„Es ist schon schwer, alle Regeln immer auf dem Schirm zu haben."
Hinter den Kulissen der Straßenmusik
Der Holzboden knarzt, als Lukas barfuß in die Küche geht. Im Ofen backen gold-braune Kartoffeln, welche langsam die ganze WG mit ihrem Duft einhüllen. Aus einem Vintage-Verstärker ertönt Akkordeonmusik aus Panama. Wieder knarzt der Boden unter seinen Füßen. Er läuft zum Fenster und schaut zum Himmel. Regentropfen prasseln gegen die Fenster. Nicht das beste Wetter, um Straßenmusik zu machen. Doch die Atmosphäre ist entspannt. Er ist entspannt. Der Qualm strömt aus dem Ofen, als er ihn öffnet. Jetzt nur noch die Küche in Ordnung bringen und ab ins Zimmer. Noch immer erinnert die panamaische Musik an eine ferne Entspannungsoase. Ein Kontrast zum Regen. Er verspeist seine Kartoffel, während er auf seinem Cajón sitzt und in Gedanken schwelgt. Lukas läuft zu seinem Balkon. Er öffnet das Fenster und atmet noch einmal kräftig ein. Er fängt an, Dinge zusammenzusuchen. Jetzt ja nichts vergessen. Die richtigen Schuhe, Mütze und sein Cello. Es ist in einen moosgrünen Koffer eingepackt, der aussieht, als hätte er auch schon viele Geschichten zu erzählen. Mit allen Sachen geht es trotz des stürmischen Wetters los. Los auf die Straßen, um sie mit Musik zu erhellen.
Lukas ist Student und macht Straßenmusik. Seinen ersten Auftritt als Straßenmusiker bestritt er im Duett. „In dem Duo ging es, aber allein war ich schon krass aufgeregt“, gibt er mit einem Grinsen auf den Lippen zu. Er macht es zum einen für das Geld, das er dabei bekommt. Er sieht es aber auch als eine Art Auftrittstraining an. Der Moment, wenn er anfängt zu spielen, ist trotz der Übung häufig gleich. Er beobachtet den Ort seiner Wahl mit seinem Cello Koffer in der Hand. Noch einmal versichert er sich, dass er hier auch spielen darf. Es hilft ihm, die Umgebung zu mustern, bevor er die Saiten seines Instruments zum ersten Mal berührt.
Begegnungen gehören zur Tagesordnung
Angekommen in der Stadt setzt sich Lukas hin. Mit geübten Handgriffen stimmt er sein Cello. Lukas fängt an zu spielen. Es ist, als würde er eins werden mit seinem Instrument und seinem Umfeld. Eine Gruppe verkleideter Menschen schlendert vorbei. Links, rechts, Drehung. Eine Frau und ein Mann fangen an, zu Lukas Musik zu tanzen. Kurz danach strömt der Duft eines frischen Gebäcks in sein Lager. Der Verkäufer eines benachbarten Standes überreicht Lukas das Gebäck und wertschätzt seine Arbeit. Mit einem breiten Grinsen setzt er sein Spiel fort. Er streicht mit schwungvollen Bewegungen über die Saiten seines Cellos. Die Augen hat er manchmal geschlossen. Ganz vertieft in seine Melodie, die so gefühlvoll gegen den Lärm der Stadt ankämpft. Manchmal sucht er den Blickkontakt mit seinem Publikum. Links von ihm steht ein Paar. Etwas versteckt. Ihre interessierten Blicke durchdringen Lukas. Rechts hüpft ein Kind auf und ab. Stolz zeigt es auf ihn. Lukas nimmt diese Menschen wahr. Er behält aber allen Fokus auf seiner Melodie.
Besondere Erfahrungen
Lukas ist ab und an Menschen begegnet, die er nicht vergessen wird. „Einmal in Stralsund hat uns ein anderer Straßenmusiker spontan ein Lied gedichtet.“, erinnert sich Lukas. Mit „uns" meint er sich und seine Freundin. Beide teilen die Leidenschaft zur Straßenmusik. Solche Begegnungen hatte er schon öfter. Er spricht ebenfalls von einem Pianisten, der sich zu ihm und seiner Freundin setzte und mit ihnen auf der Straße musikalisch improvisierte. In seinem Notizbuch klebt ein Andenken an einen schönen Moment der Straßenmusik. Ein alter Teebeutel liegt heute noch auf der Seite des Büchleins, wie ein gepresstes Blatt. Er ist schon alt und verknittert. Seinen Wert wird er allerdings nie verlieren. Ein Marktverkäufer aus Weimar schenkte Lukas diesen Teebeutel, als er dort auf der Straße spielte. Für Lukas sind diese Begegnungen etwas Besonderes.
