La Palma
Wie geht es den Inselbewohnern sechs Monate nach dem Vulkanausbruch?

01 Jun 2022
Glühende Lava, Asche, Zerstörung: Im September 2021 erschütterte ein Vulkanausbruch die Kanaren-Insel La Palma. Mathias Siebold wohnt nur drei Kilometer vom Ausbruch entfernt. Im Interview erzählt der 62-Jährige, wie es auf der Insel sechs Monate nach Ausbruch aussieht.Julia Georgii
Crossmedia-Redaktion / Public Relationsseit Sommersemester 2020
Zum Profil
Fast drei Monate lang spukte der Vulkan Lava aus. Wie ging es Ihnen, als der Ausbruch im Dezember endlich vorbei war?
Das war natürlich eine Riesenerleichterung. Ich hatte permanent einen gepackten Rucksack bei mir. Immer. Nachts stand er neben meinem Bett. Da waren die wichtigsten Dinge drin. Den konnte ich im Dezember endlich wieder auspacken.
Haben Sie Angst vor einem erneuten Ausbruch?
Natürlich…natürlich. Ich musste mir klipp und klar bewusst machen: Ja, das passiert in 30, 40 Jahren wieder. Das ist sicher. Es ist nur die Frage wann genau und da fragt man sich halt: Was mach ich jetzt? Wir wussten auch, dass dieser Ausbruch irgendwann passiert. Aber man hat das einfach immer weggeschoben und nicht viel drüber nachgedacht. Aber jetzt? Mich triffts nicht mehr, aber meine Kinder. Also was mach ich? Geh ich weiter in den Norden oder Süden oder bleib ich hier?
Ist Ihr Alltag mittlerweile wieder normal?
Ich persönlich bin fast wieder im Alltag drin. Aber so geht es nicht allen. Es sind immer noch fast 3.000 Menschen evakuiert. Und die Asche... Nach jedem Regenfall, nach jedem starken Wind haben wir die Dächer, die Pflanzen, die Terrassen wieder voll knirschendem Sand, das wird noch eine Weile so bleiben. Das Ding qualmt auch noch weiter vor sich hin.
Ihr Haus stand nicht in der betroffenen Zone. Aber Sie kennen Menschen die aus ihren Häusern raus mussten. Wie geht es denen jetzt? Konnten sie in ihre Häuser zurück?
Die Menschen sind großzügig entschädigt worden. Soziales Elend gibt es also kaum, psychisch gibt es aber große Probleme. Manche haben da nicht nur ihr Haus verloren, sondern ihren ganzen Lebensinhalt. Im Süden der Insel ist die meiste Asche gefallen. Viele Menschen konnten zwar zurück in ihre Häuser, aber die stehen in einer Mondlandschaft.
Wie genau kann man sich das vorstellen?
Die hatten bis anderthalb Meter Asche. Die, die in den Süden zurückkehren konnten, wollen da nicht leben oder können da nicht leben, weil die Infrastruktur total kaputt ist. Die Häuser standen sechs Monate leer. Die sind zum Teil vergammelt, zum Teil von Ungeziefer befallen oder vermodert.
Viele der Menschen, die in der betroffenen Zone gelebt haben, wurden ja in einem Viersternehotel untergebracht. Manche Leute sagen, dass man die Menschen damit ruhigstellen wollte. Was halten Sie davon?
Naja… man kann den Wohnraum ja nicht einfach herzaubern. Jeden, den man nicht irgendwo hin vermitteln konnte, den hat man ins Hotel gesteckt. Inzwischen sind manche da seit über sechs Monaten. Weil man keine Ersatzwohnungen finden konnten oder die angebotenen nicht akzeptiert wurden. Es wurden Containersiedlungen gebaut, die funktionieren, aber da will auch keiner wohnen. Da sagen sich viele: „Ne ne, ehe ich da wohne, da bleibe ich lieber im Hotel. Da habe ich einen Pool, da gehts mir gut, da kann ich jeden Abend an der Bar sitzen.“ Ich trau mich auch nicht auf die Behörden zu schimpfen in diesem Fall. Man kann nichts richtig machen in solchen Momenten. Man hat schon viel richtig gemacht, es ist kein Mensch verletzt worden, es ist kein Mensch gestorben. Man könnte aber auch alles besser machen.
Wie geht es mit dem Wiederaufbau voran?
Schlecht. Es ist noch keine Straße auch nur annähernd wieder hergestellt und man wird von Monat zu Monat weiter vertröstet. Wir haben bisher nur 250 Meter der Straße geschafft. Wir können nicht in den Süden, weil man so eineinhalb Stunden braucht, da der normale Zugang gesperrt ist. Für den Tourismus ist das auch schlecht. Da stehen so viele Hotelbetten leer. Nicht weil sie von dem Ausbruch betroffen sind, sondern weil die Menschen da ewig brauchen würden, um irgendwo anders hinzukommen.
Woran liegt es, dass es so langsam vorangeht?
Die Lava hat sich teilweise 30, 40 Meter in die Höhe gestapelt, aber ich denke, das ist hauptsächlich Planungsunfähigkeit. Die spanische Regierung hat sich zurückgezogen und es der Inselregierung überlassen. Die meisten haben sich gewünscht, dass die spanische Regierung länger bleibt und sich darum kümmert. So haben wir das nicht verdient.
Fühlen Sie sich da ein bisschen allein gelassen von der spanischen Regierung?
Ehrlich gesagt ja. Die regionale Regierung hat keine Ahnung davon. Als die spanische Armee abgezogen ist, kamen irgendwann drei Hauptschlepper. Wir dachten, es kommen 30. Damit kann man nicht viel anfangen. Es geht wahnsinnig zäh voran. Ich weiß aber nicht, ob die spanische Regierung die Kontrolle schnell wieder loswerden wollte oder ob die Inselregierung sie rausgeschmissen hat. Spanien selbst hat ohne zu zögern gehandelt und zwar gut. Aber dann waren sie weg und nichts ging mehr voran.
Wann denken Sie, werden die Straßen wieder frei sein?
Im Juni vielleicht. Es wird eine Piste sein, keine Straße. Aber vielleicht immerhin das. Es muss endlich schneller gehen.
Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie die Schneise der abgekühlten Lava sehen? Haben Sie sich schon dran gewöhnt oder ist es immer noch schockierend?
Ich hab mich dran gewöhnt. Unser Haus schaut direkt drauf. Ich sehe das also andauernd und nach so vielen Monaten wird es irgendwann fast normal, auch wenn es nicht schön ist.