Gesellschaft & Identität

Sexarbeit
Stigma im Scheinwerfer(rot)licht

Sexarbeit ist legal – trotzdem hat sie einen schlechten Ruf. | Bild: Luisa Kutt, Pauline Kopp

Sexarbeit Stigma im Scheinwerfer(rot)licht

Sexarbeit ist legal – trotzdem hat sie einen schlechten Ruf. | Bild: Luisa Kutt, Pauline Kopp
 

26 Jun 2023

Rotlicht im falschen Licht: Sexarbeit wird von der Gesellschaft oft abgewertet und Sexarbeitende herabwürdigend behandelt. Über kontraproduktive Gesetze, Opfermythen - und einen Wandel durch OnlyFans? Die Stigmatisierung von Sexarbeitenden unter der Lupe.

Luisa Kutt

Crossmedia-Redaktion / Public Relations
seit Wintersemester 2022

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Pauline Kopp

Crossmedia-Redaktion/Public Relations
seit WS 22/23

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Im Stripclub, auf OnlyFans, auf dem Strich – sexuelle Dienstleistungen anzubieten ist eine Beschäftigung, der nach Schätzungen der Diakonie 40.000 bis 200.000 Menschen in Deutschland nachgehen. Der Beruf ist nicht in allen sozialen Kreisen akzeptiert. Sexarbeiter*innen – oder Prostituierte, wie viele sie nennen, sind eine stark stigmatisierte Gruppe, die um Anerkennung kämpft.

„Prostituieren, das heißt zur Schau stellen oder bloßstellen. Das impliziert, dass die Prostituierte ein passives Wesen ist“, sagt Undine de Rivière, Sexarbeiterin und Gründungsmitglied des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD). Sprache habe Einfluss auf das Denken – sie und die meisten ihrer Kolleg*innen bevorzugen das Wort Sexworker. Es ist ein Wort, das den aktiven Arbeitsaspekt in den Vordergrund stelle und Sexarbeitende zu handelnden Subjekten mache. Während Prostitution außerdem nur den Eins-zu-eins-Kundenkontakt beschreibt, kann Sexarbeit vieles sein: Pornodarstellung, Web-Camming, Verkauf von Nacktfotos, Erotik-Massagen. 

„Prostituieren, das heißt zur Schau stellen oder bloßstellen." – Undine de Rivière, Sexarbeiterin

Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück

Auch das deutsche Gesetz schreibt der Prostitution einen Sonderstatus zu. Der Beruf galt bis 2002 als „gemeinschaftsschädlich“. Prostituierte wurden mit Berufsverbrechern gleichgestellt. Das 2002 eingeführte Prostitutionsgesetz war eine willkommene Änderung für Personen wie de Rivière, denn Sexworker konnten zum ersten Mal ihren Lohn einklagen und erhielten Zugang zu einer Sozialversicherung. 

Das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 dagegen wird von Sexarbeitenden bis heute stark kritisiert. Es schreibt unter anderem strengere Regeln für Bordelle und eine verpflichtende Anmeldung von Sexworkern bei den zuständigen Behörden vor. Diese variieren je nach Bundesland. Außerdem müssen sie sich regelmäßig zu Gesundheit, Recht und Sozialem beraten lassen. In den Beratungsgesprächen werden Sexarbeitende teils abschätzig behandelt, für manche Bereiche der Sexarbeit fehle den Angestellten die Fachkompetenz.

Die Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution ist das Hauptargument, mit dem die Maßnahmen begründet werden. Nicht angemeldete Prostituierte sind für den Staat schwierig erfassbar und können schlechter vor ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen geschützt werden. Undine de Rivière schätzt, dass zwei Drittel aller Sexarbeitenden nicht angemeldet sind und damit illegal arbeiten. Seit Sommer 2022 evaluiert das Bundesfrauenministerium das Prostituiertenschutzgesetz auf seine Wirksamkeit. Das Ergebnis soll 2025 vorliegen. Erst dann wird entschieden, ob es Änderungen am Gesetz oder sogar eine Abschaffung geben wird. 

Unter dem Deckmantel des Schutzes

Ergebnisse der Allensbach Umfrage zu Prostitution zeigen, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung Prostituierte in einer Opferrolle sieht. Rund 70 Prozent sind der Ansicht, dass viele Prostituierte zu ihrer Arbeit gezwungen und ausgenutzt werden.

Nach der Vorstellung der Deutschen gehen nur wenige Prostituierte gerne ihrer Arbeit nach. | Bild: Pauline Kopp, Luisa Kutt

Menschenhandel und Zwangsprostitution sind ernste Probleme in der Branche, die bekämpft werden müssen. Durch Sondergesetze verschwimmen in der öffentlichen Wahrnehmung aber die Grenzen zwischen Prostitution und Menschenhandel. Das Klischee, Prostituierte seien grundsätzlich Opfer, wird bestärkt. Die Haltung, Sexarbeit sei bedrohlich, bleibt bestehen.

Im Rahmen der selben Umfrage stimmen 38 Prozent zu, dass es strengere Gesetze geben müsse, um Prostitution in Deutschland zu regeln und Prostituierte zu schützen. Oft wird ein Sexkaufverbot diskutiert, das die Nachfrage kriminalisiert, bei dem Sexarbeitende aber ungestraft bleiben. Ein solches Modell gibt es unter anderem in Schweden und Frankreich. Bei solchen Forderungen würden laut de Rivière diejenigen nicht gehört, die in der Sexarbeit tätig sind, denn Regulierungen dieser Art treffen auch Sexarbeitende.

