Familienpolitik 10 Minuten

Deutschland braucht Kinder

Eine ältere Frau steht neben einem leeren Kinderwagen in einer Waldlichtung direkt vor einer Schranke.
Die Zusammensetzung der Bevölkerung verschiebt sich. (Symbolbild) | Quelle: Thalia Pfeiffer
10. Dez. 2025

Unser Land schrumpft: Durch die sinkende Geburtenrate stehen Wirtschaft und Sozialsystem bereits unter Druck. Familienpolitik steht in der Verantwortung einen Rahmen zu schaffen, der die Entscheidung für Kinder erleichtert.

Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigt: Die deutsche Geburtenrate ist zwischen 2021 und 2024 deutlich gefallen – von 1,58 auf 1,35 Kinder pro Frau. Dahingegen blieb die Anzahl der gewünschten Kinder auf einem stabil höheren Niveau von rund 1,75. Das heißt: Viele Menschen, die eigentlich Kinder wollen, sehen aktuell keinen passenden Zeitpunkt dafür.

Die Lücke zwischen gewünschter und tatsächlicher Kinderzahl nennt man „Fertility Gap“. | Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerung / Grafik: Thalia Pfeiffer

Als mögliche Ursache nennt die Forschungsgruppe eine Verunsicherung der Menschen mit Kinderwunsch, ausgelöst durch die Krisen der letzten Jahre – Corona, Ukraine-Krieg, Inflation und Klimawandel. Wenn man die Geburtenrate als Indikator für das Sicherheitsgefühl betrachtet, dann hat Deutschland sich immerhin in einer Krise bewährt: Nach dem ersten Corona-Lockdown schwang die Geburtenrate laut BiB trotz ökonomischer Unsicherheit und gesundheitlichen Sorgen durch den „Cocooning-Effekt“ sogar minimal auf. In den USA, China und Südeuropa kam es derweil zu Geburteneinbrüchen von bis zu zwanzig Prozent. 

Der Cocooning-Effekt beschreibt den Rückzug von der komplexen, bedrohlichen und unkontrollierbaren Umwelt in die eigenen vier Wände. Während des Corona-Lockdowns hatten Paare dadurch intensiv Zeit, sich mit dem persönlichen Kinderwunsch zu befassen.

Quelle: wirtschaftslexikon.gabler.de/

Kinder: Ein Muss für den Staat?

Damit eine Bevölkerung ihre Größe beibehält, muss eine Frau durchschnittlich 2,1 Kinder auf die Welt bringen. Kinder sind wichtig für den Staat. Jedes Geburtenjahr stärkt langfristig das wirtschaftliche Potenzial eines Landes. Durchläuft ein Kind erfolgreich den Bildungsweg, tritt es in die Arbeitswelt ein und leistet dadurch einen Beitrag zur Wirtschaft. Gleichzeitig trägt es dann den Staat mittels Sozialabgaben und Steuern. Sinkt die Geburtenrate, rutscht das staatliche Finanzierungssystem in ein Ungleichgewicht.

Kann Familienpolitik die Geburtenrate beeinflussen?

Ein wichtiger Faktor für die Geburtenrate: Der Staat muss Folgen der Krisen unserer Zeit mildern und dadurch der Bevölkerung Sicherheit in ihrer Lebensplanung bieten. In Deutschland liegt die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau jedoch schon seit 1975 bei höchstens 1,59. Und das, obwohl die Familienpolitik seitdem umfangreich reformiert wurde. Trotzdem hat die Bevölkerungssoziologie einen Einfluss der Familienpolitik bestätigt. Aber weder hat jede familienpolitische Maßnahme einen gleich-positiven Einfluss auf alle betroffenen Gruppen, noch lässt sich ein „Erfolg“ immer direkt im Folgejahr messen. Insbesondere helfen (potenziellen) Eltern großzügige Geldleistungen und verlässliche Kinderbetreuung. 

„Eine familienpolitische Maßnahme ist nur ein Mosaikstein in der hochkomplexen Entscheidung eines Paares, zu einem bestimmten Zeitpunkt im Lebensverlauf Kinder zu bekommen.“ 

Martin Bujard, Professor für Familiensoziologie (Handbuch Bevölkerungssoziologie)

Im Koalitionsvertrag planen CDU/CSU und SPD mehrere familienpolitische Neuerungen: Das Elterngeld soll erstmals seit seiner Einführung 2007 steigen und künftig auch Pflegeeltern zugutekommen. Grundschulen sollen zusätzliche Unterstützung erhalten, sodass Ganztagsbetreuung überall umsetzbar wird. Zudem will man Krippen und Kitas sanieren, modernisieren und den Neubau vorantreiben. Ein digitales Portal soll Eltern schließlich alle Leistungen transparent anzeigen und die Antragsstellung vereinfachen.

Elterngeld ist eine staatliche Geldleistung für Eltern, die nach der Geburt ihres Kindes weniger oder nicht arbeiten. Ein Elternteil kann zwei bis 12 Monate Elterngeld beziehen. Gemeinsam stehen beiden Elternteilen maximal 14 Monate zur Aufteilung zu (z.B. „Beide sieben Monate“ oder „Mutter zwei, Vater 12 Monate“). Die Höhe des Elterngelds beträgt in der Regel 65 Prozent des Nettoeinkommens vor der Geburt und bis jetzt mindestens 300 Euro und höchstens 1.800 Euro. Beim ElterngeldPlus erhält man pro Monat die Hälfte des Basiselterngelds, dafür aber für doppelt so viele Monate. 

