Weltraumschrott 6 Minuten

Stuttgarter Forschung für Nachhaltigkeit im All

Explosion eines ausgedienten Raketenkörpers
Ein großes Problem: Ausgediente Raketen oder Satelliten können explodieren, zum Beispiel wegen noch vorhandenem Resttreibstoff. Die entstehenden Trümmerteile verteilen sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten im Orbit und bedrohen unsere Satelliteninfrastruktur (Symbolbild). | Quelle: ©ESA
10. Dez. 2025

Nachhaltigkeit endet nicht an der Erdoberfläche. Auch im Weltraum haben wir ein immer größer werdendes Müllproblem. Wenn wir jetzt nicht handeln, hat das unumkehrbare Folgen für unser modernes Leben. Um dem entgegenzuwirken, entwickelt der Forschungsstandort Stuttgart Lösungen.

Klarer Nachthimmel, du schaust nach oben. Über dir: unendliche Weiten. Friedlich sieht es aus. Nachhaltigkeit im All? Klingt paradox. In einem Raum, der scheinbar endlos reicht, wirkt die Notwendigkeit einer verantwortungsvollen Nutzung fern. Die Realität: Rund 40 Tausend Objekte kreisen um die Erde, nur etwa 11 Tausend davon sind funktional – der Rest ist Schrott. Und das sind nur die erfassbaren Objekte. Die tatsächliche Zahl wird deutlich höher geschätzt. Und so unendlich der Weltraum auch sein mag, der Platz im Orbit ist eine begrenzte Ressource. Ohne Gegenmaßnahmen droht der sogenannte Kessler-Effekt: eine unaufhaltbare Kettenreaktion von Kollisionen und Explosionen.

Überall, ob im All oder auf der Erde, stehen uns nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung.

Sabine Klinkner, Professorin für Satellitentechnik an der Universität Stuttgart

Weltraumschrott umfasst alle nicht mehr funktionsfähigen, vom Menschen geschaffenen Objekte, einschließlich Bruchstücke und Fragmente, die sich in einer Erdumlaufbahn befinden oder wieder in die Erdatmosphäre eintreten.

Quelle: Europäische Raumfahrtagentur (ESA)

Nicht nur im All verursacht ausgediente Raumfahrttechnik Probleme. Tritt diese geplant oder ungeplant wieder in die Atmosphäre ein, verursacht sie schädliche Emissionen und kann auch die Erdoberfläche erreichen, sofern sie nicht vollständig verglüht. Wir sind wie nie zuvor auf eine funktionierende Infrastruktur im All angewiesen. Satelliten ermöglichen uns Kommunikation, Navigation und Erdbeobachtung, unterstützen Katastrophenmanagement und liefern zentrale Daten zur Bewertung des Klimawandels. Diese Infrastruktur wird jedoch zunehmend von Weltraumschrott gefährdet. „Nachhaltigkeit im Weltraum ist ebenso bedeutsam wie auf der Erde. Denn überall, ob im All oder auf der Erde, stehen uns nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung“, bestätigt auch Sabine Klinkner, Professorin für Satellitentechnik an der Universität Stuttgart.

Durch Klicken auf die Punkte erfährst du mehr über die Anzahl und Masse von menschengemachten Objekten im All. Es handelt sich dabei nur um die erfassbaren Objekte; die tatsächliche Zahl wird deutlich höher geschätzt (Stand: 21.10.2025). | Quelle: Bild: ©ESA | Darstellung mit Genially: Emmana Stickel

Satellitencrashs verhindern

Raumfahrtagenturen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen arbeiten weltweit an verschiedenen Technologien und Ansätzen, um den Orbit langfristig nachhaltiger zu nutzen. Auch in Stuttgart am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) forschen Wissenschaftler*innen an Lösungen. Das Institut für Technische Physik entwickelt beispielsweise Lasersysteme, mit denen sich die Position von Satelliten exakt bestimmen lässt. Satellitenbetreiber können so Ausweichmanöver effizient planen.

Satellite Laser Ranging (SLR) ist ein präzises Messverfahren, bei dem kurze Laserpulse von einer Bodenstation über ein Teleskop zu Satelliten ausgesendet werden. Die dort angebrachten Reflektoren lenken das Licht zurück zur Station, wo die Ankunftszeit des Pulses exakt registriert wird. Aus der bekannten Lichtgeschwindigkeit und der gemessenen Laufzeit lässt sich die zurückgelegte Strecke und damit der exakte Abstand zum Satelliten bestimmen.

Quelle: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie

Das „miniSLR®“ ist ein kompaktes, mobiles System für das Satellite Laser Ranging. Damit kann der Abstand zu solchen Satelliten gemessen werden, die mit kleinen Reflektoren ausgestattet sind. „Wenn man mehrfach den Abstand misst, lässt sich daraus ein Orbit berechnen“, erklärt Felicitas Niebler, Wissenschaftlerin am DLR im Bereich laseroptische Beobachtungsmethoden. Das System lässt sich im Vergleich zu einer großen Teleskopstation einfacher aufstellen und betreiben, wodurch neue Standorte zur Satellitenbeobachtung erschlossen werden können. Sie forscht zudem an einem Konzept, bei dem Satelliten mit Retroreflektoren (Smart-Retro®) ausgestattet werden. Diese fungieren wie eine Art Nummernschild und ermöglichen eine eindeutige Identifikation eines Satelliten in Schwärmen. Mit den präziseren Bahndaten lässt sich der begrenzte Raum in den immer dichter besetzten Orbits sicherer nutzen.

