Kultur&Gesellschaft

Reportage
„Es ist sehr viel mehr Freiheit."

Für Pia waren die letzten Monate entscheidend für mehr Mobilität und Spontanität. | Bild: Pia Noi Schmid

Reportage „Es ist sehr viel mehr Freiheit."

Für Pia waren die letzten Monate entscheidend für mehr Mobilität und Spontanität. | Bild: Pia Noi Schmid
 

30 Aug 2021

„Am Ende lohnt sich jegliche Anstrengung.“ Ist Pia Noi Schmids persönliches Lebensmantra. Gerade in den letzten zwei Jahren wurde dies unter Beweis gestellt. Denn nach langen Gesprächen und einer Menge Papierkram ist die 20-Jährige nun mobiler und spontaner in ihrem Alltag.

Elena Paul

Crossmedia-Redaktion / Public Relations
seit Sommersemester 2020
KunstKulturFilm

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Sonnenschein, etwa 30 Grad – ein perfekter Sommertag im August. Das Wetter lädt dazu ein, das Auto zu starten und sich spontan mit Freunden in einem Café oder an einem See zu treffen. Spontane Mobilität war für Pia bis vor ein paar Monaten noch Wunschdenken und eine kleine Ausfahrt mit wochenlanger genauer Planung verbunden. Also mit alle dem was Spontanität nicht ist.

Pia Noi Schmid leidet an spinaler Muskelatrophie, kurz SMA, einer Krankheit bei der sich die Muskeln immer mehr abbauen. Die 20-Jährige wurde damit bereits in jungen Kinderjahren diagnostiziert. „Man hat sich gefragt, warum kann das Kind nicht krabbeln oder den Kopf gerade halten“ erklärt mir Pia. Sie konnte, im Vergleich zu anderen Kleinkindern, ihren Kopf nicht selbständig heben oder ihn gerade halten, da der Abbau der Muskeln sehr früh anfing. Als sie jünger war, verbrachte sie viel Zeit auf der Intensivstation in der Kinderklinik und der Abbau begann schon sehr früh. Mit etwa zehn Jahren konnte die Psychologiestudentin nur noch sitzen und mit zwölf konnte sie nur noch ihre Arme heben. Jetzt ist sie an dem Punkt, an dem sie im Rollstuhl sitzt und auch diesen nur schwer bewegen kann. SMA ist eine Erkrankung bestimmter Nervenzellen im Rückenmark. Diese sind eigentlich dafür zuständig Impulse an die Muskulatur weiterzuleiten, die für Bewegungen wie Krabbeln, Laufen oder die Bewegung des Kopfes verantwortlich sind. Die deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. schätzt SMA als eine häufige „seltene Erkrankung“ ein, da etwa 6 von 10.000 Neugeborenen betroffen sind. Die Erbkrankheit beeinträchtigt alle Muskeln des Körpers. Je weiter fortgeschritten SMA ist, desto mehr Muskeln sind betroffen und oftmals auch die Muskulatur, die für die Atmung zuständig ist. Das bedeutet, dass Betroffene häufig auch bei der Atmung Unterstützung benötigen.

„Da hing teilweise der Auspuff auf dem Boden.“ – Pia Noi Schmid

Bis vor ein paar Monaten waren spontane Treffen mit Freunden oder Veranstaltungen an ihrer Universität mit wochen- oder monatelanger Planung und langen Telefonaten verbunden.  „Das Taxiunternehmen musste immer sehr früh wissen, wie die Stundenpläne sind und wann genau ich wohin möchte.“  Pia musste ihren Stundenplan bis zu drei Monate vorher an das Taxiunternehmen durchgeben und private Treffen etwa zwei Wochen im Voraus. Das Taxiunternehmen musste die Routen genau planen, da das Rollstuhltaxi auch noch andere Kunden befördern musste. Bei der Planung waren auch die genauen Uhrzeiten wichtig. Das bedeutete, wenn die Studentin sich mit Freunden in einem Café traf, stand schon vor dem Treffen fest, wie lange es geht. Dabei war es egal, wie gut die Gespräche und das Wetter waren, denn das Taxi kam um 16 Uhr und dann ging es nach Hause. Sollte dann doch mal etwas dazwischenkommen oder ein privater Termin länger gehen, war das mit stundenlanger Wartezeit verbunden. Im Sommer 2019 hat Pia die Entscheidung getroffen sich um einen, auf ihre Bedürfnisse angepassten, Van zu bemühen, mit dem sie spontaner und mobiler sein kann. In der Vergangenheit hatte sie zwar schon ein umgebautes Auto, mit dem ihre Assistenten oder Eltern fahren konnten, jedoch war das Auto alt und sie hatten es gebraucht gekauft, also war es nicht auf die individuellen Bedürfnisse angepasst. „Da hing teilweise der Auspuff auf dem Boden“, es war also dringend Zeit eine Alternative zu finden. 

