Studium vs. Heimat

Alles aus Liebe zu Mexiko?

Jorim verbringt so viel Zeit wie möglich in der Natur.
12. Juli 2018

Jorim Hernández Wolters. Sechstes Semester, Universität Stuttgart. Der Traum: erneuerbare Energien studieren. Die Konsequenz: Mexiko verlassen. Er spricht mit mexikanischem Akzent. Passend zu den dunklen Haaren und den braunen Augen. Deutschland, Mexiko. Mexiko, Deutschland. Ein Interview mit einem 23-Jährigen, der sich immer wieder zwischen zwei Welten entscheiden muss.

Mehr Deutscher oder mehr Mexikaner?

Beides gleich. Ich habe beide Staatsbürgerschaften. Ich bin in Deutschland geboren, im Norden, in Soltau. Meine Mum ist Deutsche, mein Dad Mexikaner. Als ich zwei Jahre alt war, sind wir nach Mexiko gezogen. Mit 19 kam ich wieder zurück. Meine Eltern sind noch immer dort. Zuhause gibt es für mich also zwei Mal.  

Du hast dich also für ein Leben in Deutschland entschieden, um an der Universität Stuttgart erneuerbare Energien zu studieren.

Ja, aber ich will eigentlich nicht hierbleiben. Natürlich sind die Chancen für später viel besser. Aber es gibt nichts Spannendes. Ich mein, erneuerbare Energien sind hier groß geworden. Deutschland ist an der Spitze. Aber Deutschland hat schon erneuerbare Energien. Natürlich kriegst du hier viel mehr Gehalt und dein Leben kann viel besser sein. Aber in Mexiko hast du einen offenen Markt. Da hast du freie Bahn. Du kannst alles machen was du willst. Alles neu aufbauen. Und dort zu helfen wäre etwas sehr Gutes.

Aber du bist trotzdem hergekommen. Warum?

Ich wollte das schon immer studieren. Schon immer. Ich weiß nicht warum. Und in Mexiko ging das nicht. 

Du weißt nicht warum? Die Studienrichtung ist ja eher außergewöhnlich.

Es war einfach so ein Gefühl. Mich interessiert sowas und ich wollte es einfach machen. Wir waren als Kinder jeden Tag draußen. Ich und meine Geschwister, nein meine Geschwister und ich, so rum. Wir haben die Natur erkundet, die Welt erkundet und es war schön. Die Natur ist frei vom Menschen. Als ob der Mensch eine Krankheit wäre. In der Nähe von unserer Stadt, gut ich sage Nähe. Nah für Mexiko ist ganz weit weg für Deutschland. Es waren drei Stunden - drei Stunden weiter gab es Regenwald. Tiefster Regenwald mit riesigen Wasserfällen. 100 Meter hohe Wasserfälle. Wir haben es geliebt. Ich glaube, deswegen wollte ich das studieren. Ich will das erhalten, sodass andere Menschen es auch erleben können.

Und das ging nur in Deutschland?

Diesen Studiengang gibt es nicht in Mexiko. Dann habe ich in den USA gesucht. Aber die Unis sind viel zu teuer. Dann hat mein Dad gesagt, dass ich ja Deutscher bin. Ich darf wie ein Deutscher die deutsche Uni besuchen. Also habe ich den Studiengang hier gesucht und gefunden und mich beworben. Und ich wurde nicht angenommen. Weil ich Mexikaner bin.

Weil du Mexikaner bist?

Weil ich kein Abi habe, wo draufsteht: Du hast normales Abi in Deutschland gemacht. Wenn du in Mexiko die Oberstufe gemacht hast wie ich, hast du einen Abschluss. Aber es ist nur ein Abschluss. Das zählt nicht wie ein Abi. Also musste ich mit 19 nach Deutschland kommen und Studienkolleg machen. Das habe ich in Hannover gemacht. Mein Opa wohnt da in der Nähe. Der Vater meiner Mum. 

Wie war die erste Zeit in Deutschland?

Normal - keine Ahnung. Manche aus anderen Ländern, mit denen ich gelernt habe, haben sich fremd gefühlt. Ich mich nicht.

Gut, du hast ja auch Familie hier.

Ja, ich habe alle zwei Wochen meinen Opa besucht. Es war nicht so schlimm für mich. Natürlich war es anders als in Mexiko. Hier haben wir keinen Salsa, Tortillas oder solche Sachen. Aber dafür habe ich die guten deutschen Gummibärchen und Bier!

Konntest du zu dem Zeitpunkt Deutsch?

