Sexsucht

Wenn die Lust die Kontrolle übernimmt

Die Sexsucht kann verschiedene Erscheinungsformen haben und bei jedem Betroffenen anders verlaufen. (Symbolbild)
03. Dez. 2021
Hypersexualität — die Lust wird zum Zwang. Was verbirgt sich hinter diesem von der Gesellschaft totgeschwiegenen Phänomen? Verschiedene Expert*innen berichten über die Auswirkungen und Ursachen dieser Erkrankung.

Sexsucht kann sich auf verschiedenste Weise äußern. Man unterscheide drei Hauptbereiche, die überwiegend in sexualtherapeutischen Praxen behandelt werden, so Siegfried Frey, Paar- und Sexualtherapeut. Der erste Bereich umfasse den übermäßigen Wechsel von Sexualkontakten, „Promiskuität” genannt. Der zwanghafte Konsum von pornografischen Inhalten bilde den zweiten Bereich. Bei Letzterem handle es sich um sexualbezogene Aktivitäten rund um ferngesteuerte Sexspielzeuge, spezialisierte Chatrooms oder auch „Cam-Sex”. Hierbei kommen die übermäßigen Sexualkontakte eher bei Frauen vor, der starke Porno-Konsum dagegen eher bei Männern. Der Cyber-Sex sei in etwa gleich verteilt, fügt Frey hinzu.

Expert*innen zufolge ist die Dunkelziffer bei Hypersexualität im Vergleich zu anderen Süchten deutlich höher. Auch deshalb ist Aufklärung in diesem Bereich unerlässlich. Doch wie äußert sich diese Störung und wie sieht das Leben einer betroffenen Person aus?

Wie kommt es zu so einer Sucht?

Die Hypersexualität gehöre zu den stoffungebundenen Süchten. Es handle sich demnach um zwanghaft ausgeführte Verhaltensweisen, so Sylvia Zdrzalek, studierte Sozialarbeiterin/-pädagogin. Laut Frey gelten für diese Störungen allgemeine Kriterien, die sich auf sämtliche Süchte anwenden lassen. Ausschlaggebend ist unter anderem, dass ein Kontrollverlust vorliegt. Ein zweiter Aspekt, den Frey anspricht, ist die Toleranz — eine Erhöhung der Dosis sowohl quantitativ als auch qualitativ sei unerlässlich. Dies geschehe in einem Automatismus. Der persönliche Leidensdruck spiele eine äußerst wichtige Rolle. Eine Sexsucht könne auch durch schwere Stresssituationen, Ängste und Depressionen ausgelöst werden. Sie habe Auswirkungen auf das soziale Netz, Familie, Partnerschaft und Arbeitsstelle des Betroffenen und richte dort Schaden an. Somit sei weniger die Tat an sich von Bedeutung, sondern die Beweggründe und Auswirkungen.

Durch die sexuellen Aktivitäten bekämen Betroffene das Gefühl, begehrt zu werden und attraktiv zu sein. Sie zögen somit Selbstbewusstsein aus ihren Handlungen, erklärt Annette Zschaler, Paar- und Sexualtherapeutin. Die Patient*innen würden außerdem immer jünger. Es gäbe inzwischen massenweise Fälle bei 20- bis 30-jährigen. Zschaler berichtet über einen ihrer Patienten, bei dem es besonders früh angefangen hat:

Das Familienklima in der Kindheit könne außerdem eine Ursache sein. Verhaltensweisen die von Kälte, Ablehnung oder Demütigung geprägt seien, könnten dazu führen, dass das Kind nicht altersgerecht erzogen werde, da die Fähigkeit dazu seitens der Eltern fehle, so Zdrzalek.

Es soll aufhören!

Der Zwang kontrolliere ihren gesamten Alltag. Die Betroffenen müssten mehrmals am Tag ihren Zwangshandlungen nachgehen. Dabei sei irrelevant, ob die Situation dies zulässt. „Bei einem meiner Patienten, war es so, dass er sechsmal am Tag mit seiner Frau schlafen und zwischendurch auch masturbieren musste”, so Olga Hildebrandt, Sexual- und Paartherapeutin. Das Gefühl der Befriedigung halte außerdem nicht lange an und müsse somit ständig neu hervorgerufen werden. „Die Betroffenen geraten dadurch in einen Teufelskreis”, fügt sie hinzu.

„Wenn sie zu mir kommen, sind sie oft sehr verzweifelt, wütend und aggressiv, weil sie kein Verständnis in der Familie haben oder sich sehr machtlos fühlen. Sie haben das Gefühl, es ist wie ein Dämon, von dem sie besessen sind”, sagt Zschaler.

Ein Ausweg

In einem Aspekt sind sich alle Expert*innen einig: Es gibt einen Weg, die Sucht zu kontrollieren.
Jegliche Verbote seien kontraproduktiv. Die Patient*innen müssten lernen zu akzeptieren, dass die Sucht ein Teil von ihnen ist. Sie sollten darauf achten, was im Körper stattfindet, wenn sie erregt sind. Dabei solle der Fokus auf die Empfindung und nicht auf dem Orgasmus liegen. Im Rahmen der Therapie sei es wichtig, dass sie sich von pornografischen Inhalten distanzieren und sich ganz auf sich selbst konzentrieren. Das Ziel der Therapie bestehe vor allem darin, zu einem gesunden Verhältnis zum Sex zurückzukehren. Völlig frei von Zwang, Scham und Leid.

Diese und weitere Fragen können von Fachleuten verwendet werden, um eine Sexsucht festzustellen.