„Du fängst an, etwas zu lieben, was du früher wirklich gehasst hast.“
Aus dem Körper, aufs Papier – Mit eigenem Menstruationsblut Kunst erschaffen

Leicht und zart streicht ihr in Blut getränkter Pinsel über das Papier. Ein Gefühl von Rebellion und dem Reiz, etwas Verbotenes zu tun, breitet sich in Maria Hermann alias mariaundderpinsel aus, als sie das erste Mal ganz allein mit ihrem Periodenblut malt. Gleichzeitig fasziniert davon, wie ihr Körper sich unglaublich natürlich und stark dabei anfühlt, entdeckt Maria die Mondblutmalerei für sich. Mittlerweile haben die blutroten Pinselstriche ein surrealistisches Bild angenommen. Es ist still. Die Welt um Maria verschwimmt und ihre Gedanken verstummen. Jetzt ist sie ganz nah bei sich.
Wie der NDR berichtet, wurde die Periode in der Kunst lange von patriarchalen Strukturen unterdrückt, bis sie in den 1970er Jahren schließlich durch feministische Bewegungen aufgegriffen wurde. Als eine der ersten Künstlerinnen galt Judy Chicago, die eine Frau fotografierte, die einen blutenden Tampon aus ihrer Vulva zieht. Erst als Maria auf die Künstlerin Jasmine Alicia Carter stieß, begann sie sich mit dem Malen mit Menstruationsblut zu beschäftigen. Maria erinnert sich, sie habe sich im ersten Moment von dieser Art von Kunst getriggert gefühlt und sich gefragt, warum zum Teufel sie mit ihrem Periodenblut male. Gleichzeitig erweckte es auch eine Neugierde in ihr. Die Feinfühligkeit und ästhetische Art Carters half Maria, ihre eigene Scheu vor dem Thema Periode Stück für Stück zu überwinden. Laut Maria braucht es Vorbilder, um selbst den eigenen Mut aufbringen zu können.
Mondblutmalerei bezeichnet die Verwendung von Menstruationsblut – auch Mondblut genannt – als Malmittel in der Kunst. Mondblut gilt als ein alter, spiritueller Begriff, der durch die Synchronisation zwischen Mond- und Menstruationszyklus zustande kam. In zeitgenössischer Kunst ist die Mondblutmalerei häufig feministisch motiviert, mit dem Ziel, Tabus zu brechen und das Thema Menstruation zu entstigmatisieren. Zudem hinterfragt die Praxis das Konzept von „gendered bloods”, bei dem männliches Blut oft mit Heldentum assoziiert und weibliches Blut, besonders im Christentum, Islam und Judentum, als unrein betrachtet wird.
Blut als fließender Charakter – Malen mit dem Zyklus
Wenn Maria mit Aquarellfarben malt, haben ihre Bilder einen zielgerichteten Charakter. Ihre Pinselstriche folgen einem bestimmten Bild im Kopf, einer Intention. Ganz anders ist es, wenn Maria ihr Menstruationsblut verwendet. „Das Blut fließt meistens sehr natürlich aufs Papier und es hat mehr einen entstehenden Charakter”, beschreibt Maria ihr Vorgehen. Die Technik beim Malen bleibt dieselbe, nur die Intention und der Prozess sind anders.
Im Durchschnitt haben Frauen ihre Periode 500 Mal über einen Zeitraum von etwa 38 Jahren. Das sind zusammengerechnet sieben Jahre lang Bluten und bis zu 30 Liter Flüssigkeit. Um das Blut zu sammeln, verwendet Maria eine Menstruationstasse. Abgefüllt in einem fest verschlossenen Glas wird ihr Menstruationsblut im Kühlschrank gelagert. Dort hält es sich bis zu etwa einem Jahr lang und verdirbt in der Regel nicht. Bei der Verwendung von Blut als Farbe ist es wichtig, dass Pinsel mit einer Metallfassung gut ausgespült werden, da sie sonst zu rosten beginnen könnten.