Zumindest verstehen konnte ich fast alles. Meine Mum und mein Dad haben sich in den USA kennengelernt und deswegen immer Englisch gesprochen. Also habe ich alle drei Sprachen gelernt. Spanisch war die Beste, dann Englisch. Deutsch habe ich von meiner Mum gelernt, aber irgendwann vernachlässigt. Das merke ich jetzt. Das hätte ich nicht machen sollen. Aber es geht gut mittlerweile.

Bekommst du hier in Deutschland irgendeine bestimmte Förderung?

Nichts Spezielles, weil ich Ausländer bin. Aber was Spezielles, weil ich Deutscher bin! Ich bekomme Bafög! 

Hast du es irgendwann mal bereut, dass du hierhergekommen bist zum Studieren?

Nein, nicht einmal. Aber ich mag die Stadt nicht. Beziehungsweise Stuttgarter nicht. Ich vermisse die Art der Mexikaner. Die Leute sind ein bisschen offener, bisschen gelassener in Mexiko. Stuttgarter sind ein bisschen spießig, ein bisschen mehr „Lass mich in Ruhe!“

Wie ist das in Mexiko? Wie sind dort die Chancen für deine Generation? 

In Mexiko brauchst du Kontakte. Es ist eine Kontaktgesellschaft. Mit einem Studium kommst du weiter. Ohne kommst du überhaupt nicht weit. Wenn du zum Beispiel Tischler werden willst, gehst du einfach zum Tischler und sagst: „Ich will, dass du mich ausbildest.“ Und du arbeitest dann für ihn, bis er sagt, du bist gut genug. Aber natürlich wirst du dort nicht so gut bezahlt wie hier. Man bekommt sehr wenig, für das was man macht. 

Da du hier studierst, bekommst du die nötigen Qualifikationen. Du kannst dein Know-how ja dann einfach mit nach Mexiko nehmen. 

Die Möglichkeit besteht. Aber um erneuerbare Energien in Mexiko stark zu machen, brauchst du unendlich viel Startkapital. Und Kontakte! Aber Mexiko hat im Ressourcensinne viel mehr Potential als Deutschland und es ist viel größer. Auch in Deutschland gibt es noch ganz viel zu tun. Aber es gibt auch ganz viele Leute, die es tun können. In Mexiko gibt es kaum jemand. Wenige mit Fachwissen. Zudem sehr viel Korruption. Aber man schafft das schon. Vor allem in Zukunft. Langsam werden die Mexikaner wach. Die merken gerade, dass sie den anderen nicht mehr hinterherkommen. 

Wie meinst du das? 

Langsam merken sie, dass das Schulsystem schon ein bisschen alt ist, dass die Straßen nicht wirklich gut gebaut sind, dass ihnen die anderen das ganze Öl wegnehmen und so weiter. Weil die Mexikaner es selbst nicht können. Die Leute, die in Firmen in Mexiko arbeiten, sind Mexikaner. Aber die Firmen sind nicht mexikanisch. So arbeiten sie zwar in Mexiko, aber nicht wirklich für Mexiko. 

Zeit für dich, das zu ändern. 

Ja, aber ich fühle mich noch nicht bereit dafür. Ich weiß, ich könnte anfangen. Aber ich würde irgendwas falsch machen. Deswegen mache ich hier erst noch den Master. So habe ich noch Zeit zu lernen. Ich würde auch ganz gerne hier erstmal anfangen zu arbeiten. So lerne ich, wie die Industrie und alles andere funktioniert. Dann kann ich alles nach Mexiko mitnehmen. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht bleibe ich auch hier.

Vielleicht lernst du eine deutsche Frau kennen? Dann gehst du vielleicht auch nicht mehr nach Mexiko.

Doch, die kommt einfach mit! Glaub mir, ich zeig Bilder und die kommt mit.

Und zum Studieren schickst du deine Kinder dann wieder nach Deutschland?

Das ist keine schlechte Idee. Ich erfinde einfach eine neue Tradition.

Macht dir dieser Zwiespalt zwischen zwei Welten nicht zu schaffen?

Doch, man ist immer zwischen zwei Welten hin und hergerissen. Die eine Seite zieht mich zurück. Dass ich nach Mexiko zurückkommen soll, um dort zu helfen. Um mein geliebtes Mexiko ein bisschen besser zu machen. Auch meine Familie vermisse ich sehr. Und die andere Seite zieht hier. Bleib in Deutschland, es ist bequem und du kannst auch den Deutschen helfen. Es ist nicht so, dass du hier nicht helfen kannst.