Game Development

Vom Spaßprojekt zum Serious Game

Vertauschte Rollen: Eigentlich ist Philipp (links) ernster als Domenik.
30. Mai 2018

Anfang 2017 wird Donald J. Trump zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten ernannt. Während Europa fassungslos über den großen Teich starrt, beginnen zwei Studenten an der Hochschule der Medien, ein Spiel zu entwickeln, das den großen Politiker mit den kleinen Händen auf die Schippe nimmt. Ein Interview mit zwei Entwicklern, die mehr wollen, als nur spielen. 

Seid ihr stolz auf euer Spiel?
Langes Schweigen, plötzlich lachen beide.

Philipp Joseph
Im Endeffekt schon. Bei einer Bewerbung würde ich es auf jeden Fall erwähnen.

Domenik Jockers
Würdest du es nicht als dunkles Kapitel deiner Jugend verschweigen? (lacht)

Philipp Joseph
Nö. Ich würde es auch nicht nur zeigen, um es zu zeigen, sondern eben, weil ich es zeigen möchte.  Weil es mal was anderes ist, was anderes als…

Domenik Jockers
…Super Mario. Es unterstreicht, dass man sich mal was getraut hat, auch auf einem Gebiet, auf dem man sich eigentlich nicht so gut auskennt. Ich bin kein politischer Aktivist, ich bin Programmierer. Das Spiel hat uns gebildet und es macht die Spieler auf Missstände aufmerksam.

In „Twatter: Demokratie 2.0“ betritt der Spieler ein fiktives, soziales Netzwerk.

Philipp Joseph
Genau, dort trifft er dann auf mehrere Staatsführer: Putin, Trump, Erdogan und Kim Jong Un. Die vier klagen über Probleme in ihren Ländern und fordern den Spieler dazu auf, drei Aufgaben zu lösen.

Domenik Jockers
In den drei Levels geht es um Immigration, homosexuelle Liebe und Pressefreiheit. Je nachdem, wie der Spieler agiert, reagieren die Politiker mit Likes oder Dislikes.

Philipp Joseph
Der Spieler wägt sozusagen ab, ob er seinem gesunden Menschenverstand folgen oder gemäß den Vorstellungen der Politiker handeln soll.

Wer die armen Mexikaner und die verschleierten Saudis per Mauerbau von der Immigration in die USA abhält, bekommt Likes von den Politikern. Die Reichen und Gebildeten dürfen natürlich rein.

Wie kommt man auf so eine Idee?

Domenik Jockers
Eigentlich aus Jux. Ursprünglich sollten wir im Rahmen einer Vorlesung ein Konzept für ein Spiel entwickeln. Das war kurz nach der Trump-Wahl und mir kam natürlich sofort die Idee, daraus eine Parodie zu machen. Wir wollten einfach was Witziges entwickeln.

Philipp Joseph
Die ersten Ideen waren auch ganz anders als das heutige Endprodukt... (lacht)

Domenik Jockers
Ja, die waren ziemlich verrückt. Wir hatten sogar einen Charakter-Editor, bei dem der Spieler entscheiden konnte, welche Figur er spielt.

Das klingt so gar nicht verrückt.

Domenik Jockers
Nun ja, zur Auswahl standen Trump, Erdogan, Hitler und ein Clown. Das war die kontroverse Version „Diktator 2.0“.

Das klingt hingegen tatsächlich kontrovers.

Philipp Joseph
Unsere Professorin war total begeistert, dass sich endlich mal jemand getraut hatte, eine etwas andere Idee an der Hochschule zu verwirklichen, außerdem versteht und teilt sie unseren Humor. Die Hochschule war da anderer Meinung. (lacht)

Beide studieren an der Hochschule für Medien Computer Science and Media im Master.

Domenik Jockers
Man muss bedenken, dass die Hochschule der Medien eine staatliche Einrichtung ist, die möglichst neutral bleiben sollte, was politische Aussagen und Co. betrifft. Trump als Diktatoren zu bezeichnen, war da natürlich nicht nur äußerst überspitzt, sondern auch schlichtweg falsch. Trump ist natürlich ein demokratisch gewählter Staatsführer. (lacht)

Bei studentischen Projekten ist es in Ordnung, jemandem ein bisschen ans Bein zu pinkeln. Man sollte es nur nicht übertreiben.

