Identität

Cultural Chameleons: Wie Minderheiten mithalten

Betty stammt ursprünglich aus Eritrea. Oft ist es ihr unangenehm, ihre Kultur in Deutschland auszuleben
10. Jan. 2023
Betty ist ein Cultural Chameleon. Als Teil einer Familie mit Migrationshintergrund plagt sie das Gefühl, doppelt so hart arbeiten zu müssen, um halb so ernst genommen zu werden. Ihre Kultur ist ihr heilig, doch genau diese macht ihr das Leben allzu oft schwer.

Betty wurde in der Schule für ihre Herkunft ausgelacht. Da fragt man sich, was eigentlich einen Menschen ausmacht. Seine Art? Womöglich. Sein Wissen? Eventuell. Doch eines der wichtigsten Dinge, mit denen der Mensch sich identifiziert ist seine Herkunft. Hänseleien und Spott für etwas, worauf Betty so stolz ist, sind ihr unerklärlich. Anders sein sollte doch eigentlich etwas schönes sein, oder nicht?

Betty Argaw ist 20 Jahre alt und studiert in Pforzheim Betriebswirtschaftslehre und Controlling. Ihre Eltern stammen ursprünglich aus Eritrea. Um Betty und ihrem Bruder ein besseres Leben zu ermöglichen, kamen sie mit 17 nach Deutschland. Ihre eritreischen Wurzeln sind ihr sehr wichtig, und sie versucht sie so gut wie möglich in ihren Alltag zu integrieren. Sie findet viel Freude darin, heimische Gerichte vorzubereiten, mit ihrer Mutter Gewänder zu nähen, und jährliche Feste zu feiern. Nach ihrem Studium möchte Betty im Finance Bereich arbeiten und hofft darauf richtig Karriere zu machen. Doch bei einem ihren vorherigen Jobs hatte sie oft das Gefühl, aufgrund ihrer Herkunft nicht ernst genommen zu werden und gab immer weniger von ihrer wahren Identität preis.

Dieses Phänomen nennt sich kulturelle Assimilation, oder Angleichung. Kulturelle Assimilation beschreibt einen Prozess, bei dem man Teile, oder seine ganze kulturelle Identität ablegt, um sich einer fremden Gesellschaft anzupassen. Hierbei passt entweder ein Individuum, oder eine Gruppe von Menschen sich an, indem sie die Sprache, Werte und Sitten einer Gesellschaft erlernen und anwenden. Das geschieht sowohl bewusst als auch unbewusst.

In einem Modell erklärt der kanadische Psychologe John W. Berry verschiedene Strategien der Akkulturation. Die Akkulturation beschreibt die Art und Weise, wie eine Gruppe von Menschen sich einer fremden Kultur anpasst. Berry beschreibt vier verschiedene Wege, wie diese Gruppen sich gegenüber einer neuen, möglicherweise überlegenen, Kultur verhalten: Assimilation, Integration, Marginalisierung und Separation. Diese vier Strategien unterscheiden sich darin, dass jede eine andere Beziehung, und Anpassungsbereitschaft zu der fremden Kultur hat . Das bedeutet, dass Teilgruppen mit einer offenen, oder interessierten Haltung gegenüber einer fremden Kultur möglicherweise mehr ihrer eigenen Traditionen ablegen, und umgekkehrt. 

In seinem Buch „Psychology of acculturation: Understanding individuals moving between cultures“ nennt Berry die Assimilation einen „einseitigen Anpassungsprozess einer Minderheit an die Mehrheitsgesellschaft“. Im Gegensatz zu der Integration, ist die Assimilation ein einseitiger Prozess. Das bedeutet, dass ein hoher Druck auf die Menschen ausgewirkt wird. Das Bedürfnis, sich der Aufnahmekultur anzupassen, ist groß. 

