Pflegemigration

Integration auf Station 1B

Die Krankenhausflure sind so leer wie der deutsche Arbeitsmarkt an Pflegekräften. Ist Pflegemigration die Lösung?
17. Mai 2018

36.000 Pflegestellen sind in Deutschland unbesetzt. Simona Fiorucci ist eine von vielen, die das Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus gezielt aus ihrer Heimat angeworben hat, um eine Stelle als Pflegekraft in Deutschland zu besetzen. Sie erzählt, wie diese Entscheidung ihr Leben verändert hat.

Simona Fiorrucci ist seit vier Jahren in Deutschland. Ursprünglich kommt sie aus Rom und hat ihre Ausbildung zur Pflegekraft dort abgeschlossen, bevor das Robert-Bosch-Krankenhaus sie nach Deutschland geholt hat. Ohne Deutschkenntnisse und ohne Freunde fällt der Einstieg in das deutsche Arbeitsleben schwer. „Man fängt an zu arbeiten, man spürt dann, ich bin nicht so weit. Also die Sprache ist schon ein Fernziel.“

Simona Fiorrucci

Der Kampf gegen den Pflegenotstand

Die Summe der unbesetzten Stellen in der Kranken- und Altenpflege ist hoch. Laut Bundesregierung fehlen in Deutschland 36.000 Pflege- und Fachkräfte. Die Gründe sind vielfältig, die schlechte Bezahlung ist nur einer davon. Doch was ist die Lösung?

Das Robert-Bosch-Krankenhaus ist eines von vielen, das seit einigen Jahren auf den europäischen Arbeitsmarkt zurückgreift. Seit 2012 gehen Mitarbeiter wie Heike Lauber ins Ausland, um dort Pflegekräfte zu rekrutieren. Aus Italien brachte sie schließlich Simona Fiorrucci mit. Aber was treibt Menschen wie Simona an, alles hinter sich zu lassen und in Deutschland neu anzufangen?

„Es war prinzipiell aus dem Grund Arbeitsmangel“, sagt Simona. Nach dem Ausbildungsende stand sie vor einem ausgelasteten Arbeitsmarkt. Ausgebildete Pflegekräfte bekommen keinen Arbeitsplatz, die Wartelisten sind lang und falls es doch Arbeit gibt, wird sie nicht bezahlt. Deutschland war für Simona die Chance, sich einen Lebensmittelpunkt aufzubauen. Über die Agentur Germitalia, die italienische Arbeitskräfte nach Deutschland vermittelt, kam Simona Kontakt zu Heike Lauber und dem Robert-Bosch-Krankenhaus. Nach einem Vorstellungsgespräch hieß es für sie: Koffer packen und auf nach Stuttgart.

Jeden Tag etwas Neues

Am 28. April 2014 kam Simona in Deutschland an. Und sofort war alles anders: die Sprache, das Essen, das Wetter und die Mentalität.

„Oh, die Leute in Deutschland sind so distanziert. Man muss ja Termine machen, um sich zu treffen.“

Simona Fiorrucci

Bürokratische Hürden mussten gemeistert werden – für viele eine große Hürde. Simona hatte Glück, denn die Agentur Germitalia sowie Pflegedirektion und Personalabteilung des Krankenhauses unterstützten sie dabei. Da sie aus einem EU-Land kommt, war die Aufenthaltsgenehmigung kein Problem. Doch um ihre Ausbildung anerkennen zu lassen, muss sie zunächst das Sprachniveau B2 erreichen. Also stand erst einmal vier Monate lang Deutsch pauken auf dem Plan.

Im September 2014 war es dann endlich soweit: Mit dem Spätdienst begann ihr erster Arbeitstag auf der chirurgischen Station 1B. Am Anfang wurde sie von einer Kollegin begleitet. Im Kollegenkreis fühlte sie sich sofort wohl und willkommen und konnte bei Problemen immer nachfragen. Die Sprache stellte dabei für Simona das größte Hindernis dar. Trotz des intensiven Deutschkurses verstand sie nur wenig. Akzente oder Dialekte lernte sie im Unterricht nicht.

Für die Station bedeuten neue Mitarbeiter aus dem Ausland sehr viel zusätzliche Arbeit. Die Sprache sowie die fachlichen Unterschiede sind das größte Problem. Denn das Pflegeverständnis ist nicht in jedem Land gleich.

Erwartungen und Realität

Die Ausbildung zur Pflegekraft in Deutschland beinhaltet klassischerweise eine dreijährige duale Berufsausbildung mit theoretischen Inhalten in Berufsfachschulen und praktischen Einheiten in den Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Das ist nicht überall so. Simona absolvierte ein dreijähriges Studium in Italien, das neben Unterrichtsblöcken auch verschiedene Praktika enthielt. Das klingt zunächst ähnlich, doch das Berufsbild im Ausland ist ein anderes. In Ländern wie Italien wird ein hohes medizinisches Fachwissen vorausgesetzt, während die pflegerische Versorgung nicht unbedingt von Pflegekräften durchgeführt wird. Diese Aufgabe übernehmen dort Hilfspfleger oder Angehörige.

Für Menschen wie Simona erfordert dies ein Umdenken. In Deutschland steht die pflegerische Versorgung im Vordergrund: waschen, mobilisieren, unterstützen beim Essen. Diese Erfahrungen veranlassten Lauber dazu, ein Einarbeitungskonzept einzuführen, das die internationalen Pflegekräfte auf ihre neue Arbeit vorbereiten soll.

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Die Maßnahmen zur Integration ausländischer Pflegekräfte | Quelle: Heike Lauber, Pflegedirektion | Quelle: Teresa Reidt

„Man muss es einfach wollen“

Als Simona nach Deutschland kam, war sie motiviert und voller Erwartungen. Sie wollte viel lernen und sich schnell einleben: „Deutschland wartet auf mich“, dachte sie. Als sie schließlich merkte, dass die Sprachbarriere sie daran hinderte, begann sie, an sich zu zweifeln. Die neuen Bekanntschaften konnten die Familie nicht ersetzen und sie sehnte sich nach ihrer Heimat.

„Man muss sich umstellen, man muss sich sagen: Ich bin nicht mehr in Italien, ich bin in Deutschland.“ Viel Geduld und viel Kraft halfen ihr schließlich dabei, die Phase zu überstehen. Heute fühlt sie sich in Stuttgart wie zuhause.

Simona arbeitet jetzt auf der Dialyse-Station und ist begeistert, dass sie so viele gute Erfahrungen gemacht hat. Durch ihre Freunde hat sie eine neue Familie in Deutschland gefunden. Auch ihr Deutsch ist sehr gut geworden. Allen Neuankömmlingen gibt sie folgenden Rat: „Man muss es einfach wollen. Und dann geht’s.“