Die Feste feiern, bis sie fallen

Hinweis
Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers zum Thema ,,Rituale".
Außerdem dazu gehören:
Es ist wirklich ermüdend eine Feministin zu sein. Denn uns bleibt bis auf den 8. März, an dem auch nur Berliner*innen frei bekommen, wirklich kein Tag, an dem wir uns mal nicht mit der patriarchalen Unterdrückung befassen müssen. Nicht mal an Heiligabend wird uns eine Pause gegönnt.
Seit ich Feministin bin, glaube ich an meine Mutter statt an den Weihnachtsmann. Wo andere nur Lichterglanz, Plätzchenduft und Festessen sehen, sehe ich die Care-Arbeit der Frauen meiner Familie. Ich sehe Frauen, die Geschenke für die gesamte Verwandtschaft ihres Mannes besorgen, als wäre es eine olympische Disziplin und im Gegenzug Jahr für Jahr leer ausgehen. Naja, der 24. Dezember kommt aber auch wirklich immer so plötzlich! „Aber Weihnachten ist doch das Fest der Liebe und nicht des Materiellen” – Klar! Die Liebe der Frauen, die sich tagelang die Beine in den Bauch stehen, damit alles perfekt ist, nur um hinterher noch den Abwasch machen zu dürfen, während sich ihre Väter, Brüder und Gatten leise vom Schnee berieseln lassen. Ich sollte mich nicht aufregen. Schließlich haben wir das schon immer so gemacht!
Aber weg von der Wut und zurück zur Liebe. Diese ist mir als Feministin nämlich nicht vergönnt, denn beim Daten folgt dem ,,sexy” meistens ein ,,-smus”. Und ans Heiraten brauche ich gar nicht erst zu denken, wenn ich nicht plane, meine feministischen Ideale an den Teufel zu verkaufen (Tu´ ich nicht !). Was mir als „schönster Tag meines Lebens” verkauft wird, entpuppt sich als ritualisierte Kaskade der Misogynie mit Sahnetorte und Musik. Nicht nur werden Frauen traditionell von ihren Vätern an den Altar gebracht, um dort an den neuen Patriarchen in ihrem Leben übergeben zu werden, sondern das Problem fängt bereits beim Outfit an.
Der Schleier, den die Braut trägt, dient historisch nämlich vor allem dem Verschleiern der Angst-Tränen vor der Ehe mit einem fremden Mann und das weiße Kleid wird in vielen Kulturen mit Reinheit und Jungfräulichkeit assoziiert. Hach – Patriarchale Unterdrückung kann doch so romantisch sein und außerdem haben wir das ja auch schon immer so gemacht!
Immerhin gibt es doch noch Hoffnung für uns. Denn zumindest stören sich einige daran, wenn in Ritualen auf Nordseeinseln kostümierte Männer ihre Anonymität missbrauchen, um ohne Konsequenzen mit Kuhhörnern auf Frauen einzuschlagen. Da geht das Ganze dann aber wirklich zu weit! Im Dezember brauchen wir unsere Frauen ja – Weihnachten organisiert sich schließlich nicht von allein. Aber andererseits ist es nur eine Nacht und für die Meisten war das ja auch ganz witzig. Wahrscheinlich vor allem für diejenigen, die nicht geschlagen werden. Der Teil der Tradition wurde nach dem medialen Skandal 2024 sowieso abgeschafft. Schade eigentlich, denn die haben das ja auch immer schon so gemacht.
Der Klaasohmbrauch
Das Klaasohmfest ist ein ostfriesischer Brauch, der seit 1830 in der Nacht vom 5. Auf den 6. Dezember auf der Nordseeinsel Borkum gefeiert wird. Im Zentrum des Rituals stehen die sog. Klaasohms – mit Fell und Hörnern kostümierte, unverheiratete Männer, die mit lauten Glocken und Peitschen durch die Straßen ziehen und Bewohner*innen erschrecken. Ein anderer Teil des Brauchtums sieht vor, Frauen durch sie Straßen zu jagen und ihnen mit Kuhhörnern auf Gesäß und Beine zu schlagen.
Ursprünge:
Der genaue Ursprung des Brauches ist unklar. In ihm mischen sich Elemente des Nikolausfests, des germanischen Wodansfests und heidnischer Winteraustreibungsriten. Eine Theorie vermutet, dass das frauenfeindliche Element auf die Zeit des Walfangs zurückzuführen sei. Die Männer waren oft monatelang auf hoher See. Der gewalttätige Brauch könnte als Ritus der „Rückeroberung“ der Insel aus Frauenhand hervorgegangen sein.
Kritik & Debatte:
Nach Recherchen von u. a. STRG_F und Panorama im November 2024 bekam der Brauch viel mediale Aufmerksamkeit und eine gesellschaftliche Debatte über die Legitimität des Rituals wurde angestoßen. Der Verein Borkumer Jungens, der das Klaasohmfest ausrichtet, hat sich mittlerweile von dem Teil des Brauches distanziert und verzichtet seit 2024 darauf.
Eigentlich sollte ich dankbar sein. Ich sollte froh sein, in einem Land zu leben, dessen Rituale nur unterschwellig sexistisch sind. Ich könnte es noch schlimmer haben. In einer Familie, die meine Autonomie nicht anerkennt. Deren Ehre ich zu behüten habe und die dazu verpflichtet ist, mich rituell zu töten, sollte ich das nicht tun. Ich sollte froh sein, dass ich nicht in einer Kultur aufgewachsen bin, in der patriarchale Ehre wichtiger ist als weibliches Leben. Doch das bin ich nicht, denn Ehrenmorde passieren auch in Deutschland. Stattdessen bin ich wütend und frage mich, wo da der Aufschrei bleibt. Warum manche Rituale zu sexistisch sind und andere gekonnt ignoriert werden. Aber hey: Haben wir das nicht schon immer so gemacht?
Deine Meinung interessiert uns
Nein! Tradition muss gewahrt werden
Ja! Auch Riten und Bräuche müssen sich der Zeit anpassen!