Selbstversuch

Let's talk - Ein Abend unter Fremden

Alle Informationen auf einen Blick.
11. Dez. 2017

Es ist 18 Uhr. Als ich den Raum betrete, schaue ich mich überrascht um. Es scheint noch keiner da zu sein, abgesehen von der Frau an der Bar, die mir aber keine Beachtung schenkt und seelenruhig die Arbeitsflächen putzt. Die Bar ist alt, an der Decke hängen Kronleuchter mit Kerzen. Die Sitzmöglichkeiten sind aus Leder oder mit Samt überzogen. Ich warte.

Ich bin hier, um an dem „my Stuttgart language exchange“ teilzunehmen. Doch ich bin ein bisschen skeptisch und nervös. Als ich über Facebook auf die Veranstaltung gestoßen bin, war ich begeistert und wusste gleich, dass ich darüber für edit.Puls schreiben möchte. Eine Veranstaltung, bei der Menschen mit verschiedener Herkunft zusammenkommen und an verschiedenen Sprach-Tischen entweder ihre Deutsch- oder Fremdsprachenkenntnisse verbessern. Zusätzlich zum Lernen von Sprachen, nutzen die Teilnehmer die Möglichkeit, soziale Kontakte zu knüpfen. Um für meinen Beitrag zu recherchieren, wollte ich auch selbst teilnehmen. Auf dem Weg in die Bar, ließ meine Begeisterung allerdings nach und die Unsicherheit gewann Oberhand.

Ist es normal, ganz alleine hinzugehen?
Sind dort Teilnehmer in meinem Alter und mit meinen Interessen?
Ist es nicht komisch, den Abend mit Fremden zu verbringen?

Genau das wollte ich jetzt herausfinden. Nach kurzem Warten bekomme ich Gesellschaft. Eine Deutsche, eine Backpackerin aus Kanada und ein Mann aus den USA. Gesprächsthemen sind schnell gefunden: Smalltalk, Reisegeschichten und lustige Anekdoten. Kurze Zeit später geht es dann richtig los.

Alle Teilnehmer inklusive mir erhalten ein Namensschild mit Flaggen, die symbolisieren, woher die Person kommt, welche Sprachen sie spricht und welche sie lernen möchte. Über den Abend habe ich schnell gemerkt: Die Namensschilder sind Gold wert. Denn bei 30 Personen kann man sich eben doch nicht sofort jeden Namen und die dazugehörige Herkunft merken. So wusste man immer, wie sein Gegenüber heißt und welche Sprache man sprechen konnte.

Die Sprachkombinationen an den Tischen wechseln in unregelmäßigen Abständen, Menschen kommen dazu und gehen wieder. Die am häufigsten gesprochene Sprache ist Deutsch, danach Englisch und Spanisch. Die Mehrheit nimmt teil, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, da sie aufgrund ihrer Arbeit nach Deutschland gekommen sind. Zudem treffe ich einige Reisende, die Deutsch lernen wollen.

„Die Leute sollen keine Berührungsängste haben, sie sollen auch herkommen, wenn sie eine Sprache nicht so gut können.“

Stephan Behringer

Trotzdem komme ich nicht zu kurz: Ich hatte am Anfang erwähnt, dass ich gerne Englisch üben würde, was einigen im Gedächtnis geblieben ist. Im Laufe des Abends sind mehrere englischsprachige Teilnehmer auf mich zugekommen und haben angeboten, sich auf Englisch zu unterhalten. Durch die lockere Atmosphäre kann ich ohne Nachzudenken losplappern und habe keine Hemmungen, Fehler zu machen. Ich denke, bei einer regelmäßigen Teilnahme verbessern sich die Sprachkenntnisse – ob jetzt Deutsch oder eine Fremdsprache – tatsächlich. Viele, mit denen ich spreche, sind auch genau deswegen hier. Nur ein Sprachkurs, in dem es hauptsächlich um Grammatik und das Schreiben geht, reicht ihnen nicht aus. Diese Intention hatte auch Stephan Behringer, als er den Sprach-Treff gründete.

Der Organisator selbst spricht momentan zehn Sprachen, Tendenz steigend, und hat bereits über 100 Länder bereist. Beim Erlernen einer neuen Sprache setzt er hauptsächlich auf Praxis.

