„Ich bin wirklich schon fast süchtig danach, Songs zu schreiben.“
Hit Me Baby One More Time!
Berlin. René sitzt zuhause in seinem Studio. Hinter ihm an der Wand leuchten zwei goldglänzende Auszeichnungen: die seiner zwei größten Hits. Zoe Wees „Control“ und Topics „Breaking me“ bringen es allein auf der Streaming-Plattform Spotify auf über eine Milliarde Aufrufe. An beiden hat er mitgeschrieben. Seine Musikkarriere startete René in einer Coverband. Immer nur Songs von anderen zu singen, war ihm auf Dauer zu langweilig. Also nahm er selbst Stift und Papier in die Hand und schrieb darauf los.
Über Liebe und Beziehungen, die klassischen Themen. „Meine ersten Lieder habe ich heute noch auf meinem Rechner. Schön anzuhören sind die aber echt nicht“, gibt er zu und lacht. Schnell schiebt er hinterher, dass jedem klar sein müsse, dass Songwriting wie Fußball spielen sei – nur die wenigsten träfen direkt in den Winkel. Aber wie trifft man den Musik-Ball denn richtig? So, dass er überhaupt in Richtung Charts oder Bekanntheit fliegt?
Die Akkorde zum Erfolg
Lässt sich ein Hit planen? Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Kognitionswissenschaften in Leipzig haben 2019 im Rahmen einer Studie 80.000 Akkorde in 745 US-Billboard-Popsongs analysieren lassen. Sie entfernten Bausteine wie Text und Melodie aus den Liedern, sodass nur die Akkordfolge übrigblieb. So wollten sie auf Nummer sicher gehen, dass die Chart-Hits nicht direkt erkennbar waren.
Dann hörten Proband*innen die Sequenzen probe. Das Ergebnis: Wenn diese sich vermeintlich sicher waren, welche Akkorde als Nächstes folgen würden, empfanden sie eine überraschende Akkordfolge als positiv. Fühlten sie sich dagegen unsicher, fanden sie es besser, von den aufeinanderfolgenden Akkorden nicht überrascht zu werden. Im Klartext: Stimmt in Songs die Mischung aus erfüllten Erwartungen und überraschenden Elementen, gefallen uns diese offenbar besser, als andere. Ja, ein Hit scheint so zumindest teilweise planbar.
„Die meisten Radiosongs heutzutage basieren nur auf drei oder vier Akkorden“, meint René. Das australische Comedy- und Musiktrio The Axis of Awesome hat genau das vor einigen Jahren eindrucksvoll bewiesen: Mit nur vier Akkorden spielten sie 47 bekannte Popsongs nach. Darunter Hits von Jason Derulo, Green Day, Eminem und Maroon 5. Die Harmoniesequenz war dabei immer dieselbe, nur der Text ein anderer. Fest steht: Mit ein paar simplen Dreiklängen und locker dahin geschriebenen Sätzen ist der Prozess des Songwritings aber nicht getan. „Manchmal sitze ich 14 bis 16 Stunden im Studio und das tagelang. Ich bin wirklich schon fast süchtig danach, Songs zu schreiben“, sagt der Singer-Songwriter aus Stuttgart.
Im Optimalfall bringen diese dann auch irgendwann Geld ein. Im Gegensatz zu einem Job in Festanstellung gibt es für Songwriter*innen in der Regel kein fixes Gehalt, keine Planungssicherheit. „Wenn du heute einen Hit schreibst, dann siehst du dein Geld erst in einem oder sogar vielleicht zwei Jahren.“ Das läge an den langen Verwaltungswegen der Musikindustrie, erzählt René. Seinen Lebensunterhalt habe er sich oft mit einem Vorschuss seines Labels finanziert, immer in der Hoffnung, es irgendwann zurückzahlen zu können.
Von den Ängsten, irgendwann mal einen Hit landen zu müssen, merken wir als Zuhörer*innen nichts. Kopfhörer rein und Play, ziemlich viel Play! Laut dem „Engaging with Music"-Report 2021 hören wir Deutschen pro Woche rund 19,3 Stunden Musik. Heruntergebrochen sind das 386 Songs à 3 Minuten oder 55 Songs pro Tag. Das ergab die Befragung des Weltverbandes der Musikwirtschaft (IFPI). Und doch bleiben die Schöpfer*innen von Hits meistens unbekannt. Nur wenige sind so berühmt, dass ihr Name überhaupt im Musikkosmos auftaucht.
Max Martin ist einer der Größten. Der Schwede gilt als Songwriting-Genie. 25 von ihm mitgeschriebene Nummer-eins-Hits hat er mittlerweile in die Billboard Hot 100 gebracht, die wichtigsten Singlecharts der USA. Nur Paul McCartney von den Beatles und John Lennon stehen noch vor ihm. „I Kissed a Girl“ von Katy Perry, Pinks „Raise Your Glass“ oder auch Taylor Swifts „Shake It off“ – ein großes Stück Max Martin steckt in allen diesen Songs.
Je kürzer, desto besser!
Doch auch wenn Songwriting ein bunter, kreativer Prozess ist, so wird er durch den wirtschaftlichen Aspekt plötzlich ganz schnell grau. Möglichst kurz müssen die Hits heutzutage sein, möglichst schnell müssen sie dem Publikum im Kopf bleiben. Stichwort Aufmerksamkeitsspanne. Lag diese im Jahr 2000 noch bei um die zwölf Sekunden, waren es letztes Jahr nur noch acht. So heißt es noch schneller Top oder Flop – und somit auch Profit oder Verlust. Getrimmt auf Gewinnmaximierung, lautet die Prognose für das Ende dieses Jahrzehnts: Die Songs werden im Schnitt noch kürzer. Nur noch zwei Minuten sollen sie dann dauern. „Komm auf den Punkt – am besten vorgestern“ ist zur Devise der Branche geworden.
Auch an René wird diese Entwicklung nicht spurlos vorbeiziehen. Auf die Frage, wieso er nicht etwas in Richtung Songwriting studiert hat, muss er schmunzeln. Vom Konzept, dass Profis zum Beispiel in Songwriting Camps das Schreiben beibringen, hält er nicht viel. Er selbst hätte fast an der Popakademie in Mannheim studiert, dachte sich dann aber: „Wieso soll ich Songwriting und die Musiktheorie studieren, wenn ich es doch einfach praktisch machen muss.“
Ist ein Hit also planbar?
Die Antwort auf die Frage ist wohl ein klares Jein. Bestimmte, vorhersehbare Akkordfolgen funktionieren besser als andere, ja. Kürzere Songs sind aufgrund gesunkener Aufmerksamkeitsspannen mittlerweile oft erfolgreicher als längere, ja. Eins kann aber auch die beste Planung nicht ersetzten: die eigene, kreative Leistung. Die den Musik-Ball, wie bei René, mit viel Glück eben auch mal oben im Winkel zappeln lässt. Und die dazu beiträgt, dass Britney Spears ganz leise im Hinterkopf singt: „Oops, I dit it again.“ Yeah!