„Die CSU profitiert als Partei davon, wenn sich in ihren Reihen Personen befinden, die aus dem Mainstream herausstechen.“
Rebellion versus Tradition: Warum ein CSU-Bürgermeister in einer Punkband singt
Sobald in Deutschland die ersten Frühlingstage anbrechen, sind gefühlt alle Bürger*innen dieser Republik auf Achse. So ist es auch an diesem warmen Sonntag im April 2024 in Bayern. Dieses Bundesland wird oft mit wunderschönem Alpenpanorama und dem idyllischen Allgäu verbunden. An Gerolzhofen in Unterfranken denken wahrscheinlich die wenigsten, wenn sie an Bayern denken. Genau dort lebt aber Thorsten Wozniak, der auf den ersten Blick zwei widersprüchlichen Dingen nachgeht. Zum einen ist Wozniak seit 2013 hauptamtlicher CSU-Bürgermeister von Gerolzhofen, zum anderen ist seine große Leidenschaft die Punkmusik.
Mit rund sechstausend Einwohner*innen liegt Gerolzhofen weit weg von den üblichen politischen Schlagzeilen. Die Stadt ist geprägt durch viele alte Häuser. Es passt ins Bild, dass Thorsten Wozniak in einem dieser Häuser lebt, dessen Inneres allerdings modern ist. Sobald man das Haus betritt, führt eine alte Holztreppe hinauf zu einer wunderschönen Terrasse mit Blick über die historischen Dächer der Stadt. Der 47-Jährige ist mit Gerolzhofen tief verbunden. Hier ist er aufgewachsen und zur Schule gegangen. Als Bürgermeister ist der Ort seit elf Jahren auch seine berufliche Heimat. Neben seinem Job als hauptamtlicher CSU-Bürgermeister geht Wozniak noch vielen Hobbys nach. So ist er an diesem Tag bereits 30 Kilometer gejoggt – Vorbereitungen für den diesjährigen Marathon. Eines seiner Hobbys hat Wozniak nach vielen Jahren Pause kürzlich wieder richtig aufleben lassen: In einer Punkband singen. Nach über 30 Jahren ist die ehemalige Schüler-Band „EIS“ wieder da. Mit Thorsten Wozniak als Sänger. Doch wie passt der Punk zum Politiker Thorsten Wozniak, der sich selbst als konservativ beschreibt?
Der promovierte Parteienforscher Benjamin Höhne sieht auf den ersten Blick einen Widerspruch in dieser Verbindung. „Die CSU möchte den gesellschafts-politischen Status quo aufrechterhalten und widerspricht dadurch dem Grundgedanken vom Punk. Der Punk möchte diesen Status quo radikal auflösen.“ Allerdings habe zum einen die Radikalität des Punks seit den 90er-Jahren stark abgenommen, zum anderen habe die CSU in ihrem Anspruch als Volkspartei auch die Aufgabe, einen Schirm über die gesamte Bevölkerung zu spannen. „Die CSU profitiert als Partei davon, wenn sich in ihren Reihen Personen befinden, die aus dem Mainstream herausstechen“, so der Politikwissenschaftler. Dass es Politiker gebe, die nicht perfekt ins Profil ihrer Partei passen, sei grundsätzlich kein neues Phänomen. So habe schon Bundeskanzler Helmut Schmidt politisch weiter rechts gestanden als Teile seiner Partei, die SPD. Außerdem stehe auf kommunaler Ebene die Persönlichkeit eines Politikers etwas mehr im Vordergrund als seine Parteizugehörigkeit.
„Wie viel Protest gegen das echte Leben kann ein Vierzehnjähriger haben, der aufs Gymnasium geht?“
Thorsten Wozniak selbst hat auch keine einfache Antwort auf die Frage, wie das konservative Weltbild der CSU zum Punk passe. Nach kurzem Überlegen sagt er aber, wenn er Schlagermusik machen würde, hätte wahrscheinlich niemand ein Problem damit. In seiner Jugend entdeckte er zuerst die Leidenschaft für Musik. Mit 13 Jahren gründete Woznaik mit Schulfreunden die Punkband „EIS“. Die Punkmusik sei kein Protest gegen das Elternhaus gewesen, da käme wieder das Konservative in ihm durch. Doch was versteht Thorsten Wozniak eigentlich unter Konservatismus?
