Auswandern

In 17 Kisten passt ein ganzes Leben

Ein neues Land, eine neue Kultur, ein neues Leben.
20. Mai 2021
Acht Wochen Vorbereitung. Fünf Kinder. Ein anderer Kontinent. Die Pandemie stellt eine siebenköpfige Familie vor eine große Herausforderung. Die Entscheidung ist getroffen: Ein neues Leben beginnt in Indonesien.

Sommer 2019. „La La Land“ liest man auf dem Schaufenster eines kleinen Ladens mitten in der Tübinger Altstadt. Beim Betreten springt einem sofort eine große Kinderschaukel ins Auge, die mitten im Laden von der niedrigen Decke hängt. Wenn man sich umsieht, kann man viele bunte Artikel entdecken. Von Spielzeug aus Holz, über Geburtstagsdekoration und Kindergeschirr bis zu Produkten von lokalen Künstler*innen. Stephanies Laden, mit dem sie sich gerade selbstständig gemacht hat, ist ein voller Erfolg.

Auch Stephanies Mann Stefan ist selbstständig. Als Zauberkünstler und Illusionist tourt er unter dem Künstlernamen Julius Frack durch die Welt und verblüfft die Menschen mit seinen Shows. Personen schweben zu lassen oder sich aus der „Kiste des Todes“ zu befreien, definieren seinen Arbeitsalltag. Helikopter oder andere große Objekte herbei zu zaubern, ist eine Kleinigkeit für ihn. Zusammen haben die beiden fünf Kinder. Finn, Minna, Ella, Mikk und Liff. Das Leben ist schön. Es läuft perfekt.

Zusammenhalt als Schlüssel aus der Krise

2020 – Die Corona-Pandemie hält die Welt in Atem. Die Folgen der Pandemiemaßnahmen bedeuten für viele Selbständige massive Einkommens- und Umsatzverluste. Viele Jobaufträge gehen zum Teil oder vollständig verloren. Auch an Stephanie und Stefan geht die Krise nicht spurlos vorbei. „Mein Mann hatte keine Arbeit mehr und von meinem Laden konnten wir nicht leben“, berichtet sie. Aufgeben kommt für die beiden allerdings nicht in Frage. Sie haben zu viel investiert, um nun vom Minimum leben zu müssen. Gemeinsam - als Familie - beschließen sie über das Thema „Auswandern“ nachzudenken. Da Stefan als Illusionist weltweit tätig ist und Stephanie auf ein Lehramt-Studium zurückgreifen kann, nimmt diese Idee immer mehr Gestalt an. In nur acht Wochen vollbringen Stefan und Stephanie das Unmögliche. Mit fünf Kindern und 17 Umzugskisten wagen sie den Schritt und reisen nach Indonesien – in ihre neue Heimat.

Das Land der Feuerberge

Vulkane sind charakteristisch für die rund 17 Tausend Inseln des indonesischen Archipels. Die Inseln sind Teil des „Feuerrings“ der den Pazifischen Ozean umschließt und zu dem circa 62 Prozent der aktiven Vulkane zählen. Dadurch ist Indonesien das Land mit den meisten aktiven Vulkanen der Welt. Es ist geprägt von Ausbrüchen und Erdbeben, bei denen sich Lavaströme, Schlammlawinen und Tsunamis ihren zerstörerischen Weg suchen. Ein Land, dessen Vorzüge man nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennt.

Es ist Mitternacht und leichter Nieselregen fällt auf die Erde. Ein kleiner Bus fährt vor. Die Familie wird am Flughafen von dem Leiter der deutschen Schule in Jakarta abgeholt. Stephanie ist schon gespannt auf den ersten Atemzug in ihrer neuen Heimat. Wie riecht es in Indonesien? „Schön warm“, erinnert sie sich. Genau eine Dreiviertelstunde dauert die Fahrt, bis sie endlich die Schranken ihres Compounds, einer bewachten Wohnanlage, passieren. Die Aufregung ist riesengroß. Sie halten vor einem großen weißen Haus mit einem Balkon über der Tür und einem Pool, der sich im Garten versteckt.