In Deutschland können Personen mit Behinderung mit der Kraftfahrzeughilfe alle 5 Jahre einen Antrag stellen, der teilweise die Kosten eines Umbaus oder Kosten der Anschaffung eines Fahrzeuges abdecken. Der Antragsteller hat das Recht auf einen Zuschuss, wenn gewährleistet ist, dass die Person das Kraftfahrzeug nicht nur vorübergehend benötigt und es essenziell ist, um an den Arbeitsplatz oder den Ausbildungsort zu gelangen. Die Höhe des Zuschusses ist abhängig vom Nettoeinkommen und beträgt maximal 22.000€. Zuständig für die Kraftfahrzeughilfe ist die deutsche Rentenversicherung.

Unzählige Briefe und Umschläge voller Papierkram

Bevor Pia den Antrag stellte, hatte sie bereits Kostenvoranschläge für Autos und Umbauten herausgesucht, in der Hoffnung den Prozess so etwa zu beschleunigen. Jedoch lief alles etwas anders als geplant ab. Ende 2019 musste sie zudem einen Arzt aufsuchen, der ihrer Versicherung bestätigt, dass die Studentin eine Behinderung hat und somit das Recht auf den Zuschuss. Im Mai 2020 folgte das Erstgespräch. „Ich hatte mir schon alles dargelegt in einem riesigen Umschlag mit bestimmt 100 Seiten,“ erklärt mir Pia, jedoch wurden die Dokumente nicht benötigt. Im Gespräch wurde abgewogen, welches Auto Pia fahren würde, wäre sie nicht behindert. Demnach sollte die Differenz berechnet werden, die zusätzlich für ein größeres und umgebautes Auto nötig ist. In den Monaten darauf hat sich der Papierkram gestapelt. Es waren unzählige Briefe notwendig, um darzulegen welche Umbauten nötig sind und wie das Auto am besten zu Pias Bedürfnissen passt.

Jedoch erschwerte die Corona-Pandemie den gesamten Prozess, da kein Vertreter der Versicherung sich die Gegebenheiten vor Ort persönlich ansehen konnte. Einige Gespräche wurden über Skype abgehalten, sodass ein grober Eindruck entstehen konnte. „Im Nachhinein weiß ich nicht, ob es eine gute Idee war, weil er sich manchmal schon ziemlich verschätzt hat mit den eigentlichen Gegebenheiten.“ Es war schwierig, genau herauszufinden was nötig ist und was von Vorteil wäre. Anfangs war eine Rampe angedacht mit welcher Pia in das Auto gelangt. Diese braucht aber viel Platz und deshalb hat sie sich für den Kassettenlift entschieden. Dieser befindet sich unter dem Auto, wenn er nicht gebraucht wird und kann dann elektrisch bedient werden. Die Rampe wäre billiger gewesen, hätte aber nach hinten viel Platz benötigt, wodurch parken am Straßenrand nahezu unmöglich gewesen wäre. Dadurch, dass man den Antrag nur alle 5 Jahre stellen kann, muss das Fahrzeug sich den individuellen Bedürfnissen perfekt anpassen. Ihr wurde eigentlich ein Fahrzeug bewilligt, das viel zu groß gewesen wäre. Sie entschied sich dagegen, da ihre Assistenten, die sie im Alltag begleiten, oftmals noch sehr jung sind, nicht viel Erfahrung haben und deshalb vielleicht auch nicht so große Autos sicher fahren können. Im Endeffekt wurde ihr dann das Budget zugeschrieben, dass das vorgeschlagene Fahrzeug mit dem Umbau gebraucht hätte. Da sich die 20-Jährige aber gegen den Vorschlag entschied, wurde nur das Budget bewilligt und zusätzliche Kosten musste sie selbst tragen.

