Newcomer 6 Minuten

Klicks statt Gagen – Das Geschäft mit den Streams

Jasmin sitzt mit einer Violine auf der Bühne und singt. Hinter ihr sitzen zwei Kommilitonen. Einer spielt Gitarre, der andere Schlagzeug.
Ihre erste EP (Extended Play) „Liladilett“ veröffentlichte Jasmin alias Nuria Noba im November 2024. | Quelle: Denis Makram
21. Mai 2025

Streamingzahlen, Live-Auftritte, Studium – junge Musiker*innen jonglieren mit vielen Herausforderungen. Zwischen Selbstvermarktung, prekären Gagen und Algorithmen stellt sich die Frage: Kann man heutzutage noch alleine von Musik leben?

Verschiedene Stimmen hallen durch die Flure der Stuttgarter Musikhochschule. Hinter der Tür zum Orchesterprobenraum stehen sieben junge Musikstudent*innen im Halbkreis. In der Mitte: Jasmin Kleinheins alias Nuria Noba. Die 25-Jährige ist Sängerin, Rapperin und studiert Jazz- und Popgesang im sechsten Semester. Gemeinsam arbeiten sie an Jasmins neuem Song „Duty Free“. Zwischen Kabeln, Klavieren und Laptops wird gesungen, gelacht, neu angesetzt und wieder gelacht. Nach der Probe, bei einer Tasse Kaffee, erzählt Jasmin von ihrem Alltag zwischen Hochschule und Bühne. Was nach außen wie ein künstlerischer Traum wirken mag, ist im Inneren geprägt von ständiger Organisation, wirtschaftlichem Abwägen und der Suche nach Sichtbarkeit.

Proben, Planen, Produzieren

Jasmin macht Musik, seitdem sie denken kann. Sie wuchs in einem musikalischen Elternhaus auf, lernte früh verschiedene Instrumente und sang täglich mit ihrer Schwester. Heute ziehen sich vor allem persönliche Themen wie Selbstfürsorge, Reflexion oder Identität durch ihre Songs. Wie sie Alltag, Studium und Musik balanciert? „Das frage ich mich auch mindestens einmal in der Woche“, sagt sie lachend. An der Musikhochschule Stuttgart lernt sie nicht nur Gesang, sondern auch Selbstorganisation. Zwischen Vorlesungen, Proben und Planung bleibt kaum Zeit zum Durchatmen.

Jasmin steht mit drei Kommilitonen um ein Mikrofon. Zusammen singen sie einen Song.
Mit ihren Kommiliton*innen probt Jasmin regelmäßig an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. | Quelle: Silke Schneider
Jasmin steht auf der Bühne mit einem Mikrofon in der Hand. Vor ihr ist ein Keyboard aufgebaut. Im Hintergrund sind ihre Kommilitonen zu sehen. Einer ebenfalls am singen, der zweite am Schlagzeug.
Ihr erster Liveauftritt im RadiofreeFM Ulm fand im Rahmen des Events „Popschorle“ statt. | Quelle: Julie Endreß
Jasmin steht alleine vor dem Mikrofon und singt. Währenddessen hat sie einen Arm ausgestreckt und den anderen oben.
Der Künstlername Nuria Noba stammt teils aus dem Arabischen. „El Nur“ bedeutet „das Licht“ | Quelle: Silke Schneider

Ihre Musikprojekte stemmt Jasmin vor allem aus eigener Kraft. Für das Kairo-Projekt, bei dem auch ihr Song „Duty Free“ entstand, reiste sie nach Ägypten und konnte die Aufnahmen durch eine gemeinschaftliche Online-Finanzierung ermöglichen. Unterstützung kommt außerdem durch kleinere Gagen aus Konzerten sowie frühere Nebenjobs in der Gastronomie. Zwar helfen auch die Vergünstigungen, die sie als Studentin bekommt, ganz ohne zusätzlichen Verdienst funktioniert es trotzdem selten.

Gehört, aber kaum bezahlt

Einer der größten Widersprüche im heutigen Musikbetrieb zeigt sich im Streaming. Während Plattformen wie Spotify oder Apple Music für ein breites Publikum längst zum zentralen Zugang zu Musik geworden sind, bringen sie kleinen Künstler*innen selbst kaum Einnahmen

Spotify ist der Streamingdienst, der die meisten Einnahmen im Musikstreaming, sowohl in Bezug auf Nutzerzahlen als auch auf die Gesamteinnahmen generiert. Im Jahr 2024 führte Spotify eine bedeutende Änderung seines Vergütungsmodells ein, die insbesondere unabhängige Künstler*innen betrifft. Künftig werden nur noch Songs vergütet, die mindestens tausend Streams pro Jahr erreichen. Titel, die diese Schwelle nicht überschreiten, generieren keine Einnahmen mehr. Spotify begründet diesen Schritt mit dem Ziel, Transaktionskosten zu sparen und die freiwerdenden Mittel an erfolgreichere Künstler*innen umzuverteilen. Schätzungen zufolge betrifft diese Regelung etwa 80 Millionen Songs, was rund 0,5 Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht.​

Pro-Rata-Modell (aktuelles Spotify Vergütungsmodell)
Beim Pro-Rata-Modell fließen die Abo-Gebühren aller Nutzer*innen in einen gemeinsamen Topf. Die Ausschüttung der Einnahmen erfolgt dann anteilig nach der Gesamtzahl aller Streams. Das bedeutet: Wer besonders häufig gestreamt wird, bekommt auch den größten Anteil – unabhängig davon, wer diese Musik konkret gehört hat. Wer also wenig streamt, finanziert mit seinem Abo trotzdem hauptsächlich die populärsten Acts und nicht unbedingt die, die man selbst gehört hat.

