschaft auch etwas bringt.

Aufgeschnappt von einem Mann im Zug Richtig Stuttgart an einem Freitagmorgen

Es war ein Freitagmorgen. Verschlafen saß im Zug Richtung Stuttgart. Ich träumte ein wenig vor mich hin als meine Gedanken zu einem Gespräch zwischen zwei jüngeren Männern neben mir wanderten. Sie sprachen über verschiedene Studiengänge und irgendwann lenkte sich ihr Gespräch auf Kunst und Literatur. „Ich finde es so unnötig wenn Leute so viel Zeit mit Kunst und Literatur verbringen. Ich würde lieber etwas machen, dass der Gesellschaft auch etwas bringt.“ Sagte einer der beiden Männer und weckte damit meine Aufmerksamkeit. 

Der Satz ist mir im Gedächtnis geblieben, weil er so vertraut klang. Seitdem ich klein bin, träumte ich oft die Stunden in Literatur davon. Alles, was sich mit Kunst, Literatur und Menschen beschäftigt weckt automatisch mein Interesse, so als hätte das Menschliche eine magische Anziehungskraft auf mich. Natürlich gibt andere Arbeitsfelder und Studiengänge die greifbarer sind, mit klar definierten Arbeitsbereichen. Medizin heilt. Technik entwickelt. Wissenschaft erklärt. All das sind Felder, deren Nutzen sich kaum bestreiten lässt. Wenn ein Mensch gerettet wird, wenn ein neues Medikament Leben verlängert, wenn eine Innovation die Welt ein kleines Stück verändert– dann ist das wertvoll. Und dann steht da jemand, der Gedichte liest. Oder Kunstgeschichte studiert. Für viele klingt das nach Freizeitgestaltung, nicht nach Beruf. Nach Luxus, nicht nach Leistung. Nach Hobby, nicht nach „etwas, das der Gesellschaft auch etwas bringt“. Aber stimmt das ?

Zwischen den Zeilen

Die Wahrheit ist: Menschen brauchen Kunst. Vielleicht sitzt man an einem verregneten Dienstagabend auf dem Küchenboden, irgendwo zwischen Liebeskummer und Existenzzweifel, und plötzlich findet man sich in einem Gedicht wieder. Oder in einem Roman, der so fühlt, wie man sich selbst nicht traut, zu fühlen. Und genau dann werden Kunst und Literatur wichtig für uns, weil es uns zeigt, dass jemand anderes es schon mal so empfunden hat. Das Gleiche gilt für Situationen in denen wir glücklich sind. Kunst und Literatur helfen uns über uns selbst und unsere Gefühle zu reflektieren und sie besser zu verstehen. Sie sind sind Zuflucht, Resonanzraum und manchmal auch leiser Protest gegen die Realität. Viele Gedanken und Gefühle, die sonst nie an die Oberfläche gekommen wären, können durch Kunst und Literatur Ausdruck finden. Sie sind wie ein Lehrer, der uns Dinge lehrt über die wir uns nicht trauen zu sprechen.

Auch für die Gesellschaft sind Kunst und Literatur von stiller aber großer Bedeutung. Es steht für für das Menschliche, dass uns über Generationen und Kulturen hinweg miteinander verbindet. Kunst und Literatur können als Spiegel der Gesellschaft fungieren und gesellschaftliche Probleme ansprechen. Sie helfen uns bei der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und bietet uns gleichzeitig Zuflucht aus der Wirklichkeit. 

Gelernt beim Zuhören fremder Gespräche

Nachdem ich den Satz in Gedanken immer wieder durchgegangen bin, bin ich mir sicher, dass ich dem Mann nicht zustimmen kann und auch nicht möchte. Literatur und Kunst werden gebraucht, wenn auch nicht von jedem. Vielleicht träumen wir uns nicht davon – vielleicht finden wir uns darin ein kleines Stück weit wieder. Vielleicht brauchen Menschen Kunst, weil sie uns daran erinnert, dass wir menschlich sind. 

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Dieser Artikel ist Teil der Sätzesammler-Kolumne. Die Folge "Ich habe mal gehört, dass man heutzutage kein Interesse zeigen soll“ findest du hier.