Hundephobie

Herzklopfen, Hilflosigkeit, Hunde-Begegnung

Das Dilemma: Wenn Hundeängstliche flüchten, kann die jagdliche Motivation des Hundes aktiviert werden.
25. Aug. 2021
Für andere der beste Freund, für mich ein bedrohlicher Feind: Seit meiner Kindheit habe ich panische Angst vor Hunden. Wenn ich auf Hunde treffe, fühle ich mich schwach und machtlos. Wie ich im Alltag damit umgehe und was mir eine Expertin empfiehlt.

Ich entspanne in unserem weißen Ohrensessel. Wir feiern Geburtstag und lautes Gelächter unserer Gäste füllt das Haus. Auch meine Patentante überrascht uns mit ihrem Besuch. Sie schlendert mit ihrer geliebten argentinischen Dogge Cresus in unseren Wohn-Essbereich, als es passiert: Seine Vorderpfoten heben sich auf den Sessel, die Hinterpfoten noch am Boden. Seine Klauen befinden sich knapp über meinem Kopf. Mein sechsjähriges Ich starrt entgeistert auf das riesige Tier hoch. Laut meiner Patentante ist es nichts Schlimmes, Cresus freue sich nur darüber, mich zu sehen. Panisch schreie ich und hoffe, dass der scheinbar endlose Moment sein Ende findet.

Das ist eine meiner frühesten Erinnerungen an das, was mich seit meiner Kindheit bis heute mit 20 Jahren begleitet: Ich habe panische Angst vor Hunden. Der Fachbegriff dafür ist „Kynophobie“. Sie gehört zu den spezifischen Phobien, die auf ein Objekt oder eine Situation beschränkt sind. Laut Simone Klipp, Diplompsychologin und Hundetrainerin, gibt es „eine hohe Dunkelziffer an Hundeängstlichen“. Denn professionelle Hilfe werde erst dann aufgesucht, wenn der Leidensdruck hoch ist. Es komme vor, dass Betroffene aus Furcht weder spazieren noch in den Supermarkt gehen. Und einige fürchten sich sogar vor Bildern der Vierbeiner: So geht es auch mir. 

Meine Einschränkungen mit der Phobie

Meine Phobie begleitet mich fast alltäglich. Einige Entscheidungen im Alltag werden von ihr beeinflusst. Möchte ich das Haus verlassen, schleiche ich die Stockwerke herunter. Die Ohren sind gespitzt. Ich kontrolliere, ob der Hund aus der dritten Etage das Treppenhaus einnimmt. Und wenn ich überraschend auf ihn treffe, beginne ich schlagartig zu schwitzen. Es fühlt sich an, als würde die Zeit stehen bleiben. Mein Herz rast. Ich fühle mich schwach, geradezu zittrig. Mich verunsichert, dass ich das Tier nicht einschätzen kann. Für einen Moment erstarre ich. Meine Gedanken rasen: Wie schütze ich mich? Kann ich wegrennen, irgendwo hochspringen, schreien?

Im Treppenhaus fühle ich mich gefangen, draußen wechsle ich oft die Straßenseite, wenn ich einen Hund entdecke – aus Angst, er könnte auf mich zustürmen und an mir hochspringen. Ich fürchte mich vor Besuchen bei Freunden, die Hunde besitzen, meide Treffen bei ihnen zuhause und Orte, die die Vierbeiner anziehen: Badeseen und Waldrouten sind ein No-Go. Meistens sprang ich auf den Rücken meines Vaters oder meines Freundes, wenn ich das Gefühl hatte, dass Hunde auf mich zukamen. Ich wollte so gut wie möglich verhindern, dass sie mich berühren.

Erleichtert, damit nicht allein zu sein

Ich war mir immer unsicher, woher meine Phobie kommt. In meiner Kindheit hatte ich weder schlechte noch besonders gute Erfahrungen mit Hunden. Das beschützende Verhalten meiner Mutter verhinderte, dass ich mich ihnen überhaupt näherte: Wenn sie Hunde sah, wechselte sie die Straßenseite und nahm mich auf den Arm, wenn wir bei Bekannten welche trafen. Da zwei Schäferhunde den fünfjährigen Cousin meiner Mutter totbissen, war es für sie selbstverständlich mich Begegnungen zu entziehen. Laut Klipp können negative Erfahrungen mit den Tieren die Ursache einer Phobie sein. Fehlende Konfrontationen, die zu positiven Erfahrungen werden, tragen dazu bei, die Angst zu behalten. Zusätzlich sei die Hundeangst meiner Mutter ein möglicher Grund meiner Phobie. Sie habe mir ermöglicht ihre Angst zu übernehmen. 