Domenik Jockers

Fühlt man sich da nicht eingeschränkt in seiner Kreativität?

Philipp Joseph
Das Kernfeedback konnten wir ja nachvollziehen. Uns hat nur die allgemeine Vorsicht gestört – wir hätten uns nie Gedanken darüber gemacht, dass sich jemand durch das Spiel angegriffen fühlen könnte.

Nicht einmal Donald Trump?

Philipp Joseph
Der würde wahrscheinlich twittern: „Best game ever!“. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass er den Humor erst gar nicht versteht.

Wie konnte das umstrittene Spaßprojekt doch noch zu einem Serious Game werden?

Domenik Jockers
Das Spiel sollte im Rahmen einer Kooperation mit dem Schauspiel Stuttgart beim Festival „The Future of Europe“ ausgestellt werden. Der satirische Ton war kein Problem, die Inhalte mussten aber gründlich recherchiert werden. Mit den journalistischen Texten und dem Twitter-ähnlichen Newsfeed hatten wir dann aber einen guten Rahmen geschaffen.

Philipp Joseph
Natürlich im Team mit anderen, allein hätten wir uns die journalistische Arbeit nicht zugetraut.

Was ist ein Serious Game?

Serious Games, zu deutsch „ernste Spiele“,, beschäftigen sich spielerisch mit gesellschaftlich relevanten Themen und zeigen oft Missstände auf. Dabei rücken das eigentliche Gameplay und der Wiederspielwert meist in den Hintergrund, die Botschaft tritt in den Vordergrund.

Warum nicht?

Domenik Jockers
Allein die Tatsache, dass man ein Spiel über ein sensibles Thema entwickelt, könnte viele Menschen verärgern. Ich würde ungern alleine für den Inhalt verantwortlich sein müssen. Dafür bin ich ein zu großes Trampeltier. (lacht)

Philipp Joseph
Ich würde mich aber auch niemals von einem Spiel distanzieren, das ich selbst entwickelt habe. Auch als Programmierer steht man hinter dem gesamten Projekt und seinen Inhalten.

Also trotz der Gratwanderung ein Ja zum Serious Game?

Philipp Joseph
Ja – lieber mit dem richtigen Team zum guten Serious Game als allein ein witziges Quatschspiel entwickeln.

Domenik Jockers
Auf jeden Fall.

Hat euer Serious Game denn eine ernste Aussage?

Philipp Joseph
Man sollte sich darüber informieren, welche Missstände es gibt. Nicht nur außerhalb von Europa, sondern auch hier. Unser Spiel kann dazu beitragen auf diese Situation hinzuweisen. Deswegen hat es auch gut zum Festival „The Future of Europe“ gepasst. Man kann nicht oft genug über solche Themen sprechen, besonders, wenn man an die derzeitige Situation in Europa denkt.

Wie seht ihr denn die Zukunft Europas?

Domenik Jockers
Viele Gruppen wollen Unabhägigkeit, raus aus der EU, zurück zur D-Mark. Das ist traurig. Ich fühle mich nicht als Deutscher, eher als Europäer.

Philipp Joseph
Ich sehe das ähnlich, auch wenn ich optimistischer bin. Es gibt immer Menschen, die sich solchen Gruppen nicht anschließen, besoders in unserer Generation. Die anderen schreien nur lauter. Ich weiß nicht, wie es in ein paar Jahren aussieht, aber es sind genug übrig, die dagegenhalten.

Domenik Jockers
Wie wir mit unserem Spiel.

Anmerkung: Die Redakteurin hat selbst am Spiel mitgewirkt. Sie kann zwar kein bisschen programmieren, aber ein wenig schreiben. Die Twatter-Texte gehen damit auf ihre Kappe.

Habt ihr Lust auf ein bisschen Twatterei bekommen? Dann probiert es doch einfach selbst aus!

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