Japan 5 Minuten

Manga macht Milliarden

Wohl kaum ein Medien-Franchise erfreut sich weltweit so großer Beliebtheit wie „Pokémon” aus Japan
Wohl kaum ein Medien-Franchise erfreut sich weltweit so großer Beliebtheit wie „Pokémon” aus Japan. | Quelle: Marc Neubauer
10. Dez. 2025

Nintendo-Games, Sushi und Manga, die von der perfekten Liebe oder auch vom perfekten Weltuntergang handeln, kennt wohl jeder. Wieso aber pilgern deshalb jedes Jahr Hunderttausende Menschen nach Düsseldorf und welchen Beitrag liefert die Japan-Faszination dem Land?

In Pastellfarben getauchte Comic-Figuren mit großen Augen, eine weltberühmte Küche, der schnurrbärtige Super Mario-Charakter und vieles mehr: wer an Japan denkt, wird wohl zunächst solche Bilder im Kopf haben. Die vielfältige Unterhaltungsindustrie des Landes hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer Nischenkultur zu einem Phänomen entwickelt.
Manga- und Japan-Fans auf der ganzen Welt geben viel Geld für ihr Hobby aus: auf Messen, für Merchandise-Artikel, wertvolle Pokémon- oder Yu-Gi-Oh!-Karten und womöglich auch für die Reisekasse, um sich eines Tages den lang ersehnten Japan-Trip zu erfüllen. All das prägt nicht nur das Image des Landes, sondern auch die Popkultur als bedeutenden Wirtschaftszweig.

Von echten und unechten Realitäten

Japanische Popkultur in diesem Sinne sei „etwas, das große Faszination ausübt und das gegenwärtige Japan lebensecht vermittelt“ – so definiert die Japanische Botschaft in Berlin den Begriff. Die Geschichten der beliebtesten Medienformen Manga-Comics und Anime, animierten Zeichentrickserien, handeln von vielem: die gelegentliche Apokalypse, menschenfressende Monster oder auch von Alltagsthemen wie Romanzen und die Herausforderungen des örtlichen Volleyballteams. Meist sind es Erzählungen auf Augenhöhe, mit denen man sich identifizieren kann.

Fans auf der ganzen Welt dürfen seit 2017 jedes Jahr über den Anime Award der Streamingplattform „Crunchyroll“ abstimmen. In diesem Jahr hat es „Solo Leveling“ auf den ersten Platz geschafft. | Quelle: crunchyroll.com/de/animeawards/, Grafik: Lara Schmid

„Die Kreativität japanischer Medienschaffenden spielt eine wichtige Rolle“, erklärt William Tsutsui aus den USA. Der Japanologe und Wirtschaftshistoriker ist Kanzler und Professor of History an der Ottawa University in Kansas„Japanische Medienprodukte behandeln universelle Themen auf eine Art und Weise, wie es Hollywood nicht tut.“ 
In seinem Buch „Japanese Popular Culture and Globalization“ der Association for Asian Studies führt Tsutsui weiter aus: Japan steche auf dem dichten internationalen Medienmarkt hervor – durch die Fähigkeit, mit seinen farbenfrohen und vielfältigen Grafikstilen postapokalyptische Steppen, rasante Actiongeschichten und verspielte Kindheits-Fantasiewelten einzufangen.

„Japanische Medienprodukte behandeln universelle Themen auf eine Art und Weise, wie es Hollywood nicht tut.“

William Tsutsui, Japanologe & Wirtschaftshistoriker & Professor an der Kansas University