Das Problem: Kund*innen geben noch weniger Daten heraus. „Die Kolleginnen in Schweden sagen mir, sie haben mehr damit zu tun, ihre Kunden zu beruhigen, als für ihre eigene Sicherheit zu sorgen.“ De Rivière kritisiert: „Vordergründig wird behauptet, es ginge um den Schutz von Sexarbeitenden. In Wirklichkeit geht es darum, das Thema möglichst abzuschaffen oder zu verhindern.“ Solche Debatten zeigen die starke Stigmatisierung der Sexindustrie. Das Ausmaß variiert jedoch je nach Art der Sexarbeit, die ausgeübt wird – Prostitution kommt dabei schlechter weg als Online-Sexarbeit. 

OnlyFans - die Lösung gegen Stigmatisierung?

Letztere erfuhr während der Pandemie einen Aufschwung. Vor allem der Webdienst OnlyFans, auf dem User*innen überwiegend für exklusiven Erotik-Content bezahlen, hatte einen starken Zuwachs. Zwischen 2019 und 2021 wuchs die Zahl der OnlyFans-Creator von rund 350 Tausend auf 2,1 Millionen.

Selbst Stars wie Bella Thorne und Cardi B posten Bilder und Videos. Beyonce erwähnte die Plattform in einem Song und verhalf OnlyFans damit zu einem 15 Prozent Zuwachs an Besucher*innen. Mit der wachsenden Sichtbarkeit von OnlyFans kommen neue Ideen auf, wie Sexarbeit aussehen kann: losgelöst von Zuhältern und Bordellen, anonym hinter dem eigenen Bildschirm. Ein modernes Verständnis für den Job ermöglicht es jungen Menschen, sich ihre eigene Meinung zu bilden, anstatt mit gelernter Ablehnung zu reagieren. Wenn das Tabu beseitigt ist, stehe die Tür offen für die Akzeptanz von Sexarbeit als legitime Berufswahl.

Dass der OnlyFans-Boom auch die traditionelle Prostitution normalisiert, bezweifelt de Rivière: „Es besteht immer noch ein ganz großer Unterschied in der gesellschaftlichen Sicht auf die verschiedenen Arten von Sexarbeit. Erotische oder pornografische Fotos ins Netz zu stellen, wird anders gesehen, als Kunden persönlich zu treffen.“

Prostituiertenschutzgesetz Abschnitt 1, §2:

keine sexuelle Dienstleistung = Vorführungen mit ausschließlich darstellerischem Charakter, bei denen keine weitere der anwesenden Personen sexuell aktiv einbezogen ist

OnlyFans-Creator fallen daher nicht unter die Regelungen des Prostituiertenschutzgesetzes.

Keine heile Welt

2021 beschließt OnlyFans aus heiterem Himmel, explizite sexuelle Inhalte nicht mehr zu erlauben, „um den Anforderungen der Zahlungsdienstleister nachzukommen“, heißt es in einem Statement. Bezahldienste, die für die Transaktionen auf der Plattform genutzt werden, äußerten ihre Bedenken zu vereinzelten illegalen Inhalten. Hätte es keine Einigung gegeben, hätte OnlyFans die Creator nicht mehr bezahlen können. Sexworker reagierten auf die geplante Änderung der Content-Richtlinien mit großem Protest. Viele warfen der Plattform vor, denjenigen den Rücken zuzukehren, die maßgeblich zu deren Erfolg beigetragen hatten. 

OnlyFans fand eine Lösung für die Situation und zog die Änderung eine Woche später zurück. Der Webdienst twitterte, dass die nötigen Zusicherungen eingeholt wurden, um weiterhin alle Creator zu unterstützen:

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Die Debatte warf erneut ein Licht darauf, wie exkludierend und stigmatisierend sich vor allem Zahlungsdienstleiter gegenüber Sexarbeit verhalten. Die Situation von OnlyFans ist dabei kein Einzelfall. De Rivière, die einen Onlineshop für erotische Audios betreibt, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Einen Bezahldienst wie PayPal und Co. für erotische Inhalte zu finden, sei sehr schwierig. Diese würden nur bestimmte Inhalte unterstützen. De Rivière kritisiert: „Zahlungsdienstleister stellen sich hin und sagen: ‘Das ist moralisch vertretbare Sexualität und das ist moralisch zweifelhafte Sexualität.' “ Stigmatisierung führe auch oft zu Problemen mit Banken, im sozialen Umfeld und bei der Wohnungssuche.

„Zahlungsdienstleister stellen sich hin und sagen: ‘Das ist moralisch vertretbare Sexualität und das ist moralisch zweifelhafte Sexualität.' “   – Undine de Rivière, Sexarbeiterin

Schmutzig, schutzbedürftig, oder selbstbestimmt – Sexarbeiter*innen wird vieles zugeschrieben. Zwischen alltäglicher Stigmatisierung und staatlicher Regulierung wird immer wieder über Sexarbeitende und wenig mit ihnen gesprochen. Durch Plattformen wie OnlyFans könnte eine weitere Normalisierung folgen, doch die Rechtslage bleibt im Wandel und auch eine Verschärfung der Gesetze ist möglich. Bei Gesellschaft und Sexarbeit handelt es sich um eine vielschichtige Thematik. Eines wird klar: wer mit einer Lupe auf Sexarbeit blickt, sollte Schwarz-Weiß-Denken hinter sich lassen.