Sarah ist eine Musikerin, die ebenfalls gelegentlich Straßenmusik macht. Auch sie kann von besonderen Begegnungen auf der Straße berichten. Ein obdachloser Mann setzte sich einst neben sie und applaudierte nach jedem ihrer Lieder, die sie spielte. Er verweigerte die Spenden von Passant*innen. Er bat ihnen an, das Geld stattdessen der jungen Musikerin zu geben. Solche Geschichten schreibt die Straßenmusik.
Bezahlung ohne Festpreis
Zu seinem gewohnten Ablauf gehört der Augenkontakt mit Passant*innen. Eine Person bewegt sich mit zielstrebigen Schritten auf Lukas zu. Ein kurzes Lächeln. Es klimpert im Koffer, der vor Lukas steht. Er lächelt und bedankt sich herzlich. Auf diese Weise verdient Lukas Geld mit der Straßenmusik. Die Summe, die dabei herausspringt, kann von Tag zu Tag und von Stadt zu Stadt unterschiedlich sein. 50 Euro in zwei Stunden hatte er einmal in Weimar eingenommen. Das war sein stärkster Tag. Doch in Chemnitz ist das ganz anders gewesen. Die Bezahlung fiel hier überschaubarer aus. Hier sind die Straßen laut Lukas sehr weit und offen, was den Klang der Musik stark beeinflusst. Als Lukas in Weimar spielte, nahm er viele Kultur-Tourist*innen in der Stadt wahr. Das Wetter spielte dem Musiker ebenfalls in die Karten. Das sind für Lukas die plausibelsten Erklärungen, warum der Tag in Weimar so lohnend war.
Spielregeln der Straßenmusik
Lukas stoppt. Er lässt sein Instrument vorsichtig in seinen Koffer nieder. Mit schnellen Schritten macht er sich wieder auf den Weg. Platzwechsel. Ob man für das Musizieren auf der Straße eine Genehmigung braucht oder nicht, ist in Deutschland Kommunen-Sache. In manchen Städten ist es unterschiedlich festgelegt, wie man auf der Straße musizieren darf. In Stuttgart darf nur an bestimmten Plätzen gespielt werden. Nach einer halben Stunde Spielzeit muss man sich auf die Suche nach einem anderen Platz machen. Allerdings gilt es die 30 Minuten Pause Zeit zu beachten. Man muss sich hier aber um keine Bescheinigung kümmern. Lukas wohnt in Würzburg. Da ist es Pflicht, eine Spielgenehmigung zu kaufen. Diese kostet fünf Euro pro Tag. Dies besagt die Webseite der Stadt Würzburg. Lukas ist auch selbst schon kontrolliert worden. Er hatte hierbei aber keine Strafe zu fürchten, da er sich an die Regeln gehalten hat. Doch was passiert, wenn man gegen die Regeln verstößt? Auf der Webseite der Stadt Stuttgart findet man folgenden Hinweis: „Bei Verletzung dieser Spielregeln wird die Polizei einschreiten. Sie kann musikalische Darbietungen auch dann beenden und untersagen, wenn dies im Einzelfall aus Gründen der Verkehrssicherheit oder zur Vermeidung von Belästigungen erforderlich ist.“
Lukas hält auf dem Weg zu seinem nächsten Spielort die Spielbescheinigung wie einen Personalausweis in den Händen. Angekommen kann er seine Melodie beruhigt weiterspielen.
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Musik ist doch eigentlich eine Sache von Freiheit, oder?
Lukas erweckt den Eindruck, als könne er für immer spielen. Doch die Regelungen hat er immer im Hinterkopf. Ob er schon eine halbe Stunde am Spielen ist? Ist es schon so weit, den Platz zu wechseln? Darf ich hier überhaupt spielen? Diese Fragen gehen auf die Regelungen zurück. „Es ist schon schwer, alle Regeln immer auf dem Schirm zu haben“, gibt Lukas zu. Er hat auch andere Vorstellungen von der Musik auf Deutschlands Straßen. Plätze, die regelrecht dazu einladen Musik zu machen, sind für ihn eine Wunschvorstellung. Auch Sarah ist der Meinung, dass eine Regel Straßenmusiker*innen besonders einschränkt. In Stuttgart besteht das Gesetz, keinen Verstärker zu nutzen. Das ist für Sarah schwierig mit Gesangskünstler*innen vereinbar.
Das Wetter hat sich nicht gebessert. Man kann die Kälte langsam in den Knochen spüren. Das Wetter lädt ein, nach Hause zu gehen und die Reste des Mittagessens zu verspeisen. Doch Lukas hat andere Pläne. Trotz des Regens spielt er weiter. Lukas stoppt kurz und blickt in die Menge. Er atmet noch einmal kräftig ein. Er beginnt wieder. Die Töne seines Cellos erfüllen die Straßen. Es dauert nicht lange, bis ihn viele Menschen wahrnehmen. „Jetzt bin ich eingespielt.“, meint Lukas mit einem selbstbewussten Grinsen.