Und so passe es wiederum, dass alle Bandmitglieder aus gutbürgerlichen Verhältnissen kämen. Die Punkmusik habe sich nicht gegen die eigenen sozialen Verhältnisse gerichtet, sondern sei vielmehr eine Reaktion auf den wiedererstarkenden Rechtsextremismus Anfang der 1990er Jahre gewesen – wobei er auch zu bedenken gibt: „Wie viel Protest gegen das echte Leben kann ein Vierzehnjähriger haben, der aufs Gymnasium geht?“ Als Wozniak sich an die Musik zurückerinnert, die die Band „EIS“ damals gemacht hat, muss er schmunzeln. „Mit 13 Jahren fanden wir Die Ärzte cool. So hat sich unsere Musik auch fast angehört. Nur schlechter natürlich.“
Die Punkmusik sorgt letztendlich dafür, dass Thorsten Wozniak anfängt, sich als Jugendlicher für die Lokalpolitik zu interessieren. Mit 16 Jahren stellt er im Stadtrat einen Antrag, um mit seiner Band ein Open-Air-Konzert zu veranstalten. Mit 19 Jahren steht er das erste Mal auf einer freien Liste für den Stadtrat, wird allerdings nicht gewählt. 1994 löst sich die Band „EIS“ nach rund 50 Konzerten auf. Trotzdem bleibt Wozniak der Musik in verschiedenen Bands treu und macht beruflich Karriere. Nach der Schule absolviert er ein Volontariat bei einer lokalen Zeitung und ist anschließend als Redakteur für Radio und Zeitung tätig. Nebenbei gründet er mit einem Freund die Konzertagentur „Gebrüder Krimm“. Doch dann kommt es zwischen der Agentur und der SPD zu einem jahrelangen Rechtsstreit, weil sich beide Parteien nicht einig sind, wer die Zeche für ein geflopptes Open-Air-Konzert gegen rechte Gewalt zahlen soll. Spätestens da ist es für Wozniak mit der SPD vorbei: „Die SPD wäre aber sowieso nie die Partei meines Herzes gewesen.“ Anfang der 2000er Jahre wechselt Thorsten Wozniak dann die Seiten und wird vom Redakteur zum Pressesprecher. Neun Jahre arbeitet er in der Öffentlichkeitsarbeit des Landkreises Schweinfurt. Der damalige Schweinfurter Landrat Harald Leitherer habe ihn dann in die CSU geholt. 2012 dann die Wahl zum Bürgermeister von Gerolzhofen. „Irgendwie verändert sich das Leben“, blickt Wozniak nachdenklich zurück. „Die Entscheidungen Landratsamt, Stadtrat, Bürgermeister waren in den Phasen Heirat, Haus, Kind.“
Ein Freundeskreis von links bis rechts
Auch seine politischen Einstellungen hätten sich im Vergleich zu seiner Jugend verändert. Am stärksten sei dies beim Thema Leistung der Fall. „Wenn jemand viel arbeitet, dann soll er sich auch den Porsche kaufen können. Als Jugendlicher hätte ich da gesagt: Scheiß Bonzenschweine.“ Außerdem hätte er als Jugendlicher auf keinen Fall eine Volksmusikveranstaltung unterstützt. Unverändert ist seine ablehnende Haltung rechtsextremen Tendenzen gegenüber. „Würde die CSU mit der AfD koalieren, wäre ich raus aus der CSU“, versichert Wozniak. Er räumt aber ein, dass es sich auf kommunaler Ebene nicht immer vermeiden lässt, Anträge auch mit den Stimmen der AfD durchkommen zu lassen. Und wie steht Thorsten Wozniak heute dem Thema Migration gegenüber? „Wir können nicht die Probleme der ganzen Welt lösen, aber wenn hier Menschen aufschlagen, dann sind wir in der Verpflichtung, diesen Menschen zu helfen.“ Er verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Gerolzhofen proaktiv die Stadthalle als mögliche Notunterkunft zur Verfügung gestellt habe. Wozniak sieht sich als „Die Mitte“. „Mein Freundeskreis geht von sehr links bis sehr rechts. Da sind Ökos genauso dabei wie richtig furchtbar reiche Menschen.“ Da müsse man sich angewöhnen, sehr offen zu sein.
Die Punkband als berufliches Risiko?
Im politischen Alltag wird Thorsten Wozniak in der Fraktion oft als linker Punker bezeichnet. Er könne damit gut umgehen. Schließlich ist Wozniak seit 25 Jahren auch noch Vegetarier. Verhungert sei er deswegen auf einem fleischlastigen CSU-Parteitag trotzdem nicht und Markus Söder habe ihn darauf auch noch nicht angesprochen. In der Praxis zeige sich, dass die Polarisierung sich ganz oft im Dialog auflöse. Politikwissenschaftler Höhne beobachtet, dass die Bereitschaft, Unterschiedlichkeit auszuhalten, in der Gesellschaft abnehme. Deswegen hebt er hervor: „Es ist gut und wichtig für die Parteien, wenn möglichst viele unterschiedliche Menschen den Weg zu ihnen finden. Nur so können Parteien ihrer Kernfunktion, der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Staat, nachkommen.“
In Gerolzhofen läuten die Kirchenglocken und auf Wozniaks Terrasse scheint immer noch die Sonne. Das Comeback der Punkband „EIS“ sei für Thorsten Wozniak schon ein größeres Thema gewesen – verbunden mit der Frage: Kann er mit der Band an die Öffentlichkeit gehen? Schließlich ist Wozniak zu folgendem Schluss gekommen: „Wenn meine Bandtätigkeit ein Kriterium wäre, dass ich 2026 nicht wiedergewählt werde, dann ist es halt so.“ Er habe als Bürgermeister eine Offenheit allen Menschen gegenüber und das sei auch der Anspruch, den er an den Punk stelle: Offen sein, kritisch bleiben. Und dann würde es einfach auch wahnsinnig viel Spaß machen, mit verzerrten Gitarren laut auf der Bühne zu stehen.