Nature One 4 Minuten

Der Rausch der Freiheit

Der „OpenAirFloor“ des Nature One Festivals.
Der „OpenAirFloor“ des Nature One Festivals. Hier treten die Künstler*innen vor 10.000 Besucher*innen auf. | Quelle: NATURE ONE
08. Dez. 2023

Im Hunsrück erwacht Jahr für Jahr auf einem beschaulichen Gelände das wilde Leben. Hier, auf der ehemaligen Raketenstation, verschmelzen pulsierende Beats mit der Natur, und Tausende von Menschen finden sich zusammen, um ein einzigartiges musikalisches Abenteuer zu erleben.

Nature One – ein Name, der in der Welt der Elektromusik und Festivals einen Klang hat wie kein anderer.

Das Festival ist längst zu einem Symbol für die Kraft der Musik, die Einheit der Menschen und die Freiheit der Selbstexpression geworden. Doch hinter den atemberaubenden Lichtern, den beeindruckenden Bühnen und den endlosen Klängen, die die Luft erfüllen, gibt es eine Welt, die selten beleuchtet wird – die Welt derer, die dieses Festival von Anfang bis Ende gestalten und sichern.

Ich möchte auf diese Seite blicken und herausfinden, ob es wirklich das Festival ist, bei dem Musik die Menschen verbindet und die Sicherheit und Leidenschaft in perfekter Harmonie zueinander stehen.

Die Geschichte

Die Nature One ist eines der ältesten und größten Techno-Festivals Europas. Auf 22 Bühnen in, neben und auf Bunkern der ehemaligen militärischen Anlage legen 350 DJs auf, darunter auch bekannte Künstler*innen wie Alle Farben oder Charlotte de Witte. Die 65.000 Besucher*innen können zu Techno, House, Trance, Hardstyle, Drum and Bass und vielen anderen Genres tanzen. Mittlerweile übernachten auf dem 150 Fußballfelder großen Campingplatz über 50.000 Menschen. Die erste Nature One fand 1995 auf dem Flugplatz Hahn in Rheinland-Pfalz statt. Zwei Jahre später wurde das Festival auf das ehemalige Militärgelände Pydna in Kastellaun verlegt, wo es seitdem jährlich stattfindet. Das Festival war ein großer Erfolg und die Zahl der Besucher*innen stiegen in den folgenden Jahren stetig an.

Das Festivalgelände bei Dämmerung.
Der Blick von oben auf das Festivalgelände bei Dämmerung.
Quelle: NATURE ONE

Die Location wurde ursprünglich für Atomraketen und Zerstörung gebaut. Beim Betreten des Festivalgeländes spürt man genau diese Vergangenheit der Raketenbasis. Ein unübersehbarer Marschflugkörper mit der Aufschrift „U.S. Air Force“ steht vor den Einlasskontrollen der Nature. Stacheldraht und meterdicke Stahlbetonmauern umringen das Gelände, in dem sich sechs hügelförmige Bunker befinden. In der Mitte dieser Fläche ragt ein Wachturm empor. An diesem Wochenende war er schwer zu übersehen, da aus dem Turm grüne Laser über das gesamte Gelände strahlten. Die meisten Raver laufen, ohne nachzudenken oder zu zögern, in die teils ungeheuerliche Basis, die im selben Moment Freude, Energie und Freiheit ausstrahlt.

Der ehemalige Wachturm steht mittig auf dem Festivalgelände.
Der ehemalige Wachturm steht mittig auf dem Festivalgelände.
Quelle: NATURE ONE

Die Balance zwischen Sicherheit und Atmosphäre

Inmitten dieser Welt gibt es eine Dimension, die selten ans Tageslicht tritt. Diese Dimension wird von Menschen geformt, wie zum Beispiel von Oliver Vordemvenne. Er ist Geschäftsführer des Nature One Veranstalters „I-Motion“ und einer dieser Menschen, die das Festival zu dem gemacht haben, was es heute ist. Durch seine Leidenschaft für Musik und seinen visionären Ansatz bei der Festivalorganisation konnte er sein Hobby zum Beruf machen. Er ist der Meinung, dass „seit vielen, vielen Jahren ein sehr guter Spirit auf dem Platz herrscht.“ Es hat sich auf dem Gelände über die Jahre herumgesprochen, dass es der Veranstalter in Zusammenarbeit mit der Polizei geschafft hat, die Leute vom Gelände zu sortieren, die sich nicht an die Regeln der Nature One halten. Um dieses Image weiterhin aufrecht zu erhalten, ist der Veranstalter jedes Jahr in engem Austausch mit der Polizei. So zum Beispiel auch mit dem Polizeidirektor Björn Neureuter.

Für den Leiter der Polizeidirektion Koblenz ist das nicht der erste Einsatz bei der Nature One. 2005 kam er als Sachbearbeiter der Polizei das erste Mal in Kontakt mit dem Festival. „Es ist ein Happening, das man schon gerne professionell begleitet“, sagt Neureuter. Die polizeiliche Organisation und Durchführung der Nature One erfordert jedoch – neben dem Austausch mit dem Veranstalter – einen großen Personalkörper und eine ausführliche Planung. „Bereits zwei Wochen vor Festivalbeginn startet der Aufbau der polizeilichen Infrastruktur, denn wir benötigen zum Beispiel eine Wache oder verschiedene Kontrollstationen“, sagt Neureuter.