Tsutsui beschreibt in seinen Büchern und Artikeln gelegentlich, dass Japan sich eine gewisse wirtschaftliche „Soft Power“ angeeignet habe; ein Begriff, der in den 1980er Jahren vom Harvard-Politologen Joseph Nye geprägt wurde. Demnach sei Soft Power eine Macht, die auf immateriellen oder indirekten Einflüssen wie Kultur, Werten und Ideologie basiert – im Gegensatz zur „Hard Power“, die die militärische Kraft eines Landes beschreibt. 
Im historischen Kontext: Artikel neun der von den USA formulierten Nachkriegsverfassung 1945 verbot Japan damals, seine traditionelle Streitmacht aufrechtzuerhalten – um global präsent zu sein, sollte es sich auf seine Kulturdiplomatie verlassen.
Unter dem Namen „Cool Japan” führte Japan sogar eine offizielle Soft Power-Politik ein. Damit sollen Kultur, Ideologie und Diplomatie die internationalen Beziehungen positiv beeinflussen. Darunter fallen nicht nur Popkultur-Elemente wie Anime, Modetrends oder Videospiele, sondern auch Bausteine des traditionellen Japans wie Teezeremonien, Kalligraphie und alte Tempel.

Der Erfolg der „Cool Japan”-Strategie lässt sich in Zahlen messen: Laut offiziellen Angaben der japanischen Regierung – darunter dem Kabinett sowie des Ministry of Economy, Trade and Industry (METI) – brachte die komplette Unterhaltungsindustrie im Jahr 2022 dem Land etwa 4,7 Billionen Yen (rund 29 Milliarden Euro) ein. Damit hat Japan umsatzbezogen nach den USA und China die drittgrößte Unterhaltungsindustrie der Welt.

The Big 5: Der Elektrikkonzern Sony konnte im Geschäftsjahr 2024/2025 im Bereich der größten japanischen Unterhaltungsunternehmen einen Umsatz von umgerechnet etwa 85,5 Milliarden Euro erzielen. | Quelle: Corporate Reports 2024/2025 von Sony, Nintendo, Bandai Namco, Square Enix, Konami, Grafik: Lara Schmid

„Für viele eine Art des Eskapismus“

Der Anime-Boom macht sich auch in der weltweiten Tourismusbranche bemerkbar: Die Tourismuswissenschaftler Filipe Seguardo Severino und Francesco Silva untersuchten in einer Studie, inwiefern Veranstaltungen zur japanischen Popkultur als effektive Marketinginstrumente dienen können. Befragungen von Besucher*innen und Veranstalter*innen zeigten, dass diese Veranstaltungen die japanische Popkultur auch außerhalb ihres Ursprungslandes stärken und verbreiten.

Japanische Kulturmessen, auch „Conventions“ genannt, locken jedes Jahr Tausende von Fans in die verschiedensten Städte der Welt – zum Beispiel die Anime Expo in Los Angeles mit sechsstelligen Besucherzahlen. Fan-Communities, die sich aufgrund ihrer Interessen und Hobbys größtenteils online kennenlernen, finden dort einen Ort zum Austausch. In Deutschland zählt die DoKomi in Düsseldorf zur größten Convention. Hunderttausende Menschen pilgern seit 2009 jährlich in die Hauptstadt Nordrhein-Westfalens, um ihrer Leidenschaft nachzugehen. Im Juni 2025 waren es nach eigenen Angaben etwa 215.000 Besuchende, Tendenz steigend. Laut Datenbericht der DoKomi planten etwa 32 Prozent der Fans ein Kaufbudget von 200 bis 400 Euro für Merchandise und für andere exklusive Produkte ein. 31 Prozent gaben an, die Messe bereits zum vierten Mal oder öfter besucht zu haben.

„Die japanische Kultur erscheint in vielen Gesichtspunkten als eine ruhigere und idealisierte Lebensweise“, erläutert Pia Meid, Zuständige für die Japan Relations bei der DoKomi-Messe. „Dadurch ist die japanische Kultur für viele auch eine Art des Eskapismus.“

Generell sei Japan ein beliebtes Reiseziel bei Menschen im Alter von 25 bis 30 Jahren geworden, erklärt die Japanische Nationale Tourismusorganisation (JNTO) – ein weiteres Beispiel für Soft Power, die sich das Land mit seiner steigenden Popularität zu eigen gemacht hat. Tourist*innen wollen die klassisch-japanische Küche und die traditionelle sowie moderne Kultur hautnah erleben. 
Das bestätigt Christiane Yamakoshi, Referentin der Honorarkonsularischen Vertretung Japans in Stuttgart: „Japan ist als Reiseland einfach geworden: der Yen ist schwach, die Menschen angenehm, und die Städte und Landschaften, die man in den konsumierten Medien sieht, kann man sich mit eigenen Augen ansehen.“

William Tsutsui beschreibt in seinen Werken gelegentlich, dass Japan seine jahrtausendalte, traditionsreiche Kultur nutze und sie mit dem Hypermodernen verbinde, was viele Außenstehende faszinierend finden.