„Eine Spendenaktion war nicht meine erste Wahl.“  – Pia Noi Schmid

Der Antragsteller muss für jeden Umbau, der nicht von der Versicherung abgedeckt ist, zusätzlich zahlen. Da Pia sich gegen eine Rampe und für ein anderes Fahrzeug entschied entstanden zusätzliche Kosten. Insgesamt sind etwa 30.000€ nicht durch die Versicherung abgedeckt. Die Psychologie Studentin hat sich nun eine GuFund.me Seite eingerichtet, um über Spenden einen Teil der Kosten zu sammeln. „Tatsächlich war eine Spendenaktion gar nicht meine erste Wahl, denn ich finde es immer ein wenig seltsam, wenn man nach Geld fragt.“ Sie konnte sich aber von Freunden überzeugen lassen und mittlerweile sind schon etwa 6.000€ zusammengekommen. Das deckt aber noch lange nicht alle Kosten ab. Anfang des Sommers in diesem Jahr war es dann doch, nach fast zwei Jahren, so weit, dass die 20-Jährige ihren umgebauten VW-Bus abholen konnte. Jetzt kommen für sie und besonders für ihre Assistenten neue Aufgaben hinzu. „Ich denke, dass es für meine Assistenten abwechslungsreich sein wird, weil wir die letzten Monate immer in meinem Zimmer waren und viel gelernt haben.“ 

„Es ist sehr viel mehr Freiheit.“ – Pia Noi Schmid
Mit diesem VW-Bus Ist Pia mobiler und spontaner. | Bild: Pia Noi Schmid
Mit dem Kassettenlift gelangt Pia in das Fahrzeug. | Bild: Pia Noi Schmid
Pia sitzt auf dem Beifahrersitz, damit sie sich besser unterhalten kann. | Bild: Pia Noi Schmid

Dominik Quintus hilft Pia seit ein paar Monaten im Alltag und erfährt heute, wie er richtig mit dem VW-Bus umgeht. Dabei hilft ihm Pias Vater, der das Auto schon Mal rückwärts aus dem Parkplatz fährt und auf dem Hof parkt. Pia bewegt sich mit ihrem Rollstuhl in die Richtung der rechten Hintertür. Ihr Vater öffnet die Autotür und holt eine Fernbedienung heraus. Dominik bekommt von ihrem Vater erklärt, wie er den Kassettenlift über die Fernbedienung bedient. Er konnte bis heute noch keine Erfahrungen mit dem Auto sammeln und fährt gleich das erste Mal damit. Pias Vater drückt einen Knopf auf der Fernbedienung und langsam fährt der Lift unter dem Auto hervor. Pia dreht sich mit dem Rücken zum Auto und fährt vorsichtig mit ihrem Rollstuhl auf den Lift. Mit einem erneuten Knopfdruck fährt dieser nach oben und Pia kann ihren Rollstuhl nun nach hinten in das Fahrzeug bewegen. Vorsichtig fährt sie auf die Stelle des Beifahrersitzes. Dort rastet ihr Rollstuhl in eine Halterung ein, die sicherstellt, dass dieser sich während der Fahrt nicht bewegt. Jetzt ist es wichtig, dass Pia eine Halskrause angelegt bekommt, um ihren Nacken zu schützen und die Sicherheitsgurte müssen sicher angelegt werden, um Verletzungen vorzubeugen. Pia sitzt direkt neben dem Fahrer, damit sie sich auch unterhalten kann. Durch die Halskrause ist es für sie schwierig laut zu sprechen und je näher sie beim Fahrer sitzt, desto einfacher ist es für sie sich zu unterhalten. In ihrem vorherigen Auto saß sie im hinteren Teil und sogar etwas hinter der eigentlichen Rückbank, so konnte sie ihre Umgebung nur schwer sehen und auch die Kommunikation war schwer, da das Auto laut war und Pia nur leise reden konnte. „Ich freu mich, dass ich Pia jetzt auch so begleiten darf, und wer weiß, vielleicht machen wir einfach mal einen kleinen Abstecher in die Eisdiele,“ wirft Dominik ein, nachdem er den Lift nun auch einmal selbst bedienen konnte. 

Jetzt kann die 20-Jährige spontaner sein und muss Treffen mit Freunden nicht Wochen im Voraus planen. Sie kann spontan shoppen gehen, sich mit Freunden oder Kommilitonen treffen und auch ein normaleres Uni-Leben genießen. „Es ist sehr viel mehr Freiheit, wenn ich heute was aus einem Geschäft bräuchte, dann kann ich da kurz hinfahren. Am Ende hat sich die Anstrengung gelohnt“