Um den Inhalt anzuzeigen müssen Sie zuvor der Nutzung von Marketing Cookies zustimmen.
Die Akkulturationsstrategien nach John W. Berry (1980) | Quelle: Canva / Marie Johnson

Von klein auf wurde Betty von der deutschen Kultur geprägt, wuchs allerdings in einem afrikanischen Haushalt auf. Ihr Vater arbeitet in einer Klinik und begann daher relativ früh, die Sprache zu lernen und sich mit den deutschen Sitten vertraut zu machen. Ihre Mutter blieb jedoch zu Hause, um sich um sie und ihren älteren Bruder zu kümmern. Betty fiel das Aufwachsen in zwei Kulturen nicht immer einfach. Sie liebt es, mit ihrer Familie eritreische Feste und Feiertagen zu feiern. Timkat, das Fest zum Ehren der Taufe Jesu, ist einer ihrer Lieblingsfeiertage. Jedes Jahr am 19. Januar steht sie bereits vor Sonnenaufgang auf, um ihre Haare zu flechten und ihre Kemis, ein knöchellanges Gewand mit vielen Bestickungen, anzuziehen.

Betty und ihre Cousine in ihren Kemis

Betty liebt es, die Kultur Eritrea's mit ihren Freunden teilen zu können. Deshalb entschied sie sich dafür, ihre Kemis an Timkat zur Arbeit zu tragen. Bereits in der Bahn bekam sie viele unangenehme und fragende Blicke. Auf der Arbeit angekommen, sah ihr Chef sie entsetzt an und bat sie, in sein Büro zu kommen. Die traditionelle Kleidung betitelte er als „zu bunt“, die Flechtfrisur als „ablenkend und unprofessionell“. So bloßgestellt fühlte sich Betty noch nie. Sie wäre am liebtsen an Ort und Stelle im Boden versunken. Das Essen, welches sie mühsam vorbereitete, wurde im Pausenraum angewidert abgelehnt. Der ganze Tag war ruiniert. Betty begann ihre Haare zu glätten, oder sie in strengen Zöpfen zu verstecken.

Auch Ihren richtigen Namen, Beteal, änderte sie vor ein paar Jahren zu Betty, um weniger aufzufallen. Für sie ist es mittlerweile einfacher, sich mit ihrem Spitznamen vorzustellen, das erspart die schiefen Blicke. Doch eigentlich bevorzugt sie es, Beteal genannt zu werden: „Ich finde es mittlerweile schon ganz ungewohnt mit meinem richtigen Namen angesprochen zu werden. Wenn ich meine Kultur auslebe, fühle ich mich fremd. Ich habe das Gefühl hinter einer Maske zu leben“.

„Wenn ich meine Kultur auslebe, fühle ich mich fremd. Ich habe das Gefühl, hinter einer Maske zu leben.“

Betty Argaw

Doch diesen Drang der Anpassung spürt nicht nur Betty. Die IfD Allensbach veröffentlichte im Juni 2009 eine Umfrage der Bertelsmannstiftung, bei der knapp 1600 Personen mit Migrationshintergrund gefragt wurden, was ihrer Meinung nach Zuwander*innen tun müssten, um in Deutschland Anschluss zu finden. 35 Prozent der Teilnehmer*innen meinten, dass man mehr von der deutschen Kultur übernehmen solle. 33 Prozent waren der Ansicht, seine Kleidung anzupassen, und drei Prozent sahen es für sinnvoll, die eigenen Traditionen ganz aufzugeben.

Nun, wie geht Betty heute damit um? Für sie ist es manchmal noch etwas unangenehm an, über ihre Erfahrungen zu sprechen: „Ich weiß, dass ich in Zukunft weiterhin schräg angeschaut werde...deshalb hab ich mich mit der Zeit damit abfinden müssen. War zwar nicht immer einfach, aber ich habe gelernt, das was mich besonders macht als meine Stärke zu nutzen.“ Um sich selbst zu lieben, musste Betty sich mit dem Fakt anfreunden, immer anders zu sein. Sie arbeitet nun in einem offeneren Arbeitsumfeld, und hat keine Angst davor, Misstände anzusprechen.

Bettys Eltern ist es wichtig, dass sich ihre Kinder problemlos ein eigenes Leben in Deutschland aufbauen können, ohne dabei Teile ihrer Identität zu verlieren.  „Ich finde es wichtig, sich als Immigrant mit der deutschen Gesellschaft vertraut zu machen. Meinem Bruder und mir wäre es sonst sehr schwergefallen, in der Schule Anschluss zu finden. Trotzdem sollte es meiner Meinung nach eine Art Middle Ground geben, bei dem ich mich nicht für meine Herkunft schämen oder verstecken muss.“