Coworking

So sieht das Büro 2.0 aus

Mitten in der Arbeit
20. Dez. 2017

In Deutschland arbeiten über eine Millionen Freiberufler – Tendenz steigend. Sich in einer Großstadt ein eigenes Büro zu leisten ist für viele schlichtweg unmöglich. Warum es daher eine gute Alternative ist, sich einen Schreibtisch zu mieten und wieso immer mehr Menschen auf dieses Konzept umsteigen, versucht ein visionärer Stuttgarter zu beantworten.  

„Zuhause bin ich total vereinsamt und mir ist die Decke auf den Kopf gefallen“, erinnert sich Harald Amelung. Der Stuttgarter ist 42 Jahre alt, selbstständig und Mitgründer des Coworking Space 0711. Auf der Suche nach einer Alternative zum klassischen Arbeiten in einem Büro stieß er in den sozialen Medien auf das Coworking. „Das Konzept stammt ursprünglich aus den USA und die Idee ist es, ein großes Büro zur Verfügung zu stellen, das gegen eine Gebühr den Nutzern zur Verfügung gestellt wird“, erklärt der Experte.

Aus der Idee wird Wirklichkeit

Schnell konnte Harald Amelung auch andere von seiner Idee begeistern. In Felicia Copaciu fand er eine begeisterte Mitgründerin, mit der er begann, nach geeigneten Räumlichkeiten zu suchen. Unterwartete Hilfe bekamen sie von der Wirtschaftsförderung der Stadt Stuttgart: „Das hat mich wirklich überrascht, dass sich die Stadt selbst gemeldet hat und unsere Idee unterstützen wollte“, blickt der Initiator zurück. Im Jahr 2010 wurde ihr Coworking Space 0711 schließlich im Kreativzentrum H7 in der alten Bahndirektion am Hauptbahnhof eröffnet.

Nachdem ihnen der Mitvertrag mit dem H7 im Dezember 2011 gekündigt wurde, verließ Copiaciu das Unternehmen. Amelung fand indes ein neues Büro in einem alten Polizeirevier im Stuttgarter Westen. Dort riss eine Baufirma fast alle Innenwände ein und legte die Decke frei, wodurch ein großer offener Raum entstand. „Einige der Nutzer kommen direkt aus der Nachbarschaft und können zu Fuß zur Arbeit laufen. Wer in der Mittagspause ein bisschen Abwechslung braucht, hat zudem viele Cafés und Restaurants in unmittelbarer Umgebung."

Die Mitglieder des Coworking Space legen Wert auf Gemeinschaft

Ein bunt zusammengewürfelter Haufen

Software-Entwickler, Übersetzer, Grafik-Designer — im Coworking Space treffen Menschen aus vielen verschiedenen Berufen zusammen. Grundsätzlich seien Menschen aller Professionen willkommen betont der Gründer: „Handwerkliche Berufe funktionieren natürlich nicht, genauso wie Berufe, bei denen man extrem viel telefonieren muss.“ In einem großen offenen Raum störe dies die anderen einfach zu sehr. Aktuell arbeiten ungefähr 45 Nutzer regelmäßig bei Coworking 0711. Etwa die Hälfte von ihnen hat einen festen Schreibtisch und kommt täglich, der Rest ist flexibel und setzt sich dahin, wo gerade Platz ist. Wiederum andere kommen nur einmal die Woche oder gar einmal im Monat.

„Jeder ist für sich eigenständig und doch gemeinsam.“

Harald Amelung, Gründer von Coworking 0711

Im Coworking Space profitieren die Nutzer vor allem davon, dass Menschen mit vielen verschiedenen Berufen die Räumlichkeiten nutzen. Ein gutes Beispiel für diese Bereicherung ist das hier gegründeten Start-up „Autonetzer“, bei dem zwei Menschen mit ähnlichen Ideen am selben Ort aufeinander gestoßen sind. Amelung will sich auch die vielen verschiedenen Kompetenzen, die im gemeinsamen Büro aufeinandertreffen, zu Nutzen machen: „Wir bauen gerade ein Programm zur Weiterbildung auf, in dem Nutzer ihr Fachwissen an andere weitergeben."

Um sich nicht nur beruflich, sondern auch privat kennenzulernen, gibt es im Coworking Space einmal im Monat ein gemeinsames Frühstück oder Pizzaessen. „Wir waren schon zusammen auf dem Weindorf, dem Cannstatter Wasen oder einfach mal Wandern. Wer Lust hat, der macht mit, wer keine Lust hat eben nicht."

Ersetzen Coworking Spaces bald herkömmliche Büros?

Amelung hat große Pläne für die Zukunft des Coworking. Geplant ist es, mehrere Büros in den Randbezirken Stuttgarts zu eröffnen — den ersten Nebenstandort gibt es bereits in Herrenberg. Inspiriert wurde er von einer Studie in Frankreich, in der Mitarbeiter großer Firmen in Paris für acht Monate ihren Arbeitsplatz mit einem Schreibtisch in einem Coworking Space in der Nähe ihrer Wohnung tauschten. Die Studie brachte nur positive Ergebnisse hervor: Die Teilnehmer waren durch den verkürzten Weg zur Arbeit weniger gestresst und arbeiteten motivierter. Dadurch erhöhte sich auch ihr allgemeines Wohlbefinden.

„Gerade hier in Stuttgart mit der Verkehrs- und Feinstaubproblematik ist unser Konzept sicher interessant für Pendler. Anstatt sich ewig durch den Stadtverkehr zu quälen, sollen Nutzer vielmehr die Möglichkeit haben, bequem in Wohnortnähe zu arbeiten.“ Daher will Amelung Firmen dazu einladen, ihren Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, in einem Coworking Space zu arbeiten. „Das Arbeiten wird immer flexibler und kurze Wege zum Arbeitsplatz sind die Zukunft.“

Den Mitgliedern stehen viele verscheidene Schreibtische zur Verfügung
Im Gemeinschaftsbereich können die Mitglieder zusammen Pause machen