Der eigentliche Einsatz startet dann am Mittwoch vor dem Festivalwochenende. Dabei gibt es grob drei Schichten mit je drei Einsatzphasen pro Tag. „Wenn man alle Einsatzphasen zusammenzählt, wird deutlich, dass die Zahl der benötigten Kräfte bei über 800 liegt. Aber das ist ein Einsatz, wo ich mich als Polizeiführer drauf freue und die Einsatzkräfte in der Regel auch“, so Neureuter. Er nimmt die Stimmung auf der Raketenbasis als entspannt wahr und sagt, dass „die Leute weitgehend lieb miteinander umgehen.“ Laut dem Polizeidirektor gibt es im Vergleich zu anderen Veranstaltungen hier nahezu keine Körperverletzungsdelikte oder Widerstandsdelikte.

Um die Sicherheit aller Anwesenden dennoch zu gewährleisten, setzt die Polizei ihre Kräfte sowohl offen als auch verdeckt ein. „Da es in der Vergangenheit bei Großveranstaltungen bereits Terroranschläge gab, sind die Terrorgefahr und irrational handelnde Menschen auch hier ein Thema“, so der Polizeidirektor. Die Besucher*innen müssen am Wochenende damit rechnen, dass es jederzeit zu einer polizeilichen Durchsuchung kommen kann. „Wenn die Menschen das wissen, bin ich zufrieden“, sagt Neureuter.

„Die Terrorgefahr [...] ist hier auch ein Thema.“

Polizeidirektor Björn Neureuter

Oliver Vordemvenne ist sich sicher, dass das Festival den „verrücktesten Campingplatz der Welt“ hat. Vom Aggregator mit Kühlschrank bis hin zur eigenen Campingbühne ist hier nahezu alles erlaubt. Verschiedene Gruppen kommen mit großen Sprintern, um große Zelte, Pavillions und die Bühnen für den 120 Hektar großen Campingplatz aufzubauen. Menschen in allen Altersgruppen übernachten auf den Wiesen von Donnerstag bis Montag. Als ich mein Zelt aufbaue, stellt sich ein Auto mit Wohnwagen neben meinen Platz. Es steigt eine Familie aus dem Auto. Der Vater erklärt, dass er seit über 15 Jahren hier campt und mittlerweile eben seine beiden Töchter mit auf das Festival nimmt. „Dass sich das von Generation zu Generation so weitergibt, ist schon ein besonderes Gefühl“, erklärt mir Oliver Vordemvenne.

Der Campingplatz streckt sich zweieinhalb Kilometer von Nord nach Süd.
Der Campingplatz streckt sich zweieinhalb Kilometer von Nord nach Süd.
Quelle: NATURE ONE

Trotz großer Festivalgemeinschaft und der generationsübergreifenden Begeisterung für das Festival stellt sich die Frage: Wie sieht die Realität im Alltag eines solch großen Festivals aus? Wie gehen die Veranstalter und die Polizei mit Herausforderungen wie dem Drogenkonsum um?

Drogenkonsum als Festivalalltag?

Drogenkonsum ist leider eine Realität hinter den Kulissen vieler Musikfestivals, einschließlich der Nature One. Während die überwiegende Mehrheit der Festivalbesucher für die Musik, die Gemeinschaft und die einzigartige Atmosphäre kommt, gibt es dennoch einige Leute, die ohne illegale Drogen auf einem Festival nicht auskommen. Dieser Konsum kann eine Bandbreite von Substanzen umfassen, angefangen bei den vergleichsweise harmlosen wie Cannabis bis hin zu gefährlicheren und potenziell lebensbedrohlichen Drogen. „Das spielt aber keine Rolle, ob das bei Nature One ist, bei Rock am Ring oder beim Hip-Hop Open in Stuttgart. Wo junge Menschen sind, sind auch Drogen“, sagt Oliver Vordemvenne.

„Wo junge Menschen sind, sind auch Drogen.“

Oliver Vordemvenne, Veranstalter „Nature One“

Es gibt immer wieder Versuche, Drogen auf das Festivalgelände zu schmuggeln oder während des Events zu konsumieren, trotz intensiven Sicherheitskontrollen und umfangreichen Präventionsmaßnahmen. Zum Beispiel ist der Verein eve&rave jährlich mit einem Infostand auf dem Festival vertreten – privat initiiert seitens der Veranstalter. Die Informationsstände bieten den Festivalbesucher*innen Zugang zu Materialien, die die Risiken des Drogenkonsums deutlich machen und geben Ratschläge zur Schadensbegrenzung.

Doch der Drogenkonsum stellt nicht nur eine gesundheitliche Gefahr für diejenigen dar, die sie verwenden, sondern kann auch die Sicherheit und das Wohlbefinden aller Festivalbesucher*innen beeinträchtigen. Falls Festivalbesucher*innen falsche Drogen genommen haben oder sich nach dem Konsum nicht mehr sicher auf dem Gelände fühlen, hat die Polizei ein kleines Areal, wo die Besucher*innen unter polizeilicher Aufsicht Schutz suchen können. „Nach ungefähr zwei Stunden fragen sie sich dann, wo sie eigentlich sind und ob sie wieder gehen dürfen. Natürlich lassen wir die Leute dann wieder zum Feiern raus“, sagt Björn Neureuter.

Auch als Partygänger wird man vor Ort mehrmals am Tag von anderen Feiernden angesprochen, ob man ihnen nicht eventuell Drogen verkaufen möchte – ganz egal ob auf dem Campingplatz, in Warteschlangen vor den Getränkeständen oder vor den Bühnen. 

Die Nature One zeigt also, dass die Welt der Musik und Festivals nicht nur aus Lichtern, Lasern und Klängen besteht. Hier kommen Menschen mit Leidenschaft und Hingabe zusammen, um ein einzigartiges Erlebnis zu schaffen. Die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit wird zum größten Teil sorgfältig von allen Anwesenden gewahrt, damit die Nature One ein Symbol für Gleichheit, Weltoffenheit und die unvergessliche Kraft der Musik bleiben kann.