„Prostitution ist ein Thema, das unsere Gesellschaft überhaupt nicht so wahrnimmt, wie es ist.”
Wenn Prostitution und Hoffnung sich treffen

Um die Relevanz des Films und seinen Hintergrund besser zu verstehen, trafen wir Alina Weißer. Sie ist Sozialarbeiterin im HoffnungsHaus und empfing uns in einem gemütlichen Gemeinde-Café. Was ihren Arbeitsalltag ausmacht und welchen Herausforderungen sie begegnet, berichtet sie im Interview.
Was ist das HoffnungsHaus und warum befindet es sich im Leonhardsviertel in Stuttgart?
Das HoffnungsHaus ist ein Café und Rückzugsort für Frauen, die in der Prostitution im Stuttgarter Leonhardsviertel arbeiten oder dort gearbeitet haben. Wir sind dort, wo die Frauen sind. Viele erleben einen sehr unmenschlichen Umgang. Motiviert durch unser Gottesverständnis möchten wir ihnen anders begegnen – wertschätzend und offen, so wie es Gott auch tun würde.
Ergänzt wird dieses emotionale Angebot aber auch durch praktische Unterstützungen. Wie sehen eure Hilfsangebote aus?
Wir richten den Frauen Essen und Getränke an, alles kostenlos. Alles schön hergerichtet um zu zeigen, dass sie unsere Zeit und Zuwendung wert sind. Zudem gibt es verschiedene kreative Angebote. Sie können hier zur Ruhe kommen, Zeit mit sich selbst verbringen – präsent sein. Das Café dient für manche als Schutzort, andere nutzen es als ihr „erweitertes Wohnzimmer“.
Was genau versteht ihr unter dem Begriff „erweitertes Wohnzimmer”?
Ein sehr niederschwelliges Angebot. Die Frauen müssen nicht über irgendetwas Reden. Sie können anonym kommen – einfach mal durchschauen und wieder gehen. Wir haben Hygieneartikel und Duschen. Manche Frauen schlafen auf den Sofas, lesen dort Zeitung oder scrollen durchs Smartphone. Sie bringen auch mal Briefe von der Krankenkasse oder vom Amt mit und fragen: „Hey, kannst du da noch mal kurz draufschauen?" So wie man sich eben in seinem eigenen Wohnzimmer verhalten würde.
Seit wann engagierst du dich beim HoffnungsHaus?
Ich bin seit knapp zwei Jahren hier angestellt und verantwortlich für das Café, die Praktikantinnen und Teile der Öffentlichkeitsarbeit. Vor drei Jahren habe ich mein Praxissemester hier gemacht. Daher kenne ich auch viele Frauen schon seit längerer Zeit.
Was motiviert dich an deiner Arbeit?
Ich empfinde es als wertvoll, Einblicke von den Frauen zu bekommen. Mich motiviert mit ihnen unterwegs zu sein, wo es sonst schwer möglich ist. So wird ihnen ein Raum geschaffen, in dem sie auftanken können. Es sind gerade die schlimmen Erlebnisse der vielen Frauen, die mich tief bewegen. Prostitution ist ein Thema, das unsere Gesellschaft überhaupt nicht so wahrnimmt, wie es ist. Mit meiner Arbeit will ich mich für eine Aufklärung einsetzen.

Viele Frauen kommen zu euch und sind traumatisiert, vor allem durch soziale Beziehungen. Wie baut ihr ein Vertrauensverhältnis auf?
Zentral ist für uns die Traumaarbeit: Es geht darum, einen sicheren und stabilen Ort zu schaffen. Deshalb ist es für manche Frauen auch wichtig, dass wir Bescheid sagen, wenn wir mal nicht geöffnet haben. Unser Angebot ist verlässlich. Die Mitarbeiterinnen sind Personen, die schon seit mehreren Jahren bekannt sind.
Wie geht ihr in eurem Beruf mit emotionalen Belastungen um? Nimmt man das mit nach Hause?
Ja, das nimmt man auf jeden Fall mit nach Hause. Wenn es einen nicht mehr berühren würde, könnte man in diesem Bereich nicht mehr arbeiten. Wir würden nicht empathisch sein. Wir achten gut aufeinander, das macht unsere Arbeit möglich. Wir haben auch individuelle Gesprächsmöglichkeiten mit Fachkräften außerhalb des Teams. Für uns ist einer der wichtigsten Aspekte, für alle Frauen zu beten und die Dinge, die waren, auch Gott abgeben zu können. Wir wissen, dass wir unseren Teil tun, indem wir da sind. Der Rest liegt in Seiner Hand.