Quelle: bmbfsfj.bund.de

Kinderwunsch darf nicht am Einkommen scheitern

Trotz Inflation wurde das Elterngeld fast 20 Jahre nicht erhöht, eine Anpassung ist daher dringend nötig. Das Gunda-Werner-Institut schlägt zudem eine grundlegende Reform vor: Man könnte das Elterngeld einkommensunabhängig auszahlen. Der Betrag würde sich dann am durchschnittlichen Nettoeinkommen von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Dadurch würden einkommensschwache Familien stärker entlastet und man könnte eine Chancengleichheit für Kinder am ehesten gewährleisten, ähnlich wie beim Kindergeld. Auch beim Steuerrecht sehen Fachleute Reformbedarf. Durch das Ehegattensplitting werden verheiratete Paare begünstigt – unabhängig davon, ob sie Kinder haben. Das könnte man in ein Familiensplitting umwandeln, das sich an der Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder orientiert und nicht länger am Ehestatus. Dadurch würde man allen Familienformen die gleiche Wertschätzung entgegenbringen.

Das Ehegattensplitting ist ein Steuervorteil für Ehepaare und Paare in eingetragener Lebenspartnerschaft. Hat das Paar sein Vermögen gemeinsam veranlagt, werden beide Einkommen zusammengezählt und so besteuert, als hätte jede*r die Hälfte verdient. Je größer der Einkommensunterschied, desto höher die Steuerersparnis. Die maximale Ersparnis liegt bei fast 20.000 Euro pro Jahr, wenn ein Partner 550.000 Euro verdient und der andere kein Einkommen hat.

Quelle: diw.de

Personalmangel bremst Betreuungsausbau

Der Ausbau der Ganztagsbetreuung an Grundschulen und Kitas gilt als zentral, um Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Zwar besteht seit 2013 ein Rechtsanspruch auf Betreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, doch die Realität hinkt hinterher. 2024 wurde vor allem der Betreuungsbedarf für Kinder unter drei Jahren noch nicht ausreichend gedeckt: 52 Prozent der Nachfrage stehen einer Betreuungsquote von 37,4 Prozent gegenüber. Hauptgrund ist der Personalmangel: Für altersgemischte Gruppen empfiehlt die Forschung, dass eine Fachkraft auf maximal 3,75 Kinder aufpasst. Allerdings musste ein*e Erzieher*in 2023 durchschnittlich 6,4 Kinder betreuen. Mehr Geld allein kann das Problem nicht lösen. Notwendig sind vor allem zusätzliche Ausbildungskapazitäten und attraktivere Arbeitsbedingungen für Fachkräfte. 

Auch ein hohes Maß an Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt stärkt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Lassen sich Karriere und Kind jedoch nicht unter einen Hut bringen, führt das tendenziell zu niedrigen Geburtenraten. | Quelle: BMFSFJ / Grafik: Thalia Pfeiffer

Gleichberechtigung fördern, wo sie gewünscht ist

2024 sind mit 77,6 Prozent so viele Frauen wie noch nie am deutschen Arbeitsmarkt (84,9 Prozent der Männer). Doch fast die Hälfte arbeitet in Teilzeit. Das drückt Einkommen und Aufstiegschancen, wesentliche Ursachen für Altersarmut und die geschlechtsspezifische Lohnlücke (Gender Pay Gap). Dass Männer im Schnitt mehr verdienen, könnte zu einem familieninternen Entschluss führen, dass die Frau für die Kinder beruflich kürzer tritt. Das Ehegattensplitting befeuert diese ungleiche Aufteilung von Care-Arbeit, da es große Gehaltsunterschiede bei Ehepartnern steuerlich belohnt. 

Auch bei der Elternzeit zeigt sich das Muster: Nur jede*r vierte Elterngeldbeziehende ist ein Vater, obwohl sich laut Väterreport 2023 jeder zweite Mann eine 50:50 Betreuung wünscht. Ein Anfang wäre die geplante „Familienstarterzeit“. Sie umfasst zehn bezahlte Arbeitstage für den zweiten Elternteil nach der Geburt. Es braucht außerdem mehr Modelle wie die „Brückenteilzeit“, bei der ein Unternehmen mit der angestellten Person vor dem Start in Teilzeit vereinbart, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt wieder in Vollzeit gearbeitet wird. So können beide Eltern persönlich ihre Kinder betreuen und gleichzeitig ihre Karriere planen – ohne langfristig finanzielle Nachteile zu riskieren. 

Ein weltweites Problem?

Obwohl die Bevölkerung in vielen europäischen Ländern bereits schrumpft, wird sie Prognosen zufolge bis 2080 auf weltweit rund zehn Milliarden Menschen wachsen. In Deutschland könnte technologischer Fortschritt wie Künstliche Intelligenz und Automatisierung helfen, das Produktivitätsniveau und damit die Wirtschaftskraft zu erhalten. Und wenn Fachkräfte aus dem Ausland zuwandern, kann das ebenfalls Probleme abmildern. Zuwanderung besteht allerdings nicht nur aus Fachkräften und erfordert wiederum Integrationsleistung und gesellschaftliche Akzeptanz. 

Gleichzeitig zeigt das BiB: Junge Erwachsene zwischen 18 und 19 Jahren wünschen sich hierzulande im Schnitt sogar 1,9 Kinder. Ein Geburtenanstieg bleibt also möglich – wenn Politik Sicherheit schafft, alle Familienformen finanziell wertschätzt und Betreuung sowie Gleichstellung konsequent fördert.