„Ich gehe ein paar Wochen in einen Sprachkurs, hole mir die Basics und den Rest mache ich durch Anwendung.“

Stephan Behringer

Auch mit ihm konnte ich mich länger unterhalten. Wir sprechen hauptsächlich über das Reisen und ich merke deutlich, dass verschiedene Sprachen und Länder seine Passion sind. Im Gespräch mit dem wohl ultimativen Reise-Experten konnte ich mir meine Chance nicht entgehen lassen. Welches Land sollte man unbedingt gesehen haben?

Da Stephan als Organisator viel zu tun hat, überlasse ich ihn wieder seinen Aufgaben und gehe an einen neuen Tisch. Dieses Mal fällt es mir schon viel leichter, auf die Leute zuzugehen. Während es mich am Anfang viel Überwindung gekostet hat, mich an einen neuen Tisch zu setzen, mache ich mir gegen Ende immer weniger Gedanken. Über den Abend habe ich fast vergessen, dass ich nicht nur zum Spaß hier bin, sondern auch recherchieren möchte. Dadurch dass alle so offen sind und bedacht, jeden in das Gespräch miteinzubinden, bin ich selbst immer lockerer und entspannter geworden. Umso mehr Zeit vergeht, vergesse ich beinahe, dass ich eigentlich mit Fremden an einem Tisch sitze. Es finden sich gemeinsame Interessen mit den unterschiedlichsten Personen.

Mit einem Hobby-Fotograf aus Polen unterhalte ich mich über die Kamera, die ich dabeihabe, er gibt mir Tipps und erzählt mir, wie er auf die Fotografie gekommen ist. Mit einer Französin diskutiere ich die verschiedenen Sportarten, die wir ausgeübt haben. Mit einem Amerikaner spreche ich über einen vergangenen Urlaub, nahe seiner Heimat, und er erzählt mir, was er an seiner Heimat vermisst. Stunden vergehen, aber die Gespräche nehmen nicht ab.

Ich schaue auf die Uhr: halb elf. Vorgenommen hatte ich mir, mich gegen neun Uhr auf den Weg nach Hause zu machen, doch ich habe die Zeit komplett aus den Augen verloren. Aber man soll ja bekanntlich gehen, wenn es am schönsten ist. Es ist der richtige Moment, mich zu verabschieden und in meine eigene Realität zurückzukehren.

Ich lasse den Abend Revue passieren und stelle für mich Folgendes fest: Das Namenschild werde ich auf jeden Fall behalten. Und wer weiß, vielleicht bin ich dort in nächster Zeit mal wieder anzutreffen. Für „Neu-Stuttgarter“, und auch alle anderen, kann ich es nur empfehlen: Es eine tolle Möglichkeit, seine Sprachkenntnisse zu verbessern und neue Menschen kennenzulernen.

Let's Talk! Hier findet ihr ein paar Eindrücke der Veranstaltung.
Freundlicher Empfang: Bevor es losgehen kann, erhalten alle Besucher ein Namensschild.
Nach und nach füllt sich der Raum und immer mehr Teilnehmer werden begrüßt.
Small Talk ade – schon nach kurzer Zeit lockert sich die Stimmung und es bilden sich verschiedene Sprach-Tische.
Stunden vergehen, Gläser werden geleert und die Gespräche sind immer ausgelassener.
Man sieht: Ich habe Spaß, während einer der Teilnehmer sich meine Kamera ausleiht und Bilder knipst.
Zugezogene, Touristen, Backpacker und gebürtige Stuttgarter tauschen sich aus und lernen voneinander.
Das Stuttgarter Organisationsteam ist dieses mal auch komplett und genießt die Veranstaltung. Ganz rechts zu sehen: Stephan Behringer.

Der „my Stuttgart language exchange“ findet jeden Dienstag von 19 bis 23 Uhr im „Kala Club“ statt. Die Teilnahme ist kostenlos und ohne Anmeldung möglich. Der „my city language exchange“ wird momentan in Stuttgart, München, Frankfurt, Nürnberg, Heidelberg und Würzburg veranstaltet.

Weitere Informationen gibt es hier und hier.