Von Leistungsdruck zur Ausdruckskraft
Die 40-jährige Künstlerin hatte schon als Kind gerne einen Pinsel in der Hand. Als Jugendliche bedeutete Kunst für sie abliefern. Jeder Pinselstrich musste sitzen. Dieser Anspruch führte dazu, dass Maria zwischen 18 und 25 Jahren fast gar nicht mehr malte. „Ich habe mich schlecht gefühlt, wenn das Bild nicht so wurde, wie ich es im Kopf hatte”, erinnert sich Maria. „Mein Kritiker war immer dabei.” Schöne Bilder mussten für andere entstehen, das war Marias früheres Verständnis von Kunst. Auch die Verbindung zu ihrem Periodenblut war eine andere. „Früher war es lästig, es war eklig. Ich wollte es weghaben”, erzählt Maria. Beigebracht, wie sie mit ihrem Zyklus auf eine gute Art und Weise umgehen kann, hatte ihr niemand. Ihre Gefühle habe sie damals regelmäßig unterdrückt. Hauptsache funktionieren, mit diesem Gedanken ist Maria aufgewachsen.
Inzwischen ist Maria seit circa drei bis vier Jahren im Einklang mit dem Malen und erlaubt sich sowohl bestimmte Motive als auch intuitiv fließende Bilder zu malen. Die Kunst ist für sie da, um mit sich selbst und ihrem Inneren in Kontakt zu gehen. Nach innen öffnen und fließen lassen, was raus will, nennt Maria es. Der Anfang mit Periodenblut zu malen, war für Maria ein „Aha-Erlebnis“. Bunte Bilder spielen sich in ihrem Kopf ab, wenn Maria vor dem Malen ihre Augen schließt. Plötzlich war das Blut, welches Jahrelang aus ihr herausgeflossen ist nicht mehr eklig, sondern richtig schön. „Du fängst an, etwas zu lieben, was du früher wirklich gehasst hast. Und nicht, weil ich es hassen wollte, sondern weil alle es hassen. Und ich das Gefühl hatte, ich muss das auch hassen”, beschreibt Maria ihren Gefühlswandel.
In den letzten Jahren hat sich Maria intensiv mit ihrer Weiblichkeit auseinandergesetzt. „Je mehr wir mit unserem Körper, unserer Weiblichkeit und unserem Zyklus verbunden sind, desto kreativer werden wir”, beschreibt sie ihre Erfahrung. Das Thema brachte Maria dazu sich mit Selbstliebe und Selbstfürsorge auseinanderzusetzen, wodurch sie eine starke Verbindung zu ihrem Körper und ihren Gefühlen aufbauen konnte. Für Maria steht fest, dass der Weg zur Weiblichkeit nicht an der Periode vorbeiführt.

Veränderungen brauchen Mut
Kotz-Emojis unter ihren Instagram Posts verletzen Maria noch heute. Weil sie eine harmoniebedürftige und überangepasste Person ist, fällt es Maria teilweise schwer rebellisch aufzutreten. „Du kannst nur mutig sein, wenn du Angst vor etwas hast. Und ich brauchte echt viel Mut.” Ihr Umfeld reagiert auf die Kunst mit Periodenblut gespalten. Maria lebt in einem ländlichen Raum von Sachsen-Anhalt. Dort werde hinter ihrem Rücken zum Teil über ihren Instagram-Account gelästert. Mit Freund*innen aus der Heimat und ihren Eltern spricht sie nicht über ihre Kunst. Offener Austausch ist nur mit ihrem Partner, Sohn und wenigen Freundinnen von außerhalb möglich. Für Maria ist Instagram eine kleine, sichere Bubble: „Mir folgen nur Menschen, die sich für das Thema interessieren und öffnen wollen – das ist für mich auch sehr wertvoll.“
„Du kannst nur mutig sein, wenn du Angst vor etwas hast.“
Trotz der Hoffnung in ihr, dass noch mehr über das Thema Menstruation aufgeklärt wird, glaubt Maria nicht, dass sich in den nächsten 10 bis 20 Jahren gesellschaftlich und politisch etwas ändern wird. Erstmals wurde 2016 ein Werbespot gezeigt, in dem Menstruationsblut als rote Flüssigkeit dargestellt wurde. Traurig macht Maria die eigene Beobachtung, dass junge Menschen ihre ersten Erfahrungen mit Menstruation als schrecklich, eklig und tabuisiert empfinden. Eine positive Veränderung, so glaubt sie, könne vor allem von Künstler*innen und Forschenden vorangetrieben werden. Menstruierende selbst würden dazu beitragen, indem sie mit sich ins Reine kommen wollen. „Jedes kleine bisschen, was in Richtung Weichheit und in Richtung Öffnung geht, ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung”, beschreibt sie ihren optimistischen Ausblick.