Als ich hörte, dass es meiner Kommilitonin Paula ähnlich ging, fühlte ich mich erleichtert. Seitdem ihr Vater von einem Hund ins Bein gebissen wurde, begegnen ihre Eltern den Tieren mit Abstand. Zudem hat sie mit sechs Jahren eine schlechte Erfahrung gemacht: Sie brachte ein Paket zum Briefkasten, wo sich eine Gruppe von Erwachsenen mit einem Hund versammelte. Der Vierbeiner rannte auf Paula zu und biss in das Paket. Da der Biss knapp neben ihrer Hand war, hatte sie das Gefühl, dass er sie beißen wollte. Also rann sie weinend nach Hause – mit dem Paket. Dennoch konfrontierte sie sich in den letzten Jahren immer mehr mit Hunden. Paula meint: „Ich würde sagen ich habe noch Respekt vor Hunden, aber einen gesünderen als früher“.

Das sonst breit lächelnde Mädchen mit offener Art ist ruhig, als wir bei einem Spaziergang auf zwei große Hunde treffen: Paula verschränkt die Hände hinter dem Rücken und beobachtet, wie die Hunde bellen und auf der Stelle hüpfen. Trotzdem tritt sie so nah an die Tiere ran, dass sie die beiden Vierbeiner berühren könnte. Paulas Augen zucken zusammen, als einer der gold-beigen Hunde bellt und sie knurrend mustert. Sie ruft „huiuiui“ und nimmt einen Schritt Abstand. Obwohl sie sich traut beiden ein Leckerli zu füttern, tritt sie immer, wenn die Hunde auf sie zukommen, einen Schritt zurück. Ich hingegen wahre durchweg Distanz. Auch wenn die zwei angeleint sind verunsichert es mich, dass sie nicht aufhören zu bellen und zu hüpfen. Trotz der Entfernung merke ich, wie meine Knie erweichen und meine Hände zittern. Von Paulas Mut bin ich noch weit entfernt.

Meine gescheiterten Therapieversuche 

Als ich acht Jahre alt war, schaffte sich meine Familie einen Welpen an. In der Fantasie meines Stiefvaters sollte der schwarz-weiße Jagdhund, der auch „Paula“ hieß, mir die Panik nehmen. Und für meinen jüngeren Bruder ging damit ein Traum in Erfüllung. Kaum gehörte die kleine Hündin zu unserer Familie, bekam ich nachts kein Auge zu. Ich hatte Angst sie schleiche sich, während ich schlafe, in mein Zimmer. Tagsüber schloss ich mich allein in meinem Zimmer ein. Beim Essen weigerte ich mich die Füße unter den Tisch zu strecken aus Angst Paula könnte an mir hochspringen oder mir in die Beine zwicken. Also sperrte mein Stiefvater für den Welpen verbotene Zonen in unserer Wohnung mit Gittern ab. Aber das brachte nicht die Lösung. Kaum war Paula aus dem Bereich ausgebüxt, hüpfte ich panisch auf Tische und zitterte am ganzen Körper. Und auch meine Mutter fürchtete sich vor ihr. So flüchtete mein Stiefvater mit Paula für sechs Wochen zu meinem Onkel, bevor wir uns darauf einigten, dass sie nicht mehr Teil unserer Familie sein kann. Experiment fehlgeschlagen. Meine Angst ließ keine Annäherung zu.

Heute heißt Paula "Nelly" und lebt bei anderen Besitzern.

Einige Jahre später stieß mein Stiefvater zufällig auf Konfrontationstherapien gegen Hundeangst. Es war das erste Mal, dass ich von Behandlungsmöglichkeiten gegen meine Phobie hörte. Obwohl ich mir immer wünschte angstfrei zu leben, wollte ich mich aus Panik vor den Konfrontationen nicht auf eine Therapie einlassen. Also mied ich die Chance. Simone Klipp zufolge ist derzeit die kognitive Verhaltenstherapie eine bewährte Behandlungsmethode. Dabei wird die Phobie erst psychisch aufgearbeitet, bevor Hunde konfrontiert werden. Therapeuten müssen zuerst herausfinden, was die Befürchtungen des Patienten sind: Hat er Panik angebellt zu werden? Oder angesprungen? Die Konfrontationen sollen verdeutlichen, dass diese Befürchtungen sich selten bewahrheiten. Nach Angaben der Expertin sind positive Erfahrungen mit den Tieren notwendig, um die Phobie besiegen zu können. Da Betroffene das Verhalten eines Hundes oft nicht einschätzen können, müssten sowohl deren Körpersprache als auch die Konsequenzen des eigenen Verhaltens verstanden werden. Wenn ängstliche Menschen beispielsweise erstarren, bedeutet das für Hunde die Situation ist gefährlich.