Ein Alltag in Indonesien

Als sogenannte Ortskraftlehrerin ist Stephanie jetzt an der deutschen Schule in Jakarta tätig. Das bedeutet, sie ist eine Lehrkraft mit einer deutschen Lehrbefähigung, welche direkt von einer Schule im Ausland angestellt wird. Die Schulsituation während der Corona-Pandemie ist in Indonesien nicht besser als in Deutschland: Die Schulen sind seit mehr als einem Jahr geschlossen. Alles läuft online ab. Auch Stephanies Kinder müssen Online am Unterricht teilnehmen.

Um 8 Uhr beginnt der Unterricht. Stephanie fängt mit Frühsport an und unterrichtet Onlinesporteinheiten in den verschieden Klassenstufen. Die Kinder bestreiten ihren Homeschooling-Alltag weitestgehend selbstständig. Nach dem Mittagessen ist genügend Zeit für Fußball, Tennis oder den Pool. Mit fünf Kindern und zwei Hunden kann es dabei wilder werden. Am Abend kehrt etwas Ruhe ein und Stephanie hat Zeit, sich ihrer Leidenschaft zu widmen – ihrem La La Land. Den Laden, den sie aufgrund von Corona schließen musste und kurzerhand zu einem Online-Shop umfunktioniert hat. Sie leitet ihn zusammen mit ihrer Freundin aus Deutschland, die die Auslieferung ihrer Produkte übernimmt. Außerdem ist sie gerade dabei das neue Label „lalalove“ zu gründen und dafür Konzeptideen zu entwickeln. Sie hält einen Regenbogen aus Rattan in die Kamera. „Es werden alles Naturprodukte aus Rattan sein, überwiegend Dekoration und Möbel“, beschreibt sie. Stephanies Kreativität hat keine Grenzen.

Zwischen Zweifel und Glücksgefühlen

„Es gibt hier natürlich auch finstere Augenblicke“, gibt Stephanie zu. Momente, die sie daran zweifeln lassen, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Das Corona Virus lässt die Familie nicht unverschont. Gerade als Stefan die Zusage für einen großen Zauberauftritt in Jakarta bekommt, erhält er das positive Testergebnis. Die Aussicht auf diesen finanziellen Schub ist dahin. Ein herber Rückschlag für die Familie, denn dieser Auftritt war einer der ausschlaggebenden Gründe für den Umzug nach Indonesien. Für Finn, den ältesten Sohn, ist es besonders hart. So richtig Anschluss findet er durch das Online-Learning nicht. Der 14-Jährige vermisst seine Freunde in Deutschland so sehr, dass er so schnell wie möglich zurück möchte. „Das stellt gerade einen großen Konflikt innerhalb der Familie dar“, erklärt sie.

Doch zwischen all den Zweifeln und Konflikten existieren auch Momente, über die man gerne spricht. Das Schwimmen mit Delfinen in kristallklarem Wasser oder das Beobachten von Orang-Utans mitten im tropischen Dschungel sind nur einige davon. Mit dem indischen Ozean vor der Nase, eignen sich solche Aktivitäten als Wochenendausflug. Die Familie nutzt jede freie Zeit, um gemeinsam die Inseln Indonesiens zu entdecken. Als Stephanie anfängt von diesen Familienmomenten zu erzählen, strahlt sie übers ganze Gesicht. „Einfach diese Momente mit den Kindern zu teilen, das ist was ich mir immer erhofft und erträumt habe.“ Ihr Lächeln wird breiter. „Und es macht mich wahnsinnig glücklich, dass es solche Momente gibt, die uns bestärken und immer wieder zurückholen“, sagt sie.

Wann genau sie wieder nach Deutschland zurückkehren werden, kann Stephanie nicht beantworten. Für die Familie ist erstmal klar, dass sie noch ein Jahr bleiben wollen. Was danach kommt, steht noch in den Sternen. „Es wird schon gut werden“, lacht Stephanie.