Für einen einzigen Stream fließen also oft nur Bruchteile eines Cents. Um davon leben zu können, müssten Songs millionenfach gehört werden. Gerade unabhängige und junge Musiker*innen, die keine großen Labels im Rücken haben, stehen damit vor einem Dilemma: Sichtbarkeit ist zwar möglich wie nie zuvor, finanzielle Stabilität bleibt jedoch eine ferne Illusion.

Von den Einnahmen eines Spotify-Standardabos gehen nur 22,4 Prozent an die Musikschaffenden, den größten Anteil erhalten Labels und die Plattform selbst.

Die neu eingeführte Regel von Spotify trifft besonders Nachwuchsacts hart. „Ich finde es sowieso schon lächerlich, was am Ende bei den Künstler*innen ankommt“, sagt Jasmin nüchtern. Die Regel führe bei ihr vor allem zu Resignation, denn Hoffnung auf nennenswerte Einnahmen mache sie sich ohnehin nicht. 

„Ich finde es sowieso schon lächerlich, was am Ende bei den Künstler*innen ankommt.“

Jasmin Kleinheins, Musikerin

Diese Haltung spiegelt sich auch in ihren Erfahrungen nach dem ersten Release wider. Zwar verspürte sie Erleichterung, den komplizierten Veröffentlichungsprozess gemeistert zu haben, doch die Euphorie wich schnell der Ernüchterung: „Da ist halt jetzt ein Song, aber es ist noch lange nicht vorgegeben, dass Menschen ihn streamen.“ Ihre Worte machen deutlich, wie frustrierend es für junge Musiker*innen sein kann, wenn der kreative Output alleine nicht ausreicht, um im System der Streamingplattformen Sichtbarkeit oder gar Einkommen zu erzielen.

Das System dahinter

„Ich finde, das ist eine Unverschämtheit. Das zeigt, wie ungesund solche Monopole sind“, sagt Musikproduzent Kilian Mohns, der als Toningenieur und Songwriter seit vielen Jahren mit jungen Künstler*innen arbeitet, über Spotifys neue Regelung. Nur wer es mit einem Song in eine große Playlist schafft, habe überhaupt die Chance auf nennenswerte Einnahmen. 

„Das zeigt, wie ungesund solche Monopole sind.“

Kilian Mohns

Streaming-Plattformen sieht er kritisch. „Ich bin da ein bisschen Systemfeind, obwohl ich ja auch Teil des Systems bin, weil ich mache ja auch Musik“, sagt er schmunzelnd. Statt auf Streaming setzt er auf bewussten Musikkonsum. Er kauft gezielt Digitalalben kleiner Acts und hört ganze Alben als künstlerisches Gesamterlebnis. 

Musikproduzent Kilian Mohns sitzt vor seinem Mischpult und Computer und arbeitet an einem Song.
Musikproduzent Kilian Mohns in seinem Tin Roof Studio in Stuttgart. Er ist seit über 20 Jahren zwischen Band, Mischpult und Songwriting zuhause.
Quelle: Silke Schneider

Auch Sängerin Jasmin betont die Bedeutung von Playlists für Reichweite. Sie nutzt dafür teils das offizielle Spotify-Tool „Playlist Pitch“, bei dem Songs über eine Vertriebsgesellschaft angemeldet werden. Andere Wege führen über bezahlte Playlist-Betreiber*innen oder Netzwerke, in denen sich Künstler*innen gegenseitig platzieren – oft gegen Bezahlung.

Mehr Chancen für mehr Vielfalt

Obwohl das Musikmachen für viele Newcomer*innen klar im Zentrum steht, zeigt sich schnell: Ohne finanzielle Unterstützung ist der Schritt vom Proberaum ins Studio oft nicht zu stemmen. Hier kommen Förderinitiativen ins Spiel.

Förderinitiativen wie die „Initiative Musik“ helfen mit Bundesmitteln, Produktionen zu realisieren. Doch der Weg dorthin ist steinig – mit aufwendigen Anträgen und begrenzter Auswahl. Ohne diese Gelder, sagt Kilian Mohns, wären viele Projekte gar nicht möglich. Auch lokal gibt es Unterstützung, zum Beispiel durch das „Pop-Büro Region Stuttgart“ mit einem jährlichen Stipendium für Nachwuchsacts. 

Für Jasmin sind solche Programme essenziell. Zugleich fordert sie mehr Offenheit. Vor allem für Frauen, queere und marginalisierte Menschen brauche es niedrigschwellige Zugänge, also Räume, in denen Fragen erlaubt sind und Selbstwirksamkeit wachsen darf.

Nachklang

Langsam verstummen die letzten Töne im Proberaum, die Stimmen werden leiser. Der Laptop wird zugeklappt, Kabel eingerollt, Taschen zusammengepackt. Noch ein kurzes Gespräch über den restlichen Verlauf des Tages gefolgt von einem „Ciao, bis morgen!“, dann leert sich der Raum.

Für ihre künstlerische Zukunft wünscht sich Jasmin vor allem eins: Verbundenheit – mit dem Publikum, mit anderen Kunstschaffenden und mit sich selbst. Ihre Vision geht über die Bühne hinaus. Sie träumt von einer Plattform, einem Netzwerk für Musikschaffende, das gemeinschaftliches Arbeiten ermöglicht. Gleichzeitig möchte sie auch persönlich weiterkommen, mit einer soliden finanziellen Basis, mentaler Stabilität und einem unterstützenden Umfeld, damit sie sich auf das konzentrieren kann, was ihr am wichtigsten ist: Musik machen.