Repräsentation

„Guck mal, Mama, die sitzt auch im Rollstuhl“

Kinder im Rollstuhl können bald andere Rollstuhlnutzende im TV sehen – beispielsweise in der Sesamstraße.
Diversität und Repräsentation sind Themen, die in unserer Gesellschaft immer größer geschrieben werden. Rollstuhlnutzende sieht man trotzdem selten in Film und Fernsehen. Werden hier Abstriche gemacht? Wäre es nicht wichtig, alle Menschen gleichermaßen zu repräsentieren?

Ich war 13, als ich mit dem Arteria-spinalis-anterior-Syndrom diagnostiziert wurde und vom Hals abwärts gelähmt war. Ein Jahr lang saß ich im Rollstuhl. Das war auch das erste Mal, dass ich in meinem Leben mit solchen Themen konfrontiert wurde: Rollstuhl, Behinderung, Begriffe wie „barrierefrei“ oder „Inklusion“. Personen mit Behinderung, wie eben Rollstuhlfahrer*innen, sind keine Seltenheit, trotzdem kommen die meisten Menschen nie mit ihnen in Berührung und haben keine Ahnung, wie man mit ihnen umgehen muss. Spoiler alert: Einfach ganz normal.

Aber wie kann es sein, dass Rollstuhlnutzende den meisten Menschen im Alltag immer noch so kurios erscheinen? Das liegt womöglich daran, dass man ihnen kaum begegnet. Höchstwahrscheinlich nicht in der Familie, nicht beim Einkaufen, nicht auf TikTok und schon gar nicht im TV. Aber warum eigentlich nicht? Wäre es nicht wichtig, alle Menschen in gleicher Art zu repräsentieren und zu zeigen, dass ein Rollstuhl keine große Sache ist? Kenntlich zu machen, dass es sich dabei nicht um etwas Eigenartiges handelt, sondern dass der Rollstuhl nur ein Merkmal von vielen ist. Im Grunde genommen so wie Leute, die eine Brille tragen. Es ist ein Hilfsmittel, kein Charakterzug und keine Identität.

„Je mehr kulturelle Repräsentation von aktiven jungen Rollstuhlnutzenden es gibt, desto normalisierter wird es.“

 

Rebecca Maskos, Aktivistin und Wissenschaftlerin

Als ich krank war, fühlte ich mich kaputt – ich schämte mich nicht selten, wenn ich durch die Öffentlichkeit rollte. Eigentlich völlig stupide. Ich hasste es, von Fremden beäugt und bemitleidet zu werden, aber trotzdem konnte ich es irgendwie verstehen. Wahrscheinlich hätte ich auch mit traurigem Blick rüber zu dem kleinen Mädchen im Rollstuhl geschaut.  

Dieses Phänomen nennt man Ableism oder Ableismus. Der Begriff „Ableismus“ stammt aus dem Englischen und leitet sich von dem Wort „to be able“ ab, was „fähig sein“ bedeutet. Er beschreibt die Einstellung der Gesellschaft, in der Personen an ihren körperlichen, geistigen oder psychischen Fähigkeiten gemessen werden. Menschen, die Einschränkungen haben, werden demnach oft als weniger wertvoll betrachtet als Menschen ohne Einschränkungen. Dies führt häufig zu Diskriminierung und Ausgrenzung.

Veränderung schaffen

Die Disability-Studies- und Psychologie-studierte Aktivistin und Journalistin Rebecca Maskos untersucht in ihrer Promotion das Thema Rollstuhlvermeidung und Rollstuhlaneignung im Kontext von Ableismus. Maskos ist der Meinung, dass Repräsentation als Werkzeug gegen Ableismus eingesetzt werden kann.

Sie erklärt, dass uns schon in jungen Jahren die Bilder prägen, die wir sehen. Sie beeinflussen unsere Wahrnehmung sowie unsere Weltanschauung. Zudem ist es bedeutsam, dass Menschen, die bisher selten oder gar nicht in den Medien repräsentiert wurden, endlich sichtbar werden.

Der Rollstuhl als Symbol

In unseren Köpfen ist der Rollstuhl als Symbol von Behinderung und dem damit verbundenen Zustand des Leidens so tief verankert, dass es schwer ist, dieses Bild zu brechen. Die Wahrheit ist aber, dass ein Rollstuhl kein Synonym für ein trauriges Leben ist. Repräsentation sollte also hier ansetzen, um dem Stereotypen der armen, traurigen Person im Rollstuhl entgegenzuwirken.

Rollstuhlnutzende in Film und Fernsehen zu zeigen ist allerdings auch nicht immer zielführend. Hier kommt es insbesondere auf die Art der Repräsentation an. Rebecca Maskos kritisiert zu Recht Filme wie „Ein Ganzes Halbes Jahr“. Hier wird nämlich ein Rollstuhlfahrer porträtiert, dessen Leben er selbst nicht für Lebenswert erachtet (Achtung, riesiger Spoiler). Für den Protagonisten ist klar, er will lieber sterben, als sein Leben im Rollstuhl sitzend weiterzuführen. Hier scheitert die Repräsentation an allen Enden. Das Bild des Rollstuhls als Symbol des Leidens und der Trauer wird hier nur weiter in die Köpfe der Gesellschaft zementiert und Klischees werden bedient, ohne dabei die Realität widerzuspiegeln.

„Die meisten Menschen im Rollstuhl finden ihr eigenes Leben sehr wohl lebenswert.“

Rebecca Maskos

Schlechte Repräsentation schadet vor allem betroffenen Kindern. Insbesondere, wenn man gerade noch dabei ist, sich selbst kennenzulernen und seine Identität zu finden, ist es wichtig, so etwas wie Rollstühle zu normalisieren und die negative Assoziation in den Köpfen der Menschen zu lösen.

Ein gelungenes Beispiel für Repräsentation von Rollstuhlnutzenden findet sich schon bald in der Sesamstraße. Hier zieht künftig ein neuer Charakter ein, ein siebenjähriges Mädchen Namens Elin. Sie sitzt zwar im Rollstuhl, dieses Merkmal ist allerdings richtigerweise nur Nebensache. Ihr Charakter zeichnet sich durch andere Eigenschaften wie ihre Affinität zu Technik und ihren Mut aus.

Die Sesamstraße bekommt eine neue Bewohnerin, die im Rollstuhl sitzt.

Diese Art von erfolgreicher Repräsentation hilft nicht nur Betroffenen, sondern auch Kindern ohne Einschränkung. Der Umgang mit Menschen mit Behinderung ist hier nichts Außergewöhnliches mehr und wenn man immer schon Rollstühle in der Öffentlichkeit oder im TV gesehen hat, dann gibt es auch keinen Grund mehr, diese zu beäugen.

Behinderung sollte beim Thema Diversity nicht mehr vergessen werden. Es wird Zeit für mehr realitätsnahe Repräsentation von Menschen mit Behinderung. Ich wünsche mir Normalisierung und Bildung, damit sich kein Kind im Rollstuhl fühlen muss, wie ich mich einst gefühlt habe.