Wie Frauen gesetzlich geschützt werden und wie öffentlich mit Prostitution umgegangen wird, ist umstritten. Manche sprechen sich für, manche stark gegen das aktuell in Deutschland geltende Prostitutionschutzgesetz aus. Wird diese Diskussion deiner Meinung nach medial im Sinne der Frauen geführt?
Nein. Zum einen wird das Thema als faszinierend inszeniert, unter anderem durch Filme. Gleichzeitig ist es ein Milieu, das ganz stark mit organisierter Kriminalität verbunden ist. Ich glaube, das ist das größte Problem: die Grenze zwischen dem was nach dem Prostituiertenschutzgesetz legal ist und dem Übergang in den Menschenhandel. Viele Frauen gehen der Prostitution nach, weil sie in einer wirtschaftlichen Notlage sind. Dann stellt sich die Frage: Wie frei ist man, wenn Armut so eine treibende Kraft ist?
„Die aktuelle Gesetzeslage führt dazu, dass Frauen wenig Schutz erfahren und trotzdem stigmatisiert werden.“
Das Nordische Modell (siehe Infografik), wie es beispielsweise in Schweden umgesetzt ist, wird von einigen als Lösungsansatz gesehen. Wärst du dafür, dass dieses Modell auch in Deutschland eingeführt wird?
Ja, den Schritt halten wir für sehr wichtig. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass man es auf Deutschland anpassen müsste. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Die aktuelle Gesetzeslage führt dazu, dass Frauen wenig Schutz erfahren und trotzdem stigmatisiert werden. Machtgefälle und prekäre Situationen werden begünstigt. Uns ist wichtig, den Frauen nicht ihre Handlungsmöglichkeiten abzusprechen. Statt Strafen wünschen wir uns mehr konkrete Hilfsangebote. Die Strafverfolgung sollte auf Männer und Personen gerichtet werden, die Frauen in diese Lage bringen und sie anschließend ausnutzen.

Was können Stuttgarter*innen tun, um Frauen in der Prostitution zu unterstützen?
Der erste und größte Schritt ist, sich darüber zu informieren. Der nächste Schritt wäre sich in politische Diskussionen einzubringen. Dabei wird deutlich: Viele Menschen wünschen sich Veränderung bei diesem Thema. Das verändert viel – wir sehen, wie das Bewusstsein wächst. Gerade dann, wenn man die Gesetzeslage und die Richtlinien verändert, ist es wichtig, dass man überlegt: Ist es wirklich zugunsten der Frauen und wie kann ich mich dafür einsetzen?
Neugierig geworden, wie ehrenamtliches Engagement dort aussieht? Dann kommt zur MediaNight und seht euch den Kurzfilm „Hoffnung im Viertel“ von Hannah Seewald und Christian Grening an. Sie begleiten in ihrer Doku Ehrenamtsmitarbeiterin Annelie bei ihrem Einsatz im HoffnungsHaus.
Ehrenamtliches Engagement im Bereich Prostitution im Großraum Stuttgart
Café La Strada (Caritas Stuttgart):
Ein sicherer Ort für Frauen in der Prostitution, mit warmem Essen, Gesprächen und medizinischer Hilfe an mehreren Abenden pro Woche. Ehrenamtliche unterstützen im Caféalltag und stehen als Ansprechpartnerinnen zur Seite.
SISTERS e.V. für den Ausstieg aus der Prostitution:
Stuttgarter Verein zur Unterstützung beim Ausstieg, mit Begleitung, Qualifizierung, Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerkarbeit. Ehrenamtliche, sogenannte „Sisters” begleiten betroffene Frauen, organisieren Veranstaltungen und sind Ansprechpartnerinnen für Politik und Medien.
Esther Ministries e.V. (Stuttgart):
Ein christlich-sozialer Verein, der Frauen in Zwangsprostitution begleitet. Ehrenamtliche leisten aufsuchende Streetwork, bieten Deutschkurse in Bordellen an, stellen Schutzwohnungen bereit, helfen bei Behördenkontakten und unterstützen bei der Jobsuche. Auch Aufklärung und Prävention gehören zu den zentrale Aufgaben.