„Auf keinen Fall den unangeleinten Hund auf den Menschen zustürmen lassen und rufen: „Der tut nix!"

Simone Klipp, Diplompsychologin und Hundetrainerin

Anderen von meiner Phobie zu erzählen, fällt mir schwer. Es ist mir peinlich und meistens werde ich nicht ernst genommen. Eine Spinnenphobie verstehen die meisten, aber eine Angst vor Hunden? Viele behaupten, dass Hunde nichts machen, sie nur spielen wollen oder mehr Angst vor mir haben als ich vor ihnen. Die meisten Menschen können sich nicht vorstellen, wie schlimm meine Panik ist. Schließlich gilt der Hund als bester Freund des Menschen. Da meine Patentante keine Kinder hat, scheint ihr Hund sogar die Rolle eines eigenen Kindes einzunehmen. Für andere ist er wie ein gleichwertiges Familienmitglied. Meine Panik hält wenige Menschen davon ab ihren Hund auf mich loszulassen. Der Expertin zufolge soll das Umfeld Betroffenen nur in kontrollierten Situationen die Möglichkeit bieten Hunde zu treffen. Sie könnten hinter dem Gartenzaun oder angeleint konfrontiert werden. „Auf keinen Fall den unangeleinten Hund auf den Menschen zustürmen lassen und rufen: „Der tut nix“, so Klipp. Die Annäherung müsse im Tempo des Ängstlichen passieren. Das nahe Umfeld hingegen dürfe Betroffene nicht immer beschützen. Sie hätten so mehr Möglichkeit sich auf der Hilfe auszuruhen und die Angst könne sich weiter ausbreiten. 

Meine guten Erfahrungen 

Die ersten Hunde, denen ich vertraute, waren Golden Retriever. Mit elf Jahren fütterte ich zum ersten Mal einem solchen Hund ein Würstchen. Seitdem bereue ich es immer mehr, dass ich die Phobie in mir habe. Oft nehme ich mir vor ruhig zu bleiben, wenn sich mir ein Hund nähert. Im Endeffekt bricht aber doch die Panik aus und ich ärgere mich über mich selbst: Wieso kann ich nicht ruhig bleiben? Hunde können ein Freund sein, die Laune aufheitern und beschützen. Das spüre ich durch den Hund meines Freundes. Den aus dem Tierheim geretteten Schäferhund-Mischling namens Bär kenne ich seit neun Jahren. Wenn wir nach Hause kommen, springt Bär auf und schnuppert fleißig an seiner Familie. Er legt sich zu uns, wenn wir am Tisch sitzen, und bellt andere Tiere an, falls er sich und seine Familie durch sie bedroht fühlt. Und ich fühle mich deshalb beschützt. Angst vor Bär habe ich selten – außer ich bin mit ihm allein.

Meine Annäherungsversuche mit "Bär" laufen bisher angstfrei.

„Gerade Phobien, die klar auf ein spezifisches Objekt oder eine spezifische Situation beschränkt sind, haben eine hohe Behandlungschance.“

Simone Klipp, Diplompsychologin und Hundetrainerin

„Gerade Phobien, die klar auf ein spezifisches Objekt oder eine spezifische Situation beschränkt sind, haben eine hohe Behandlungschance“, so Simone Klipp. Sie empfiehlt mir mich in Zukunft mit weiteren Hunden zu konfrontieren, die meiner Überzeugung nach harmlos sind. Damit ich lerne die Tiere einzuschätzen, solle ich sie hinter einem Zaun beobachten. Darauf aufbauend sei es sinnvoll mich angeleinten Hunden zu nähern. Simone Klipp erklärt, es sei wichtig meine positiven Erfahrungen mit Bär auf andere Hunde auszubreiten. So habe ich gute Chancen meine Phobie eines Tages zu besiegen. Zu meinem besten Freund wird ein Hund wohl nie, aber vielleicht zu einem gerngesehen Bekannten.