Kunst am Straßenrand
Auf dem Heimweg von der Arbeit hält Sven mit seinem Fahrrad in einer unscheinbaren Straße an. Menschen kommen ihm entgegen und schauen ihn interessiert an, als er mit routinierten Handgriffen mehrere bunte Stifte aus seinem Rucksack nimmt. Vor ihm steht seine Leinwand – ein kleiner Haufen Sperrmüll, bestehend aus mehreren Holzplatten und Regalböden. Sven holt seine Utensilien aus dem Rucksack und malt neonpinke Farbe auf die Holzplatte vor ihm. Seine Stifte hat er immer dabei, falls er unterwegs auf Sperrmüll trifft. Eigentlich ist Sven IT-Berater, aber viel lieber ist er als Künstler unterwegs.
Ganz unspektakulär hat alles im Herbst 2017 angefangen. Ein Blick aus dem Fenster, ein einsamer Haufen alter Möbel und dann kam die zündende Idee. Warum nicht einfach eine Regalwand nutzen? „Zuhause hat man oft Leinwände stehen. Und irgendwie war es dann aber auch eine Variante, das einfach auf Sperrmüll zu machen.“, meint er lachend. Seitdem ist er in Stuttgart als Sperrmüllkünstler bekannt.
Nach und nach entsteht ein Muster auf der Holzplatte. Erst eine Farbe, dann zwei und vielleicht auch eine dritte. Buchstaben, abstrakte Formen und Muster – sie sind Ausdruck seiner Gedanken und sprechen eine eigene Sprache. Die Themen sind sehr unterschiedlich, politische oder gesellschaftliche Probleme, aber auch Dinge aus seinem näheren Umfeld interessieren ihn. „Alles, was mich irgendwie bewegt, läuft im Endeffekt dann auch in diese Kunst rein.“ Es sind nur Momentaufnahmen seiner eigenen Welt, die in seinen Werken für einen flüchtigen Augenblick zum Leben erweckt werden.
Ist die Kunst nicht sowieso am Morgen weg?
Seine Kunst ist vergänglich und kurzlebig, denn wenn am nächsten Tag die Möbel abgeholt werden, gehört sie bereits der Vergangenheit an. Eigentlich schade, oder? „Ich selbst denke da gar nicht so darüber nach, weil es für mich einfach nur der Spaß des Machens ist.“, behauptet Sven zunächst. Aber er gibt zu, dass es ihm gefällt, wenn seine Kunst lange genug dasteht, um von Passanten gesehen zu werden. Manchmal komme es sogar vor, dass einige Stücke einfach von Leuten mitgenommen werden. Außerdem dokumentiert er sich während der Arbeit. So leben seine Kunstwerke weiter – zumindest auf dem Handydisplay und im Internet.
Anfänglich spielte es für ihn keine Rolle, dass er öffentlich auf der Straße arbeitete. Doch immer wieder wird er von Menschen angesprochen, die ihn während der Arbeit beobachten. „Das ist halt dann auch ein Aspekt, den ich so vorher in der Kunst nicht hatte, weil ich ja für mich alleine gearbeitet habe.“, stellt er fest. Die öffentliche Auseinandersetzung mit der Kunst ist ihm wichtig geworden.
Ist das überhaupt erlaubt?
Eine wiederkehrende Frage der Fußgänger: Darf er das eigentlich, den Müll anderer Leute bemalen? Sven gesteht, dass er sich wahrscheinlich in einer rechtlichen Grauzone befindet. Der Besitzanspruch ist der Abfallwirtschaft Stuttgart zufolge jedoch klar geregelt: „Sobald der Sperrmüll auf dem öffentlichen Gehweg zur Abholung bereitgestellt wird, geht dieser in das Eigentum der Stadt über.“ Sven weiß eigentlich auch, dass der Müll ihm nicht gehört. Doch im Prinzip steht er nur auf der Straße, um entsorgt zu werden. Außerdem bemalt er nur Dinge, von denen er ausgeht, dass sie nicht mehr verwendet werden. Probleme mit dem Ordnungsamt hatte er zum Glück noch nie.
Zufrieden blickt der Künstler auf seine Arbeit. Wer weiß, wie lange sie wohl hier stehen wird. Vielleicht sieht er das ein oder andere Stück noch einmal wieder. Ein letzter Blick, bevor er die Stifte wieder einpackt und sich auf sein Fahrrad schwingt.
Weitere Bilder von Svens Kunstwerken könnt ihr auf Instagram @sjks bewundern.