Neben den Tempeln von Kyoto stünden nun auch Orte wie das Einkaufsviertel Akihabara und Studio Ghibli ganz oben auf der Liste der meisten Japan-Besucher, bestätigt Tsutsui. Er glaube auch, die Popkultur habe weltweit mehr Studenten dazu ermutigt, Japanisch zu lernen und sich für ein Auslandsstudium in Japan zu entscheiden.

In Tokyo kann man sich an Merchandise-Läden kaum sattsehen.
In Tokyo wimmelt es nur so von Entertainment: Actionfiguren, Merchandise und Co. warten nur darauf, gekauft zu werden und in Fan-Zimmern einzuziehen. | Quelle: Marc Neubauer
Beliebt bei Touristen und Locals: die Shibuya-Kreuzung in Tokyo
Die Shibuya-Kreuzung in Japans Hauptstadt Tokyo, die mit den neonfarbenen Werbereklamen dem Times Square gleicht, ist Tag und Nacht gut besucht. | Quelle: Marc Neubauer
Eine 3D-Dekoration für das eigene Bücher-Regal inmitten von Mangas
Bücherregal-Dekorationen inmitten von japanischen Comics: Zahlreiche Fanartikel bringen das ein oder andere sehnsüchtige Fernost-Gefühl in das eigene Zimmer. | Quelle: Lara Schmid

Wie der Wirtschaftszweig zu blühen begann

Obwohl die in Japan produzierten Animeserien „Biene Maja“ und „Heidi“ bereits in den frühen 70ern die deutschen Kinderherzen erobert hatten, trug ein bestimmtes Wesen maßgebend zum Startschuss für den Japan-Hype in Deutschland und Europa bei: das „Tamagotchi“. In den ersten acht Monaten nach dem Release 1996 verkauften sich weltweit etwa 10 Millionen virtuelle Pixel-Haustiere, 1997 in Deutschland 2 Millionen – laut Angaben der Japan Times und der Deutschen Welle.

Pikachu und Co., die kleinen Pokémon-Monsterchen, wurden mit dem Game Boy des Videospielhersteller Nintendo auf dem europäischen Markt ganz groß. Insgesamt hatten sich Anime mit Serien wie „Sailor Moon“ fest im Fernsehen etabliert und gewannen zunehmend Anerkennung als eigenständige Kunstform. Insbesondere als der Ghibli-Film „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) einen Oscar erhielt, schreibt William Tsutsui weiter in seinem Buch.

Die japanische Popkultur und Unterhaltungsindustrie prägen so den wirtschaftlichen Wandel eines Landes, das bis zu den 90er-Jahren ausländische Märkte mit erfolgreichen Exporten wie der Toyota-Automarke und Panasonic-Elektronik belieferte.
Diesen Wandel beschreibt auch Journalist Douglas McGray in seiner Analyse. Japan habe sich während der Rezession in den 90ern als Supermacht neu erfunden. Anstatt unter seinen vielfach berichteten politischen und wirtschaftlichen Misserfolgen zusammenzubrechen, habe Japans globaler kultureller Einfluss still und leise zugenommen. 

Von Animation, der feinen Küche, Literatur, bis hin zu Games: Die Kultur des Landes hat sich über Jahrzehnte hinweg in einen milliardenschweren Wirtschaftszweig verwandelt und ermöglicht bis heute die Basis für eine Community, die über Ländergrenzen hinweg reicht. Japanische Popkultur dient nicht nur der Unterhaltung, sie spiegelt gesellschaftlichen Wandel wider – und eines der erfolgreichsten Beispiele von globaler Soft Power. Denn in einer globalisierten Welt, in der Hard Power an Grenzen stößt, erobert Japan weltweit Fan-Herzen.