Mobile Station für Satellite-Laser-Ranging
Das miniSLR® steht auf einem Dach am DLR-Standort Stuttgart: Ein Laserstrahl wird in den Himmel geschickt, vom Reflektor auf dem Satelliten zurückgeworfen und vom Teleskop erfasst. Aus der Zeit, die der Strahl für den Weg benötigt, lässt sich der Abstand des Satelliten zur Erde bestimmen.
Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)

Gebaut, um zu verglühen

Um zu verhindern, dass ein ausgedienter Satellit weder im All noch auf der Erde zur Gefahr wird, erforscht das DLR-Institut für Bauweisen und Strukturtechnologie sogenannte „Design-for-Demise“-Konzepte: Wie können Satelliten so konstruiert werden, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus in die Erdatmosphäre eintreten und vollständig verglühen? Damit beschäftigt sich Isil Sakraker Özmen, Wissenschaftlerin im Bereich fortschrittliche Satellitenstrukturen: Eine Lösung sind spezielle Verbindungselemente, die sich bei hohen Temperaturen selbstständig lösen. Dadurch zerfällt der Satellit bereits in großer Höhe und selbst schwer abbrennbare Innenteile haben mehr Zeit vollständig zu verglühen."

Satelliten aus Holz?

Gemeinsam mit dem DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte erproben die Forschenden, ob sich nachwachsende Rohstoffe wie Holz oder Flachs zum Bau von Satelliten eignen. Biobasierte Materialien würden nicht nur Ressourcen auf der Erde schonen, sondern auch die Umweltbelastung während des Wiedereintritts minimieren. Die Anforderungen an das Material bringen jedoch einige Herausforderungen mit sich: Es muss beispielsweise der Strahlung und den Temperaturschwankungen im All Stand halten. Erste Belastungstests zeigen jedoch bereits, dass es in Kombination mit Metall stabil genug sein könnte, um in einem Satelliten verbaut zu werden.

Holz-Probe nach einem Belastungstest
Hier wurde getestet, ab welcher Belastung das Material bricht. Das Ergebnis: Eine Sandwichkonstruktion aus Metall und Holz könnte stabil genug für den Einsatz in Satelliten sein.
Quelle: Emmana Stickel

Von der Forschung in die Lehre

Auch an der Universität Stuttgart wird aktiv an Lösungen geforscht. Sie hat im Oktober als erste deutsche Hochschule die „Zero Debris Charta“ der Europäischen Raumfahrtagentur unterzeichnet. Gemeinsam mit über 100 weiteren Organisationen verfolgt sie das Ziel, künftige Missionen weltraumschrottfrei zu gestalten. Für die Universität bedeutet das vor allem, die Forschung in diesem Bereich sichtbarer zu machen und die Ingenieur*innen von morgen für diese Herausforderung auszubilden, erläutert Sabine Klinkner.

Die Forschungsarbeiten reichen hier von Antriebssystemen für Kleinsatelliten, die Ausweichmanöver bei drohenden Kollisionen ermöglichen, bis hin zur Entwicklung von Deorbiting-Lösungen. Zudem wird die Belastung der Atmosphäre beim Wiedereintritt untersucht: Wie verhält sich ein Satellit beim Verglühen und welche (Schad-)Stoffe bleiben zurück? Neue Technologien unter realen Bedingungen zu testen, ist ebenfalls entscheidend: Ein Konzept, das bei Missionsende auf einem aktuell fliegenden Satelliten der Universität getestet werden soll, ist ein sogenanntes „Deorbit-Segel“. Japanische Forschende haben dieses entwickelt. Es kann gezielt geöffnet werden, um den Satelliten abzubremsen, sodass er schneller an Höhe verliert und der Wiedereintritt früher erfolgt.

Deorbiting beschreibt die gezielte Änderung einer Umlaufbahn eines Satelliten, damit dieser am Ende seiner Lebensdauer keine nutzbaren Orbits blockiert. Dazu gehört auch das kontrollierte Herabführen eines Satelliten zur Erde, sodass er durch atmosphärischen Widerstand abgebremst wird und (größtenteils) in der Atmosphäre verglüht.

Quelle: Lexikon der Fernerkundung

Auch Lebenszyklusanalysen werden immer wichtiger: Sie bewerten die gesamte Ökobilanz eines Raumfahrtsystems. In Kooperation mit einer Schweizer Hochschule entstand so beispielsweise das Startup „EcoDeltaV“, das nun Unternehmen dahingehend berät. Aktuell liegt der Fokus auf Trägersystemen, jedoch wird in den kommenden Jahren auch die Evaluation von Satelliten in den Fokus rücken, erklärt Jan-Steffen Fischer, Wissenschaftler am Institut für Raumfahrtsysteme und Mitgründer.

Nachhaltigkeit endet nicht an der Erdoberfläche

Was unendlich weit entfernt scheint, wenn du in den Himmel schaust, ist eng mit unserem Alltag verknüpft. Der Platz in unserem Orbit ist eine begrenzte Ressource, die wir für kommende Generationen erhalten müssen. Forschende des DLR und der Universität Stuttgart sind sich einig: Eine perfekte Lösung gibt es nicht, an vielen Stellschrauben muss gleichzeitig gedreht werden. Doch die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass wir erst am Anfang dessen stehen, was technisch künftig machbar sein wird.